Słopišća
So heißt Schlepzig auf sorbisch. „Wo is‘n ditte?“, fragt Martin betont berlinerisch und die Antwort heißt: Spreewald, genaugenommen Unterspreewald. Dorthin hat es mich mit meiner Melanie verschlagen, weil wir in ihrem freigehaltenen Halbjahr, wenn schon nicht die Welt so doch wenigstens die Umgebung besuchen wollen. Statt Dschungeltour am Amazonas, Forschungsreise im Gewässerlabyrinth des sprjewja lěs. Und das ist nicht schlecht. Statt Wasserhyazinthen schlingen sich Gelbe Teichrosen aus der träge dahinschleichenden Queerspree.
Obwohl in dem kleinen Ort eine Vielzahl von Kahnvermietern die Wassergefährte für Expeditionen feilbietet, verirren sich nur wenige Abenteurer auf Puhlstrom, Zerniasfließ und Hauptspree. Die wenigen vernehmbaren Stimmen am Brandenburgamazonas sprechen nicht portugiesisch oder spanisch, sondern sächseln und berlinern. Es ist ruhig. Nur mein Paddel platscht dezent im Wasser, lautlos wie Winnetou kriege ich das nicht hin.
Die gleiche Abenteurercrew wie auf dem Rhin dringt in die einsamen Verästelungen des Spree-Urwaldes vor. Keine anderen Expeditionsgruppen weit und breit. Hat Denise vom Basiscamp mit ihrer Vermutung recht? Die Explorer fürchten einen Hurricane? Fernes Donnergrummeln wirkt surreal im Sonnenlicht. Unerschrocken ziehen wir weiter unsere Bahnen. Oder sind es doch die gefährlichen Tiere? Ein „Platsch“ am Ufer schreckt auf. Das ist was Großes! Schlingpflanzen und trübes Wasser verschleiern die Silhouette. Nichts passiert. Mein kleines Hartplastikgefährt bleibt stabil auf dem Wasser.
Nach anderthalb Stunden Paddelbewegung ist Versorgungscamp I erreicht, mit trockenem Haupt, die dunklen Wolken haben sich verzogen, und feuchtem Gesäß, die Paddeltechnik ist ausbaufähig. Zur Stärkung liefert die Campküche eingelegte Gurken, Quark und erhitze Kartoffelspalten. So kann auch der Trek zurück zur Basis ohne Verluste angepaddelt werden. Die Durchfahrt eines Wehrs zur Verhinderung von Stromschnellen liegt vor uns. Ein Einheimischer erwartet am Tor einen Obolus. Statt Glasperlen oder Tierfellen hinterlassen wir einen Euro und können problemlos passieren. Nicht weit entfernt sichten wir eine weitere Eingeborene auf einem größeren Gefährt und einsitzenden Menschen. Freiwillige? Gefangene?
Nach fünf Stunden endet unsere Expedition und Denise klärt uns über die wilden Tiere der Region auf. Das „Platsch“ dürfte weder von einem Otter, noch von einem Biber stammen. Das häufigste Tier ist das (laut Duden: die) „Nutria“, ein bis zu zehn Kilo schweres Tier mit einer Körperlänge von bis zu 65cm und einem langen, rattenähnlichen Schwanz. Es sind ausgebüxte Tiere, die früher in Pelztierfarmen gehalten wurden. Heute leben sie weitgehend ungestört in den Spreegewässern, da Pelzmäntel aus der Mode gekommen sind und ihr angeblich wohlschmeckendes Fleisch heute weder für Rouladen, Mettwurst noch Salami verwendet wird. Und wie zur Bestätigung begegnen wir diesem Gesellen auf einer Wiese, wo er entspannt auf einem Grashalm herummümmelt.
Menschen stehen nicht auf seinem Speiseplan und so lasse ich es auch in der Dämmerung weitgehend unbeobachtet. Viel gefährlichere Angreifer trachten nach meinem Lebenssaft. Kaum spürbar laben sie sich an meinem Blut. Lediglich ihr leises, hohes Summen verrät ihren heimtückischen Angriff.