Papa ante portas
Papa ante Portas, das wäre ich jetzt, ich stünde als Pensionär vor den heimatlichen Toren, wenn da nicht die Verlängerungsoption gewesen wäre, die ich gezogen habe …
Warum habe ich verlängert?
Meine Synapsen hatten mich schon seit einiger Zeit ob des anstehenden Pensionierungstermins am 31.07.2018 wahnsinnig gemacht. Ich dachte und fühlte immer und immer wieder: „ … du bist noch nicht soweit …“ Und vor lauter Angst habe ich den Termin nach hinten verschoben.
Nun ist ein außer Kontrolle geratener Pensionierungsbammel nichts Besonderes, den haben bestimmt einige. Dennoch will ich damit offensiv umgehen. Weil ich mich besser fühlen werde, da bin ich ganz sicher. Ich habe beschlossen: ich hole mir Hilfe und zwar bei Familie und Freunden.
Deshalb sitzen wir jetzt hier im Tiergartener Schleusenkrug bei einer fiktiven und rein hypothetischen Pensionierungsfeier zusammen, um Tipps, Anregungen, Hilfestellungen für einen angehenden Ruhestandsbeamten zu diskutieren; ich möchte so viel wie möglich aufnehmen und in mein Portfolio packen.
Die Gruppe ist bunt gemischt: Mutter, Ehefrau (das Töchterlein ist leider wegen Studienabschlussstresses verhindert und der Bruder mit Familie wohnt in Freiburg zu weit weg) sowie ein bester Freund und drei Freundinnen, in der Mehrzahl deutlich über fünfzig Jahre alt mit einem weiblichen Küken von zweiundvierzig.
Ich habe an jede(n) der Mitwirkenden verschiedene Erwartungshaltungen:
Meine Mutter lebt entspannt im hohen Alter, regelt ihr Leben alleinstehend und ohne fremde Hilfe, ich habe hohen Respekt für ihre Haltung; Mutter, gib mir etwas gelassene Entspanntheit für den Blick auf die endliche Straße des eigenen Daseins!
Die beste Ehefrau von allen sieht keine Probleme im Umgang mit mir, jetzt nicht und auch nicht in zwölf Monaten; Petra, gib mir deine Zuversicht für‘s tägliche Miteinander!
Mario, einer meiner zwei besten Freunde, gebeutelt durch ein multiples Krankheitsbild, ist leider im Krankenhaus und deshalb nicht hier mit am Tisch wie geplant, ich werde ihn vielleicht per Liveschaltung dazu holen; er ist nicht larmoyant und versucht das Beste aus seiner Situation zu machen: Mario, gib mir als potenzieller Hypochonder mehr Vertrauen in die Weisheit des eigenen Körpers!
Thomas, der andere „grad60.com“ - Protagonist und zweite beste Freund, kommt daher als Bruder Leichtfuß und ist so locker, dass er bei nur einem µ (müh) mehr zusammenklappen würde; Thomas, gib mir ein Stück Sohle von deinen lockeren Füßlein.
Regina, die gute, alte (jung gebliebene) Freundin, mit einem rhetorischen Repertoire der Extraklasse, die immer in der Lage ist, mit femininen Charme jedem Paroli zu bieten, der es braucht; Regina, vermittle mir einen weiblichen Blick auf ein möglicherweise überwiegend männliches Problem.
Die Ehefrau Suse und die Lebenspartnerin Melanie haben aufgrund des unterschiedlichen Lebensalters mit Sicherheit differenzierte Sichtweisen auf den zukünftigen Umgang mit ihren Männern, wenn sie dann in Pension gehen; Suse und Melanie, gestattet mir einen Einblick auf eure Ausblicke!
Und dann geht es los!
Ich habe nach wenige Minuten das gute Gefühl, das wird was. Ich fordere alle nacheinander auf, frei von der Leber weg, offen und ehrlich, zu mir und meiner Wirkung, meinem Eindruck sowie meiner Haltung Stellung zu nehmen und anschließend Tipps und Anregungen für mich zu formulieren.
Am Anfang stehen so Sachen wie "Nimm den Tag, wie er kommt" oder "Lass einfach alles an dich rankommen", später kommen Dinge dazu wie "Vertraue dem Leben" und "Finde dein Urvertrauen wieder". Zwischendurch zitiere ich aus dem Brief meiner Tochter, die zwar heute wegen einer Prüfung nicht dabei sein kann, sich aber trotzdem Gedanken gemacht hat. Als angehende Psychologin haben ihre Zeilen viel Substanz, sie sind keine leeren Floskeln.
Etliche Stunden später fasse ich das Ergebnis zusammen:
Der letzte Arbeitstag sollte vorbereitet werden, der Pensionierungsbeginn ist ein längerer Prozess der Abnabelung und kein plötzliches Ereignis. Er bedeutet einen großen Schritt in einen neuen Lebensabschnitt, so ähnlich wie der erste Schultag, die erste eigene Wohnung, Hochzeit, Kinder, …
Wenn die "Leere des Daseins" oder der möglicherweise nicht mehr vorhandene Sinn des Lebens mir nicht den Mut zum Weiterexistieren rauben soll, brauchen die Tage Struktur. Strukturen könnte ich aus Aktivitäten sportlicher, künstlerischer oder sozialer Art aufbauen. Ich werde meinen Hobbies intensiver nachgehen, ich werde selbstverständlich meinen Anteil an der Haus- und Gartenarbeit erledigen (um des lieben Friedens willen sollte dieser Anteil deutlich größer als 50 % sein, ich denke so an 74,5 %; sonst könnte der Haussegen schon nach wenigen Tagen schief hängen).
Dieser letzte Abschnitt unter Gottes blauem Himmel kann viel Gutes und Schönes bringen. Zwar übe ich dann keinen Beruf mehr aus, bekommt kein Lob, keine Anerkennung, kein Feedback mehr, aber ich bin dafür auch nicht mehr fremdbestimmt. Ich gewinne Freiheit und vollständige Entscheidungsmacht zurück, das ist viel wert.
Die Arztbesuche werden zunehmen, weil Routineuntersuchungen dann noch viel öfter lästige Pflicht sind. Hypochondrie ist dennoch nicht angesagt; "vertraue der Weisheit deines eigenen Körpers", hat man mir gesagt, okay, werde ich probieren. Ich habe mit ihm -dem Körper- vereinbart, dass er mich richtig nervt, wenn was nicht stimmt; ansonsten soll er mich in Ruhe lassen.
Angst, Unwohlsein, Nervosität, das alles werde ich haben -am letzten Tag- das darf ich auch. Diese Gefühle dürfen nur nicht zu viel Raum in meinem Kopf einnehmen. Ich werde aber auch Freude empfinden, neugierig sein, erwartungsvoll und gespannt.
Hier noch ein Spruch, den ich mir hinter die Ohren schreiben werde: "Füge Dich der Zeit, erfülle Deinen Platz und räum' ihn auch getrost, es fehlt nicht an Ersatz!" (Friedrich Rückert)
Ich freue mich auf viele Anregungen, Bemerkungen, Hilfestellungen, schickt mir alles zu, denn ich bin da noch nicht richtig durch ... Nachricht: info@grad60.com
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