Was für ein Fusel
Was für ein Fusel, so müsste die lobende Bezeichnung eines guten Schnaps sein. Denn erst die Fuselöle des Alkohols geben den Geschmack. Mit dem Kopfwehfolgen eines schlechten alkoholischen Gesöffs hat das nichts zu tun. Sondern eher mit Dehydrierung des Körpers, dem giftigen Methylalkohol-Anteil oder schlichtweg mit der Menge des Suffs.
Gerald Schroff von der Preußischen Spirituosen Manufaktur begrüßt unsere kleine Besuchsgruppe zur Führung in der Weddinger Seestraße 13 zunächst im Stil seines Namens. Im Laufe der dreistündigen Führung, wir haben gnadenlos überzogen, entpuppt er sich als begeisterter und begeisternder Kenner der Alkoholdestillation. Fachwissen und unterhaltsame Anekdoten sorgen für einen sehr kurzweiligen Abend. Wissbegierig folgen wir seinen Ausführungen: Eine klare alkoholische Flüssigkeit entsteht durch Destillation, also Vergärung und Abscheiden des Alkohols. Dabei halten sich keine Farbstoffe. Anders als bei der Mazeration. Hier werden mit Alkohol den eingelegten Grundstoffen das Aroma entzogen. So wie bei Omas Rumtopf und der ist dunkelbraun.
„Heute hat ja jeder Gin möglichst viele Botanicals“ lacht unser Guide. „Die Kunst ist aber nicht die Vielzahl, sondern die Komposition der Aromastoffe. Und mit Hinweis auf das riesige Regal mit Hunderten von Gläschen bekommen wir erklärt: „Die Botanicals heißen hier Drogen!“ Martin und ich haben die “Botanicals” in unserem Gin Test Test ja schon mal bewertet. Der Adler Gin von der Preußischen Spirituosen Manufaktur mit seinen Drogen war aber nicht dabei.
Genau genommen ist das ganze Gelände ein Forschungs-Campus zum Alkohol. Hier werden Destillateure ausgebildet, die als Prüfungsabschluss einen unbekannten Likör vorgesetzt bekommen, den sie in Alkohol- sowie Zuckergehalt und natürlich mit den richtigen Aromen nachbauen müssen.
Wir würden alle gnadenlos scheitern. Ein Experiment. Wir halten die Nase zu und trinken einen Schluck goldgelben Likör. Süß. Erst als die Nasen frei sind, füllen sich Mund und Nase mit Aromen. Aber was ist das? Zitrone, Aprikose, Mandel, keine Ahnung. „Erwachsene haben verlernt, die Milliarden Geruchsnuancen zu unterscheiden“. Aus Tonnen eines edlen Ausgangsprodukts wurde nicht mal ein Liter Destillat gewonnen und wir erkennen es erst, als uns der Ausgangsstoff benannt wird.
Umso erschreckender der folgende Geruchstest. Erdbeermarmelade, Erdbeerjoghurt, Yogurette, Gummibärchen! Es ist ein für wenige Cent hergestellter Aromastoff. Da er aus Pilzkulturen erzeugt wurde, darf er sich sogar „natürliches Aroma“ nennen. Aber die Komplexität fehlt, es ist die Erdbeer-Holzhammermethode.
Neues Glasgefäß, neues Glück. Der Inhalt wird geschwenkt. Diesmal will ich es erkennen! Alle geben hochkonzentriert ein Votum ab. Ich sauge den Duft ein, mache die Augen zu. Verdammt. Ich kann nur raten. Orange! Orange? Nein. Es ist Ingwer! Und den Likör hatten wir doch kurz vorher probiert!
Es gibt nur zwei Treffer beim Schnuppern an den großen Gefäßen. Kaffee und Pfeffer sind der Hauptgewinn. Leider nicht von mir. Dabei hab ich doch eine so große Nase. Aber Größe ist eben nicht alles.
Wir bewundern bauchige Kupferkugeln, gebogene Rohre, Glaskoben, edle Apparaturen zur Destillation. Diese Versuchs- und Lehranstalt für Spiritusfabrikation von 1874 ist im Originalzustand erhalten.
Zu den Kupferkesseln und Armaturen aus mehreren Jahrhunderten hat sich inzwischen aber auch ein Neugerät gesellt. Gerald Schroff ist bei der Beschreibung der vielen Anzeigeinstrumente anzumerken, dass er viel lieber die historischen Geräte bedient und dabei mit Fachwissen und Gefühl den giftigen Methylalkohol abtrennt. Destillateur bzw. Schnapsbrenner ist in Deutschland ein Ausbildungsberuf. Daher haben wir hier auch keine Methylalkoholvergiftungen. In Amerika ist das z.B. anders. „Ein Wochenendseminar reicht für ein Zertifikat und schon kann sich jeder in den Rocky Mountains eine Alkoholbrennerei zusammenzimmern. So ist es aber auch kein Wunder, wenn das bei Mondschein umtanzte Destillat keine Erleuchtung, sondern Erblindung bringt.”
Unser heutiger Abend bringt uns Bildung, Unterhaltung und Kostproben. Wir trinken „Jäder nur ein winziges Schlöckchen!“ aus der großen Suppenkelle, mit der aus einem Steinzeug-Gefäß edler Wodka geschöpft wird. Fantastisch.
Zum Abschluss öffnet sich der Spirituosen-Shop und ich kaufe eine Flasche klaren „Adler“-Gins, ein -na?- Destillat und einen dunklen Kurfürstlichen Magenbitter -wir haben es gelernt- ein Mazerat.
Ich könnte mit den Geschichten jetzt viele Seiten füllen. Aber viel besser ist es, einfach noch drei Begleiter zu finden und die kleine Führung für zehn Euro zu buchen oder, wie wir, zu acht für 15 Euro in einer ausführlichen Zwei-Stunden-Tour die Preußische Spirituosen Manufaktur kennen zu lernen. Weitere Informationen gibt es bei https://www.psmberlin.de/museum/f%C3%BChrungen
Für mich war es ein großartiges Erlebnis, dieses Kleinod kennenzulernen, das sich völlig unscheinbar im Wedding versteckt. Liebe grad60-Leser, kennt ihr vielleicht auch kleine und unbekannte Kostbarkeiten? Wir wollen sie entdecken! Gebt uns bitte einen Tipp an info@grad60.com
Am Anfang des Artikels steht “Werbung unbeauftragt”, das heißt, dass dieser Artikel ohne Beeinflussung und Bezahlung geschrieben wurde. Warum der Vermerk trotzdem dort steht, erfahrt ihr auf unserer Seite “Transparenz”.