Weimar, Weihnachten und mehr
Der alte Womanizer Goethe hat sie geliebt, diese recht kleine, aber doch so bedeutende Stadt im Thüringer Becken. Und auch Schiller, Herder, Wieland und Franz Liszt sowie Strauß und Nietzsche haben hier gelebt, geliebt und gewirkt. Das kulturelle Erbe ist an allen Ecken und in allen Gassen zu spüren, nicht zu übersehen und beindruckend. Nicht zuletzt durch die sich im nächsten Jahr zum Hundertsten Male jährende verfassungsgebende Nationalversammlung, die als Basis der Weimarer Republik gilt. Aber mich reizt heute der Weihnachtsmarkt und Kulinarisches verschiedenster, veganer oder zumindest vegetarischer Art.
Wenn sich die Aufregung um den berühmten Zwiebelmarkt gelegt hat und es langsam kälter wird, dann bereitet sich Weimar auf den Winter und auf Weihnachten vor. Die obligatorischen Glühweinstände, Stände mit gebrannten Mandeln und Buden mit Kunsthandwerk sind hübsch anzusehen. Sie sind in der Altstadt in den Gassen rund um den historischen Marktplatz drapiert, auf dem der stattliche Weihnachtsbaum mit seinen mehr als zwanzig Metern Höhe steht. Eine solche Weihnachtstanne wurde zum ersten Mal im Jahr 1815 aufgestellt. Der Weimarer Hofbuchhändler Hoffmann wollte arme Leute, die sich keinen eigenen Weihnachtsbaum leisten konnten, mit dem Anblick eines öffentlichen Weihnachtsbaumes erfreuen. Daraus wurde eine Tradition, der viele andere Städte folgten. Gleich neben dem Baum steht die riesige Weihnachtspyramide, imponierend. Toll, liebe Weimarer, gefällt mir.
Nachdem ich mit der besten Ehefrau von allen und einigen Freunden schlendernd die Weimarer Weihnachtsfestmeile Zug und Zug erobert habe, stärken wir uns an einem Glühweinstand bei Moni. Sie bietet neben dem klassischen roten auch weißen Glühwein mit und ohne Schuss (Amaretto, Rum, Weinbrand), heiße Schokolade und Eierpunsch an. Schöne Reihenfolge, denke ich mir; in diesem Sinne, ich ordere.
Beim Eierpunsch, der natürlich nicht vegan ist und bei dem ich vorher meinem inneren Zeigefingerhalter die Augen verbinden musste, mache ich kurz mal langsamer, da sonst jemand vor dem offiziellen Ende des Marktes bei mir die Lichter ausmacht. So wird der Punsch kalt und ist nicht mehr so richtig flüssig, als ich ihn dann zu mir nehme; mehr Pudding als Punsch, aber trotzdem bleibt er lecker und schmeckt mir.
Wir ziehen weiter. An der nächsten Bude spricht mich jemand an und fragt: „Ihre Frau hat ja einen lustigen Akzent, wo kommt die denn her?“ Ich antworte wahrheitsgemäß: „Vom Glühweinstand!“ Der kriegt sich nicht mehr ein. Ja, die Thüringer verstehen Spaß!
An einem Kinderkarussell bleibe ich stehen und versinke in Gedanken. Wie war das früher, als wir mit Sina, unserer Tochter, an den Pferdchen, Kutschen, Feuerwehrautos, Schiffchen standen und sie nicht mehr vom Karussell runter wollte? Für mich als grad60iger ist viel Zeit vergangen und ist etwas geblieben? Ja, doch, schöne Erinnerungen, angenehme Gefühle, aber auch Wehmut und Melancholie. Ich reiße mich los und schaue nach den anderen; sie sind schon weitergegangen, aber noch zu sehen, da es nicht zu voll ist. Nach wenigen Metern habe ich sie eingeholt. Die Buden sehen wirklich nett aus. Handwerkliches und nett anzusehendes Gewerk verschiedenster Materialien verleiten immer wieder zum Stehenbleiben.
Ich verspüre jetzt deutliche Hungergefühle, die anderen auch, wir schauen uns um. Die verschiedenen Fressstände bieten zwar Einiges, auch Vegetarisches, aber wir wollen uns mal hinsetzen. Der Erbenhof ganz in der Nähe sieht vielversprechend aus, auch beim Blick durch die Fensterscheiben, elegantes aber gemütliches Ambiente. Wir schauen auf die Speisekarte vor dem Eingang. Es wird regionale Thüringer Küche geboten, etwas anders als gewohnt vielleicht, mit einigen Besonderheiten. Nur es gibt nichts Veganes und kaum Vegetarisches. “Schade”, sage ich und das finden die anderen glücklicherweise auch. “Sorry”, füge ich hinzu. Sie nicken.
Nicht weit weg locken uns die Lichter eines Italieners: „Mamma mia, mi Piace!“ Beim Italiener gibt es immer etwas Veganes, also rein. Der erste Eindruck wird geprägt durch einen rundum laufenden Verkaufstresen mit italienischen Köstlichkeiten und einer offenen Küche. Das hat einen besonderen Reiz. Der Gast sitzt damit nah und unmittelbar am Geschehen, vor dem Tresen nämlich. Das nimmt mich sofort für den Laden ein. Wir werden stande pede und überaus freundlich begrüßt. Die Speisekarte ist unkonventionell, irgendwie unfertig, quasi improvisiert auf einem Klemmbrett befestigt, aber umfangreich. Wir finden schnell etwas, genießen der guten Rotwein des Hauses und werden zügig mit den georderten Speisen bedient. Da kommen keinen Klagen auf; ganz im Gegenteil, dieser Italiener ist zu empfehlen. Beim Nachbestellen kann man übrigens auch ruhig mal an den Tresen gehen und direkt beim Koch die nächste Pizza erbitten. Non c’e problema.
Nach einigen Stunden (sic!) können wir uns endlich aus dem Ambiente lösen und verlassen zufrieden und leicht berauscht die Stätte zwar importierter, aber authentischer italienischer Gastfreundlichkeit.
Der Weg zum sehr guten Hotel „Kaiserin Augusta“, das direkt am Bahnhof liegt, führt uns nochmals über den Weihnachtsmarkt. Die meisten Stände sind geschlossen, nur vereinzelt gibt es noch Grüppchen trinkfester Glühweintester. Wir gehen daran vorbei; ich habe genug und die anderen auch. Schön war’s, sehr zu empfehlen, gerade auch für die grad60iger-Generation. Weimar, weiter so.
Ich setze hiermit übrigens eine Tradition fort, die uns unter anderem schon zu den Weihnachtsmärkten in Dresden und Görlitz geführt hat; für das nächste Jahr sind wir uns noch nicht einig, vielleicht Erfurt oder Quedlinburg. Habt Ihr Ähnliches erlebt und habt somit Freude am Weihnachtsmarkthopping, dann schreibt uns oder schickt Bilder: info@grad60.com
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