Wein am Rüdi
Kein einziger Tisch ist frei und das ist auch gut so! Warum? Ich werde es erklären.
Der Entschluss ist relativ spontan. Mal wieder ein Gläschen Wein trinken auf dem Rüdesheimer Platz in Wilmersdorf. Das Wetter ist passend: schmeichelnd warm und nicht mehr schwitzig heiß. Als meine Partnerin und ich den Platz erreichen, umhüllt uns ein Stimmengebrumm von mindestens 400 Menschen an den Bier- ähh Weinbänken. Gleich vorne eine lange Tafel mit Torte, Kerzen und Papptellern. Daneben eine Reihe, die auch als Tupperware-Werbeveranstaltung durchgehen könnte.
Denn hier ist ein Gartenlokal, in das das eigene Essen mitgebracht werden darf. Und so tafeln die Besucher mitgebrachte Kartoffelsalate, Antipasti und Käsewürfel auf und holen sich an der Bretterbude den passenden Wein. Aber auch der Pizzabäcker um die Ecke macht sein Geschäft, wie die Pizza-Kartons auf den Tischen zeigen.
Eine Runde über den Platz bestätigt den ersten Eindruck: hier ist alles voll. Am Weinbrunnen auf dem Rüdesheimer Platz heißt das aber noch lange nicht, jetzt wieder zu gehen. Ein Plastiktisch kurz vor der Bude scheint nicht übervoll zu sein. Die Nachfrage bestätigt den Eindruck: die Ecke wäre frei, aber es sind keine Stühle da. Eine kurze Suche über den Platz löst auch dieses Problem. Ich kann zwei Plastikstühle auftreiben und mit zwei Gläsern Weißwein vom Weingut Wilhelm Nikolai stoßen wir auf den kleinen Erfolg an. Und dann zeigt sich genau der Reiz, eben nicht getrennt an kleinen Zweiertischen zu sitzen.
Wir kommen mit Bogo und Ute ins Gespräch. Wir reden über Kultur und Reisen und erfahren, dass die Beiden ihre Winterzeit regelmäßig auf der Kanareninsel La Palma verbringen. Ich kann es gar nicht fassen, dass Bogo, mit modischem Hemd und stylischer Brille, schon 81 Jahre zählt. Für eine geplante Reise der Beiden nach Südafrika können wir ein paar Informationen liefern und für einen Kurzeindruck weise ich auf unseren Blogbeitrag 90 Sekunden Südafrika hin.
Währenddessen breiten drei weitere Weingenießerinnen an unserem Tisch eine kleine Decke aus, um stilecht von klargrünen Tellern einen Imbiss zu nehmen. Da die Decke nur für eine Seite des Tisches reicht, wird uns versprochen, das nächste Mal mit größerer Decke auch an uns zu denken. Genau diese lockere, intellektuell angehauchte und entspannte Stimmung macht den „Rüdi“ zum gefragten Platz, der schon lange kein Geheimtipp mehr ist.
Als Bogo und Ute sich verabschieden, erfahren wir von einer der Tischdecken-Inhaberinnen, dass sie jeweils mit anderen Freundinnen jeden zweiten Tag den Weinbrunnen besucht. Bis zum 10. September kann man in diesem Jahr das Angebot von verschiedenen Weingütern an diesem traumhaften Platz noch intensiv nutzen. Und auch zur Geschichte des Platzes kennt sie sich aus: letztes Jahr wurde der 50. Jahrestag des Rheingauer Weinbrunnens auf dem Rüdesheimer Platz gefeiert, der 1967 mit einer zweiwöchigen Veranstaltung startete. Eine Zeitlang sah es so aus, als wenn Anwohnerklagen wegen Lärms dem Kleinod ein Ende bereiten würden. Das scheint inzwischen beigelegt, auch weil streng auf die Schließzeit 21.30 Uhr geachtet wird.
Ihre Freundin berichtet dann noch über eine andere interessante Veranstaltung: Tanzen unter freiem Himmel im Monbijoupark in Mitte. Hört sich spannend an.
Melanie und ich verlassen den Weingarten über die Grünanlage und werfen noch einen Blick zurück auf die Lichterketten hinter „Siegfried den Rosslenker“, dem eigentlichen Brunnen auf dem Rüdesheimer Platz.
Liebe grad60-Leser, habt ihr alte und neue Fotos und Geschichten? Dann schreibt doch bitte an info@grad60.com. Vielleicht auch schon etwas über die Tanzveranstaltung im Monbijoupark?