Genuss-Radreise durch die Mecklenburgische Seenplatte
Die Weltreise hat so’n Mistvirus torpediert. Aber wenn etwas nicht zu ändern ist, dann will ich wenigstens das Beste aus der Situation machen: Eine Reise im Heimatland. Deutschland kommt bei meinen Exkursionen ohnehin viel zu kurz, also rauf auf das Fahrrad und los nach Mecklenburg-Vorpommern.
Diesmal sollen keine 2600km nach Barcelona geschrubbt werden, sondern das Thema heißt: Genussradeln durch die Mecklenburgische Seenplatte über Waren an der Müritz, Feldberg und Tornow. Mit Pausen dazwischen und gemütlichen Hotels zur Nacht. Die Tour geht gemeinsam mit meiner Partnerin und soll neben dem Strampeln auch Paddeln, Wandern und Sonnenuntergänge mit Mehrgangsmenü bereithalten. Damit gibt’s ein Problem: Radsportoutfit, ein T-Shirt und zwei Schlüppis reichen nicht. Jetzt müssen auch die Ausgehklamotten in die Packtaschen. Eine ganz neue Herausforderung.
Die Reiseroute ist genau abgesteckt und die Hotels sind vorgebucht. Auf die spontane, praktische Kurzfristbuchung muss ich diesmal verzichten. Keine Ahnung, wie groß der Buchungsandrang von urlaubsverhinderten Easyjet-Gästen wird. Und günstiger wird’s bestimmt auch nicht. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass in günstigen Herbergen die Einrichtung vom Sperrmüll stammt und die Farbauswahl direkten Augenkrebs erzeugt. Hotels mit einem gewissen Luxus gibt‘s leider nicht zum Schnäppchenpreis. Aber was soll’s, wir wollen genießen und in Neuseeland wäre es auch nicht billig gewesen. Von den einzelnen Etappen werde ich hier live berichten und mit euch das Land genießen. Und drückt bitte die Daumen für schönes Wetter.
Fürstenberg/Havel bis Mirow
Der RE5 gleitet in 70 Minuten vom Südkreuz zum Zielbahnhof Fürstenberg an der Havel, den Startpunkt der 11-tägigen Radreise. Ein eigenes Radabteil erleichtert den Transport der bepackten Räder und erspart böse Blicke, wenn der schmutzige Reifen bei viel zu engen Stellplätzen gegen Hosenbeine anderer Fahrgäste drückt. Nur der notwendige Mund- und Nasenlappen im Gesicht nervt, besonders wenn die Brille vom Atemdampf beschlägt.
Wie herrlich ist die frische Luft am Bahnhof Fürstenberg. Der testet jedoch erst einmal die Armmuskeln durch fahrstuhlfreien Treppenauf-und abstieg, bis die scharrenden Beine in die Pedale treten dürfen. Nahezu autofreie Waldstraßen führen in die Mecklenburgische Kleinseenplatte. Ich quietsche laut vor Freude über den vorbeirauschenden Wald und das sonnenbesprenkelte Asphaltband.
Die Kleinseenplatte entstand vor 20.000 Jahren, als der Eispanzer wegschmolz und das Tauwasser tiefe Rinnen hinterließ, was schließlich zu den langgestreckten Seen führte. Tief und glasklar wie hier am Trünnensee. Gerade einmal 100 km von Berlin entfernt und schon so urig und naturbelassen.
Die Radpiste wechselt zum Waldweg, das Tempo geht zurück und ich muss mich selbst ermahnen. Die heutige Etappe ist nur 35 km lang, das ist kein Wettfahren mit dem Kilometerzähler, sondern Genussradeln. Etwas ungewohnt, aber dadurch habe ich auch den Blick frei für grüne Nadelbäume, vorbeitaumelnde weiße Schmetterlinge und rotleuchtende Mohnblumen.
Mit reichlich Restkraft in den Oberschenkeln erreichen wir Mirow und beziehen unser Hotel „Alte Schlossbrauerei“ auf der Schlossinsel von Mirow. Das Haus selber protzt nicht gerade mit verspielter Architektur. Rauputz mit Fensterlöchern lässt von außen nicht die gemütlichen Zimmer erahnen, dazu ist die Lage grandios. Direkt vor der Restaurantterrasse und Liegewiese leuchtet das Schilf vom Mirower See im Abendrot.
Und um dem Tag noch ein besonderes i-Tüpfelchen zu geben, versinkt der leuchtende Sonnenstern am gegenüberliegenden Seeufer im dramatischen Abendrot.
Mirow
Genussreise heißt mein Thema, also gibt’s schon am zweiten Tag einen Pausentag. Pausentag natürlich nur für die Schenkel, heute müssen die Arme ran. Ein 10km-kurzer, herrlicher Radweg über eine Fahrradstraße durch dichten Wald am Mirower See, täuscht die Beine kurz an. Dann geht’s bei Paddel-Paul (paddel-paul.de) im Kanadier auf den Leppinsee. Kanadier ist übrigens das Ding, mit dem Winnetou lautlos über das Wasser glitt. Bei mir plätschert das Stechpaddel deutlich hörbar auf dem engen Verbindungskanal der aufgereihten Seenkette, die bis zur Müritz führt.
Da ich Pausentag vernommen habe, veranstalte ich auch kein Wettstechen mit dem Paddelgerät sondern entspanne in der Sonne und beobachte die paarungstollen Libellen, die mich als Doppelstäbchen umschwirren, um kurz darauf ihren Hubschrauberflug ruckartig auf einer Seerose zu stoppen.
Ohne Strömung, ganz anders als auf dem Rhin, geht es gemächlich zu. Eine Pause passt trotzdem. Erst recht, wenn es die besten Fischbrötchen gibt, die ich seit langem genossen habe. Fischers Land Boek serviert erstklassige frische Brötchen mit Hecht- oder Maränenfilet, einer Spezialität von der Müritz. Perfekt!
Trotz Stärkung zieht sich der Paddel-Rückweg, denn alleine vom Treibenlassen kommt man nicht vorwärts und auch die 10 km auf dem Fahrradrückweg sind zwar schnell gefahren, die Beine hatten sich aber auf Pause eingestellt. Trotzdem steht ihnen noch eine Besichtigungstour auf der Schlossinsel Mirow bevor. Das 1708 erbaute Schloss, als einstiger Sitz des Herzogs zu Mecklenburg, Adolf Friedrich III, strahlt in der Nachmittagssonne.
Die gepuderten Herrschaften der damaligen Zeit und ganz besonders ihre Dienstschaft hatten eine bekannte Leidenschaft. Sie löschten ihren Durst sehr gerne mit Bier und so befindet sich gleich nebenan eine Brauerei und ein sehenswerter Eiskeller für die Kühlung. Heute dient das Gewölbe als Veranstaltungsraum. Der „Ritterkeller“ ist urig eingerichtet, aber auch ohne Gefrorenes so kalt, wie sein Name es aussagt. Aber wahrscheinlich geht es hier in coronafreien Zeiten so heiß her, da wird allen warm.
Besonders interessant ist eine eigenartige, technische Konstruktion zwischen dem Gebäude und dem Mirower See: ein Eis-Elevator. Er diente vor 500 Jahren als Eis-Förderanlage zum Eiskeller. 1937 wurde ein Elektromotor eingebaut, der täglich 100 Zentner Eis aus dem zugefrorenen See in die Brauerei schaffte. Tja, da waren die Gewässer noch dick eingefroren.
Heute ist es zum Glück nicht im Entferntesten so kalt. Die Sommersonne verbreitet gelborangene Wärme und lässt auf eine schöne morgige Radetappe hoffen.
Plau am See
So, heute geht es zur Sache. Eine der längsten Etappen ist dran. 65 Kilometer sind ja schon mal eine Ansage für eine gemütliche Genuss-Radreise. Mirow, übrigens 1744 die Geburtsstadt der englischen Königin Charlotte, lassen wir schnell hinter uns. Eine perfekte Fahrradstraße mit gutem Belag und einigen schattenspendenden Bäumen lässt ein zügiges Tempo von 19 Stundenkilometern zu. Unfassbar, dass uns bei dieser Geschwindigkeit Eliud Kipchoge, der schnellste Marathonläufer, mit 20,5 Stundenkilometern locker überholen würde. Schon auf dem ersten Sandwegabschnitt geht die Geschwindigkeit deutlich zurück. „Eli“ wäre schon lange entschwunden.
Aber wahrscheinlich würde er auch keinen Blick der Umgebung schenken. Die wechselnden Asphalt- und Sandwege führen an Mohnblumen vorbei, die ganze Feldwegränder in dunkelrote Farbe tauchen. Die weiten Getreidefelder wechseln die Ährenfarbe langsam von hellgrün in verschiedene gelb-ocker Töne. In der gleißenden Sonne glänzt die Gerste und mir kommt „Felder, Wiesen und Auen, leuchtendes Ährengold…“ in den Sinn. Ich singe es nicht laut, sonst würde meine Partnerin den Refrain von dem gelben Wagen bis Plau am See trällern.
Wir queren eine Landstraße und werden gewarnt. Das Schild zeigt: „schlechte Wegstrecke!“ Nicht untertrieben! Tiefe Sandrinnen lassen nur langsames und vorsichtiges Vorwärtskommen zu, mit zwischenzeitlichem Absteigen. Das Navi droht 3,5 Kilometer bis zum nächsten Abzweig an. Zum Glück wechselt der Belag auf halber Distanz von grottenschlecht auf nur noch mäßig schlecht. Sehr anstrengend und die hochstehende Sonne brät das Hirn unter dem Helm.
Am Plauer See geht es noch einmal durch den Wald. Und wer denkt, die Mecklenburgische Seenplatte ist auch eine flache Landplatte, der bemerkt spätestens hier seinen Irrtum. Auf und Ab ist die Devise und somit sind die letzten Etappenkilometer noch einmal eine Herausforderung. Aber es ist auch schattig und der Baumwurzel-, Sand-, und Bergparcours lenkt mich und meine Beinchen hervorragend ab. Trotzdem ganz schön, dass kurz danach das Hotel am Plauer See erreicht ist und wir in das klare Wasser springen können. Beim ganz genauen Hinhören hätte man es zischen hören können.
Fahrt nach Waren an der Müritz
Als ob uns der grauhaarige Mann auf den Tag einstimmen will: „Radfahrer auf den Radweg!“ brüllt er aus seinem Auto heraus, mit dem er die kleine Nebenstraße blockieren will. Meinem Zuruf: „Da müssen wir nur rauf bei Radfahrgebotsschildern!“ will er nicht glauben. Wir schlängeln uns an ihm vorbei, bleiben auf der Straße und wechseln nicht auf den schmalen Fußweg, der auch von Radfahrern benutzt werden darf. Mein: „Ein Blick in die Straßenverkehrsordnung hilft!“ quittiert er mit einem „Selber!“ Zwecklos, denke ich. Wahrscheinlich kennt er die Bestimmungen über Pferdegespanne besser. Wir lassen ihn hinter uns und sichten wenig später eine dunkellila blühende Distel. Ähnlich stachelig wie der Grantler, aber weitaus attraktiver.
So richtig will bei mir die Radfahrentspannung nicht eintreten. Der Weg läuft parallel einer vielbefahrenen Bundesstraße. Auf dem lautlosen Fahrrad merke ich hautnah den störenden Autokrach und den Gestank der Abgase. Zum Glück zweigt die Radroute von dieser Lärmpiste ab, jetzt allerdings auf eine holprige Schotterpiste. Der freie Blick über das Wasser könnte meine Nerven entspannen. Nun aber spielen drei Düsenjäger Einkriegezeck am Himmel und verbreiten bei ihren Kreisen einen Höllendonnerlärm.
Es ist heute wie verhext. Der Weg bleibt auf weiten Strecken bei Sand und groben Kieseln, jetzt auch noch parallel einer Landstraße. Die ist zwar bei weitem nicht so verkehrsreich, aber in der Kombination auch nicht wirklich besser.
Der Anmerkung meiner Partnerin: „Du bist aber heute aggro…“ muss ich leider zustimmen. Und als ob dieses Eingeständnis einen Schalter umlegt, durchbricht die Sonne den wolkenverhangenen Himmel und der Radweg wird zur Traumpiste im dichten Wald. Kein Auto weit und breit, kein Rüttelparcours, nur Vogelgezwitscher und würziger Waldgeruch.
Der Kopf wird frei, der Spaß kommt zurück. Es radelt sich wieder leichter und schneller als gedacht, ist die Stadt Waren erreicht. Der Ort ist eine wahre Urlaubsperle an der Müritz mit alten Häusern neben Kopfsteinpflaster. Hier passt es und stört mich nicht mehr. Und erst recht beim Cappuccino mit sonnigem Blick auf den Hafen sind Mecker-Opa und Schrottpiste vergessen.
Pausentag in Waren
Heute ist wieder Pausentag, so wie es sich für eine gemütliche Radreise gehört. Und die Stadt Waren hat ja auch ohne den Drahtesel unter dem Hintern viel zu bieten. Richtig schön ließe es sich am Hafen sitzen, durch die Fußgängerzone bummeln oder am Marktplatz ein Imbisshäppchen genießen. Bei Regen alles etwas feucht und nicht einmal halb so schön.
Das Wetter schubst uns daher praktisch ins Müritzeum, das Naturerlebniszentrum in Waren. Aber nicht nur wir werden hierher geschubst und so ist die erste Schlange schon vor der Tür zu sehen. Für 14 Euro Eintritt erklären Schautafeln, Tierpräparate und interaktive Installationen das Waldleben in der Region. Interessant und aufschlussreich gemacht. Mir gefallen die Aquarien mit den heimischen Süßwasserfischen am besten. In einem raumhohen Becken zieht ein Maränenschwarm seine Kreise und daneben grinst mir eine Sumpfschildkröte in die Kamera.
Besonders spektakulär ist das Becken mit den Stören. 200 Millionen Jahre haben diese bis zu acht Meter langen und zwei Tonnen schweren Urviecher überlebt, bis der Mensch es schaffte, den europäischen Stör nahezu auszurotten. Fischerei und vor allem Wasserverschmutzung und Umbau von natürlichen Gewässern zu Schiffs“auto“bahnen haben ihm den Garaus gemacht. Mit rudimentären Beständen aus Südfrankreich wird nun unter größtem Aufwand versucht, eine natürliche Population dieser Riesen wieder herzustellen. Übrigens, im althochdeutsch gab es das Wort „Stôr“, das so viel wie „groß“ hieß.
Zur Genussreise gehört natürlich auch der leibliche Genuss. Unser Übernachtungshotel „Kleines Meer“ rühmt sich einer besonderen Küche und die soll natürlich getestet werden. Ein Schwarzwurzelsüppchen überzeugt mit seiner cremigen Konsistenz. Die Nudeln mit würzigem Pesto und in Knoblauch angebratenen Garnelen würden jedem Edelitaliener zur Ehre gereichen. Der hier ach so beliebte „Schwedenbecher“, also Vanilleeis auf Apfelmus mit Eierlikör reicht da nicht ‘ran. Er ist schon etwas durchgeschmolzen und vermengt.
Daher gibt’s was Besseres zum Nachtisch dazu. Einen Gin Tonic vom Müritz Gin. Etwas gewöhnungsbedürftig im Weinglas serviert. Das Besondere an diesem Gin sind die handverlesenen Wachholderbeeren aus dem Müritz Nationalpark und so hat das Getränk auch diesen wunderbaren Duft, verbunden mit weiteren 20 Botanicals. Schmeckt ausbalanciert gut, ohne herausstechende Aromen. Übrigens, zu Gin können Martin und ich einiges sagen: Gin Test Test Sommergin Spirituosen-Manufaktur
Zu einer Genussreise gehören, wie gesagt, ja auch die Pausen. Und deshalb lege ich auch eine Pause beim Schreiben ein und melde mich erst wieder übermorgen. Aber schaut doch bitte trotzdem bei grad60.com hinein. Martin hat für euch bestimmt was Neues.
Weiter geht’s
…so die Ansage von meiner Navigationsapp „komoot“. Und sie führt uns über einsame Landstraßen hinaus aus Waren an der Müritz. Der Himmel ist zeitweise bedeckt, aber der Dauerregen hat aufgehört. Der hat uns an den zwei Pausentagen genervt. Aber es hätte schlimmer kommen können. Regennasse Radklamotten und Spritzwasser an den Beinen stören richtig. Heute ist es nur sehr windig, die Rotoren der Stromerzeuger drehen sich um die Wette. Glücklicherweise kommt der Wind nur von der Seite. Sonst wäre der Weg über die Alleen mit den umliegenden freien Feldern weitaus anstrengender.
Lady Komoot, so nenne ich meine Frauenstimme vom Navi, scheint aber auch eine Begeisterung für wasserkuhlige Lehmwege übrig zu haben. Ihrer Ansage: “Jetzt links auf Feldweg!“ will ich zunächst nicht glauben. Nach dem Dauerregen der letzten zwei Tage ist dieser Abschnitt für gepäckbeladene Tourenräder eine echte Herausforderung. Aber es gibt weit und breit keine Alternative. Also rauf auf die Schlammpiste.
Die Strecke bietet aber noch weitere Überraschungen. „PENIS - LÜGE – FUCK“ zieht meinen Blick auf sich. Damit begrüßt uns eine Scheune in dem Dorf Alt Rehse. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich Beschimpfungen von Schäuble, Maaßen und Steinmeier, aber auch Begeisterung für den Buddhismus. Eine ziemlich krude Mischung. Bei meiner späteren Recherche erfahre ich, dass diese Scheune einem 73-jährigen Mann gehört, der sich als Künstler versteht und eine sehr „eigene“ Vorstellung von Verfassung und Gesetzen hat. Wie auch immer. Ein Hingucker ist dieses Gebäude allemal.
Optisch weitaus ansprechender zeigt sich der weitere Tourverlauf. Der Wind erzeugt recht aufgewühltes Wasser auf dem Tollensesee, der in unerwarteter Größe vor uns liegt. Er strahlt bei dem bedeckten Himmel für mich eine majestätisch-bedrohliche Ruhe aus und der Steg scheint für mein Fahrrad und mich fast ein wenig zu schmal.
Die Tour führt weiter am Seeufer entlang und führt durch dunklen Wald. Buchenwald. Ich erinnere mich an die Erklärungen aus dem Müritzeum in Waren: Buchenwald ist sehr dominant und verdunkelt die Flächen unter den dicht belaubten Bäumen, sodass es andere Pflanzen schwer haben, sich hier anzusiedeln. Ohne Einwirkung des Menschen bestünden die Wälder in Europa überwiegend aus Buchen. Unter diesem dunklen, feuchten Blätterdach verstehe ich die mystischen deutschen Wald-Erzählungen vergangener Tage.
Welch heller, sonniger Kontrast bietet unser nächstes Übernachtungs- und Pausenhotel in Groß-Nemerow. Eine lichte Gartenterrasse mit Aperol und Lillet in der hervorlugenden Abendsonne ist der würdige Abschluss für die abwechslungsreiche 64km-Tagesetappe.
Ausflug Burg Stargard
Pausentag heißt ja nicht Nichtstutag. Somit steht heute eine kurze Achtkilometerfahrt zur Burg Stargard auf dem Pausenprogramm. Sie ist im Norddeutschen Tiefland eine der wenigen Höhenburgen. Ich glaube, das sagt genug über die Anfahrt zu dem mächtigen Bollwerk aus.
1236 datiert der Baubeginn des Gemäuers, das eine bewegte Geschichte hinter sich hat. Herzöge aus Mecklenburg und Brandenburg stritten sich um die Residenz, die im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigt wurde und später durch einen Blitzschlag auch noch teilweise ausbrannte. Heute ist sie sehr schön restauriert und erstaunlich wenig besucht. Wir schleichen über das Kopfsteinpflaster und können nahezu unbeobachtet die Gewölbe bewundern.
Der Bergfried, also der runde Beobachtungsturm mit 27 Metern Umfang, wurde 1245 auf einem Fundament aus Findlingen erbaut. Im unteren Bereich sind die Mauern über vier Meter dick. Der Eingang selber befindet sich viel weiter oben. Vielleicht als letzte Verteidigungsmöglichkeit? Mir kommt Rapunzel in den Sinn. Sie wäre jedoch schon ziemlich schrumpelig, bis ihr Haar neun Meter lang gewachsen bis zum Boden reichen würde.
Richtig gruselig ist das Turmverlies. Unvorstellbar hier eingekerkert zu sein. Was mag derjenige angestellt haben, der durch das Angstloch mit der Seilwinde in 13 Meter Tiefe hinabgelassen wurde? Ich fürchte, gar nicht so viel, vielleicht nur aufmüpfige Reden gegen den Herzog. Auf jeden Fall dürften keine großen Überlebenschancen in der luftarmen dunklen Feuchte bestanden haben. 200 Lagen Stroh wurden bei Ausgrabungen gezählt. Eine rege Nutzung, denn sicher wurde nicht für jeden Eingekerkerten das Strohbett frisch gerichtet.
Trotz der sommerlichen Sonnenwärme schaudert es mich ein wenig. Ich muss an mein kuscheliges Bett im Hotel Bornmühle denken. Frisch bezogen, duftend und gemütlich. Dazu noch ein Wellnessbereich mit Sauna und Strandkörbern zur Erholung. Denn heute ist ja Pausentag und deshalb soll der Nachmittag einfach mal der Nichtstunachmittag werden. Klappt aber auch nicht ganz. Für euch die grad60-Geschichte schreiben ist angesagt. Aber das ist ja Spaß und Erholung in Einem.
Feldberg
Die Feldberger Seenlandschaft ist das heutige Ziel und ich dachte, mit 33 Kilometern auch gemütlich erreichbar. Aber die Stadt macht ihrem Namen alle Ehre. Nicht nur die Felder begleiten unseren Weg, sondern die Berge machen es schwer! Eiszeitstimmung! Die Gletscher haben es vollbracht. Abgelagertes Erdreich formte Hügel und schuf tiefe Seen. Nicht im Ansatz so tiefe Gewässer hinterließ der starke Regen der vergangenen Tage, aber ein wenig Slalom muss ich schon fahren, um nicht darin zu versinken
Aber gerade auf diesen abgelegenen Feldwegen bietet die Natur herrliche Anblicke und Düfte. Wildwachsende Kamillenblüten strecken ihre weißen Blütenblättchen und die gelben Blütenkörbchen in den blauen Himmel und erwehren sich dem angebauten Weizen.
Ich genieße die Natur, wenn ich mich nicht gerade auf die Wegstrecke mit starkem Gefälle konzentrieren muss oder anstiegsschnaufend und kräftezehrend in die Pedale trete. Das heutige Tagesziel ist nicht direkt Feldberg, sondern Fürstenhagen mit dem Hotel „Alte Schule“ und dem dazugehörigen Feinschmeckerlokal, einschließlich sechsgängigem Dinner. Die „Alte Schule“ liegt in der hügeligen Landschaft in the middle of nowhere. Kurz vor der Unterkunft zwingt ein Kopfsteinpflasterberg, sich noch einmal in Demut zu üben. Der hölzerne Schulleiter schaut von oben herab auf die Pennäler. Ich hab’s schon lange hinter mir und kann ihm daher etwas respektlos zu Leibe rücken. Ein Selfie ist für ihn mit Sicherheit neu.
Nachdem wir das „Lehrerzimmer“ beziehen, bestätigt sich der schon lange gehegte Verdacht. Der Schlüssel war in einer Box hinterlegt, denn hier ist heute Ruhetag. Auch im Restaurant. Nun ist Feldberg zwar nur sechs Kilometer entfernt, aber gefühlte 1000 Höhenmeter liegen auf der Strecke. Nochmal auf das Drahtross? Echt kein Bock. Und wenn es morgen das Gourmetmenü gibt, warum nicht heute die Lieferpizza? Gedacht – bestellt. Unter den kritischen Augen meiner Partnerin schleppe ich die Sitzgarnitur aus dem Schatten mitten auf die Kopfsteinpflasterstraße in die Abendsonne. Der Lieferpolo hält direkt vor unserem Tisch und wir genießen unser Dinner. Mit einem leichten Grinsen brabbel ich was von Pizza Ristorante und summe „La Dona e mobile“. Da Da Da Dididi… Morgen müssen die sich ziemlich anstrengen!
Und, war es gut?
Die Genusstour nähert sich dem Ende. Zeit, Bilanz zu ziehen, obwohl noch eine letzte Etappe bis Oranienburg vor uns liegt. Eines kann ich schon am Anfang verraten, die Bilanz ist dick im Plusbereich. Sport, Natur, Ruhe und in diesem Fall auch Luxus sind die perfekte Mischung für einen gelungenen „Heimaturlaub“. Aber nur weil es mit dem Rad praktisch von der Haustür losgeht, heißt das nicht, dass es billiger als eine Woche „Malle“ ist. Nur der Urlaub startet sofort mit dem ersten Tritt in die Pedalen. Kein Schlangestehen am Check-In, kein beengter Mittelsitz neben raumnehmenden Partytouristen und kein Langtransfer mit dem Bus (irgendwie werde ich immer im letzten Hotel abgesetzt). Auf dem Rad bin ich Teil der Natur und spüre unmittelbar jeden noch so kleinen Anstieg oder den kieferduftenden Wind, wenn das Streckengefälle eine Tretpause bietet.
Wenn ich mich den langen Tag auf guten und auch schlechten Wegen verausgabe, dann will ich auch gut ruhen. Deshalb haben wir recht luxuriöse Hotels gebucht. Und da kommt der Unterschied im Detail. In Corona-Zeiten gibt es kein Frühstücksbuffet, schon klar. Aber wie kurzsichtig ist es, im hochpreisigen „Kleines Meer“ in Waren für ein Spiegelei oder einen Cappuccino zum Frühstück einen Aufpreis von 1,50 Euro zu verlangen? Hilft das der Kasse wirklich weiter? Ich fühlte mich verarscht.
Wieviel anders die Bornmühle am Tollensesee. Eine freundliche Mannschaft, herzlich und offen. Ein Sitzplatzwechsel von der abendlichen Terrassenkühle in den Wintergarten ist nicht das geringste Problem. Hier fühle ich mich wohl und der aufmerksame Service wirkt natürlich und zugewandt.
Klar, auch hier passiert mal ein Fehler und das Abendessen gerät zur ungewollt mehrstündigen Veranstaltung. Nur gibt’s dann auch eine sehr großzügige Reaktion: die bestellten Luxus-Gin Tonics gehen als Entschuldigung auf’s Haus.
Einen Höhepunkt des Luxus bietet das Restaurant „Alte Schule“. Die dazugehörigen Übernachtungszimmer sind einfacher Standard, aber das Sternerestaurant in dem winzigen Ort Fürstenhagen hat Extraklasse. Vor dem Neun-Gänge-Menü genieße ich noch auf der „Schulbank“ davor einen Cappuccino.
Im rustikalen Schulgebäude kann nicht im Entferntesten von „Schulspeisung“ die Rede sein. Das Überraschungsmenü wird nur mit passend frischen Zutaten der Saison und Region zusammengestellt und ist ein einzigartiges Erlebnis. Wer hat schon in Lauch-Asche eingelegte Kirschen, Mohn-Zabaione und eingelegte, frische Tannennadeltriebe genossen?
Hört sich komisch an? Mag sein, schmeckt aber grandios. Von den Morgenpost-Menüs habe ich euch schon berichtet, das hier ist aber deutlich eine Klasse drüber. Im Geschmack und leider auch im Preis. Trotz der winzigen Portionen auf dem Teller summieren sich die neun Gänge zu einem wohlgefüllten Magen.
Obwohl Spitzenküche, sind zum Glück das Restaurant und die Gäste nicht gestylt und geleckt. Da hätte ich nämlich mit meinem Packtaschenkontingent nicht mithalten können. Die Kleidungsvorräte sind aufgebraucht und sehnen sich nach einer gründlichen Maschinenwäsche. Aber für 11 Tage ist alles so machbar. Sogar eine luxuriöse Genussreise mit dem Rad. Zur Nachahmung empfohlen!
Kommentar von Sebastian:
als ich den Post gelesen habe, sind meine Erinnerungen an diesen wunderschönen Fleck Erde wieder hoch gekommen! Ist das nicht unfassbar schön da?
Mir ging es genau wie dir: meine Auslandspläne fielen ins Wasser und ich habe nach einer Alternative gesucht. Wie du habe ich schnell aber sicher festgestellt, dass Deutschland wohl doch auch einiges zu bieten hat und man wilde Abenteuer, wunderschöne Natur und vor allem auch Tapetenwechsel praktisch direkt vor der Haustür finden kann.
Trotz des Corona-Chaos zu Hause, habe ich mich hin gesetzt und einen Artikel darüber geschrieben, warum der nächste Urlaub unbedingt an die Mecklenburgische Seenplatte gehen sollte: https://www.campingliebe.de/mecklenburgische-seenplatte/.
Auf meinem Blog schreibe ich regelmäßig über meine große Leidenschaft - das Campen und Reisen!
Vielleicht ist mein Artikel auch eine gute Ergänzung zu Ihrem Post und es wert verlinkt zu werden.
Grad60:
Na klar, wir verlinken den Artikel sehr gerne und wünschen dir viel Erfolg mit deinem Blog!
Und noch ein Fan der Mecklenburgischen Seenplatte hat uns geschrieben. Ein Kommentar von Marcel:
Bei den Bildern bekommt man sofort Lust, sich selbst wieder aufs Bike zu schwingen und einen weiteren Teil der Seenplatte zu entdecken. Sowieso habe ich das Gefühl, dass sich die Region bei jedem Besuch wieder von einer anderen spannenden Seite zeigt.
Auf mich hat das Land der tausend Seen immer schon eine Faszination ausgeübt. Meine allererste Klassenfahrt an den Woblitzsee bleibt unvergessen (nicht nur, aber auch, weil ich hier zum ersten mal eine kleine Ringelnatter gesehen habe, die für mich als Kind auch eine ausgewachsene Anakonda hätte sein können und ich beim Anblick des Tieres mein junges Leben schon an mir habe vorbeiziehen sehen).
Aber von diesem Kindheitstrauma abgesehen, blieben das Wasser, das Glitzern, das sanfte Plätschern der Wellen in bester Erinnerung. Jetzt, fast 25 Jahre, etliche Kurzurlaube, mehrere Kanutouren, drei Fahrradurlaube und einen Tauchurlaub am Dreetzsee später, habe ich zwar die versunkene Stadt Rethra noch immer nicht entdeckt, dafür aber so viele tolle Orte und Ecken, dass ich über all das und noch mehr einen umfangreichen Seenplatten-Guide verfasst habe, den ich auf meiner Seite veröffentlicht habe. Falls Interesse besteht, hier der Link: https://campingnerd.de/mecklenburgische-seenplatte/
Und übrigens: den Artikel habe ich ohne Bezahlung, Vergünstigung oder Beeinflussung geschrieben. Es ist keine objektive Bewertung, sondern er stellt meine persönliche Meinung dar. Weitere Informationen zu diesem Thema findet ihr auf unserer Seite Transparenz.