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Chemo ist ätzend

Chemo ist ätzend

Mein Sternzeichen ist Krebs und ich habe selbigen, im Darm; das heißt, ich hatte ihn, wie ihr bei „Adiós Apendix“ nachlesen könnt. Er ist raus und mit ihm zusammen rund ein Drittel des Dickdarms. Und jetzt? Jetzt befinde ich mich mitten in den Chemotherapie, weil es besser so ist, sagt man. Weil eine Therapie dieser Art die existenzielle Chancenlosigkeit, die Krebspatienten möglicherweise haben könnten, in eine gute Chance umswitcht, den Krebs zu überleben. Und es ist ätzend.

Heute beginnt der fünfte Zyklus. Immer im Abstand von zwei Wochen gehe ich ins Waldkrankenhaus Spandau, auf die Station 52, in das ambulante onkologische Zentrum. Hier lasse ich mich behandeln. Die haben einen guten Ruf und sind nahe bei.

Chemotherapie, Verlauf, Chancen

Ich habe einen Port, einen offenen Zugang zu einer Vene. Rechts oben, pectoral, also auf dem Brustmuskel. Dieser Port hat den Vorteil, dass die Infusionen, die Zytostatika, nicht über eine Armvene gegeben werden müssen, die jedes Mal mit allen potenziellen Gefahrenmomenten aufs Neue gestochen werden muss. Die größte Gefahr dabei ist, dass der Giftcocktail nicht in die Vene, sondern daneben läuft, ins Gewebe. Das könnte dann absterben. Der Port wird zwar auch angestochen, der Sitz ist aber genormt, da kann nichts daneben gehen.

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Im fünften Stock verlasse ich den Fahrstuhl, wende mich nach rechts und gehe den langen Gang hinunter zu den Behandlungsräumen. Ich bin weder nervös, noch leide ich unter neurotischen Kurzschlussreaktionen. Ich weiß was kommt. Ich gehe also weiter und suche nicht das Heil in der Flucht. Soll es geben. Wenn der Chemoleidensdruck größer ist als die Einsicht in die Notwendigkeit, dann nehmen Leute auch schon mal Reißaus, hat mir Frau Doktor erzählt.

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Schwester Nadine begrüßt mich, mit Maske natürlich, und lächelt, vielleicht. Auf jeden Fall ist sie total freundlich, wie alle hier. Auf dem Sideboard liegt das Equipment für die Prozedur. Gleich geht’s los.

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Zuerst wird der Port angestochen. Die Portnadel sieht schon Respekt einflößend aus, auf jeden Fall. Aber ich kenne das ja schon! Es pickst nur leicht.

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Dann wird der Zugang bis zur Vene mit Kochsalzlösung angespült. Anschließend kommt mein Blut in zwei Röhrchen und geht ins hauseigene Labor.

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Die Überprüfung der Blutwerte geht schnell. Inzwischen nehme ich im Zimmer eins Platz und warte auf die Ergebnisse. Da alle Werte noch halbwegs in Ordnung sind - entscheidend sind das Hämoglobin und die Leukozyten - kommt nach zwanzig Minuten meine Schwester mit den Infusionsbeuteln. Sie werden an einen Infusionsautomat angeschlossen, der für die richtige Verteilung sorgt.

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Nun heißt es warten, ca. viereinhalb Stunden. Zwischendurch kommt Frau Doktor und horcht mich aus, wie es mir geht. Ansonsten Lesen, Musik hören oder Dösen, je nach Gusto. Zu merken ist nichts. Das Teufelszeug tröpfelt in meine Vene und tut ganz harmlos. Ich bekomme Oxaliplatin, 5-Fluoruracil und Folinsäure. Diese Kombination ist zur Therapie eines kolorektalen Karzinoms zugelassen. Also genau passend für mich. Und alles läuft durch diesen kleinen Port. Gute Technik.

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Oxaliplatin bewirkt, dass im Körper entstehende Stoffwechselprodukte mit der DNA interagieren und Quervernetzungen in und zwischen den DNA-Strängen bilden. Das führt schließlich zum Zelltod. Im Idealfall zum Tod von Krebszellen. Ähnlich wirken 5-Fluoruracil und Folinsäure. Natürlich werden auch gesunde Zellen angegriffen. Das führt zu Nebenwirkungen. Die häufigsten sind Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Entzündungen der Schleimhäute, Veränderungen des Blutbilds und periphere-sensorische Neuropathie, das heißt Kribbeln und Gefühlsminderungen an den Fingern und Füßen.

Das Zeug aus den Beuteln ist durch. Jetzt bekomme ich meine 50-Std-Pumpe umgehängt und angestöpselt. Die trage ich nun nervende zweieinhalb Tage mit mir rum, Tag und Nacht.

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Ich fahre nach Hause. Unmittelbar beim Erreichen der Heimstätte setzt das Kribbeln in den Fingern ein. Es ist besonders stark, wenn es kühl ist. Ich kann kaum noch zufassen. Die Hände mit warmen Wasser zu waschen, hilft. Da ich schon früh am Tag zur Therapie gefahren bin und nichts gegessen habe, verspüre ich jetzt Hunger. Aber Achtung, die Mundschleimhaut ist angegriffen und die Speicheldrüsen schmerzen, wenn ich etwas esse. Die großen Ohrspeicheldrüsen sind besonders aktiv beim ersten Biss, bis zu fünf Mal stärker als im Ruhezustand. Normalerweise merkt niemand bewusst, wie Speichel beim Essen im Mund produziert wird. Bei mir bedeutet es Schmerz! Ein kleiner Bissen und es zeckt!

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Zur Minderung dieser Symptome spüle ich den Mundraum mit einer Lösung, die unter anderem die Wirkstoffe Salbei, Eucalyptus, Pfefferminz, Zimt, Nelke und Fenchel enthält. Der Name ist Salviathymol. Außerdem lasse ich eine Panthenol-Tablette unter der Zunge zergehen. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand schiebe ich mir dann ein kleines Stück Keks zwischen die Lippen. Vorsichtig beiße ich rein und warte den Schmerz ab. Er kommt und geht. Nach einigen Sekunden ist es fast normal. Ich kann essen.

Nun folgt die zweite Gemeinheit! Übelkeit! Mit dem Medikament Ondansetron habe ich das aber recht gut im Griff. An den ersten drei Tagen nehme ich jeweils eine Tablette. Das reicht, könnte man meinen. Doch bei so viel Zeugs meldet sich dazu mitunter Sodbrennen. Da hilft Riopan Magen Gel. Schmeckt zwar einigermaßen eklig, hilft aber sofort.

Und was fehlt jetzt noch? Nun, eigentlich braucht sich niemand mehr zu wundern: Auch Durchfall quält mich zeitweise. Dagegen könnte ich Loperamidhydrochlorid nehmen, ein Wirkstoff, der auch im Medikament Imodium enthalten ist. Bisher geht es aber ohne.

Ich ruhe mich aus. Denn meine Kondition ist im Eimer. Schlapp hänge ich zwischen den Kissen. Ich komme mir vor wie einer, der eine Rolle spielt, ohne das Drehbuch zu kennen. Die Situation ist absurd. Die Fakten sprechen für eine hundertprozentige Heilung. Mein Geist bleibt aber immer wieder an Sätzen hängen, die sich mit meinen baldigen Krebstod beschäftigen. Vor einigen Monaten hatte ich noch ein völlig ungetrübtes Leben vor mir. Jetzt ist alles anders.

Ich hoffe, dass es nach der Chemotherapie keine ins Unendliche fortschreitende Annäherung an den ersehnten Zustand von vorher wird. Diese Lebensphase sollte kommentarlos, ohne feierliches Menu, ohne einen Aufstand zu machen, in der Vergangenheit versinken und nicht mehr wiederkommen

Chemotherapie, Verlauf, Chancen

Der Tag nähert sich dem Ende. Schlafenszeit. Mit dem Pumpen-Beutel auf der Brust, der auf den Solarplexus drückt, nicht so einfach. Ich schiebe ihn zur Seite, dann zieht es aber am Hals. Ich unterstütze den Beutel mit dem Oberarm. So geht’s. Geruhsamer Schlaf sieht anders aus. Ständig werde ich wach und kann nur schwer wieder einschlafen. Krebs ist eine Bürde, Krebs ist eine Krux, Krebs ist Substanz gefährdend. „Warum gerade ich?“, grüble ich. „Warum gerade du nicht?“, antwortet mein inneres Kontrollzentrum. „Und du hattest Glück“, flüstert Major Tom, „weil der Krebs entdeckt worden ist.“ Eine Kommunikation wie zwischen Robinson und Freitag. „Ruhe jetzt“, brülle ich lautlos, „ich will schlafen!“

Der Morgen wirkt zerknautscht. Wie immer bin ich am dritten Tag ziemlich angezählt. Ein dunkler Warlord in Pumpenform hängt an meinem Hals. Mit denen kann man ja bekanntlich nicht verhandeln. Nachdenklich betrachte ich mich im Spiegel. Ich muss da durch. „Lächle, du Sack“, sage ich schließlich zu mir und grinse.

Chemotherapie, Verlauf, Chancen

Heute ist Mittwoch, ich werde die Pumpe wieder los. Es wird aber bis zum Abend dauern. Es sind insgesamt 100 Milliliter. Pro Stunde gibt der Apparat zwei Milliliter ab. Dauert also mindestens 50 Stunden. Der letzte Rest ist immer sehr zäh. Es tröpfelt so vor sich hin. Dann ist endlich alles in meinem Körper. Ich fahre ins Waldkrankenhaus auf die innere Onkologie. Schwester Karo nimmt sich meiner an; sie unterbricht die Abendversorgung der Patienten. Hier war ich auch während des Einsetzens des Ports. Sie kennt mich und ist entspannt und freundlich. Das Abnehmen ist kaum zu merken. Desinfizieren, Pflaster drauf und Tschüss.

Warum ich das hier für euch aufschreibe?

1. Unser Claim heißt: Jetzt haben wir Zeit für uns! Aber niemand weiß, wie viel! Nutzt sie, wann immer ihr könnt. Jeder Tag ist ein Geschenk.

2. Wenn das Schicksal zuschlägt, mit Vernunft und Zuversicht nach vorne schauen. Und wenn es manchmal auch nur wie das laute Pfeifen im dunklen Wald wirkt. Es hilft trotzdem.

3. Es hilft mir, andere teilhaben zu lassen am eigenen Schicksal. Macht das auch; es wirkt. Mit Sicherheit.

4. Versucht, eine Haltung zum Geschehen zu entwickeln und daran festzuhalten. Es wirkt wie ein sicherer Kurs durch unruhige See.

Wer uns über sein Schicksal berichten will, schreibt uns, wir werden es veröffentlichen. Am besten eine Mail an info@grad60.com

 

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