Test am BER
Eure grad60-Schreiber überlegen vor jeder Aktivität, ob der Tag ausreichend viel für einen Bericht liefern wird. Und fast jedes Mal gibt es Ereignisse und Erlebnisse, die vorher nicht eingeplant waren und gut für eine Geschichte sind. Das wird auch diesmal hier auf dem Flughafen BER so eintreffen. Aber von Anfang an:
Seit Wochen für den BER-Flughafentest angemeldet, starte ich heute mit der BVG zum Airport. Am S-Bahnhof Schönefeld steht der Shuttlebus bereit und bringt mich mit anderen Komparsen zu dem Bauwerk, das schon jahrelang für Hohn und Spott gesorgt hat. Ich drehe eine Runde über den menschenleeren Vorplatz. Hier sieht alles fertig aus, aber so richtig kann ich mir nicht vorstellen, wie in einem Monat hier das Leben wuselt.
Wir Komparsen bekommen am Eingang eine Versorgungstüte, einen Flughafenausweis am Bändchen und eine leuchtgrüne Weste „ORAT-Flughafen-Tester“. ORAT heißt Operational Readiness and Airport Transfer und bezeichnet die Generalprobe für einen neu erbauten Flughafen. Dazu wird mir eine Regieanweisung in die Hand gedrückt. Ich heiße ab sofort Kaja Bremer und bin etwas enttäuscht. Mein Flug geht mit Eurowings nach Düsseldorf. Verrückterweise hatte ich auf einen Flug nach New York gehofft.
Dafür habe ich mit dem Gepäck mehr Glück. Ich muss mir nur einen Koffer vom Gepäckband nehmen. Andere sind da schwerer beladen. Sie müssen Kofferfrachten mit dem Gepäckwagen herumbugsieren oder bekommen riesiges Sperrgut zum Transport. Da am Gepäckband freie Auswahl herrscht, entscheide ich mich für einen handlichen weinroten Rollkoffer.
Die Halle mit den Gepäckbändern sieht nüchtern-hässlich aus. Letztendlich so nüchtern wie auf allen größeren Flughäfen der Welt. Obwohl die Bänder stillstehen, scheint hier alles baufertig zu sein. Keine offenen Kabel, keine Gerüste, sogar die Monitore über den Bändern zeigen Werbung. Ein BMW dreht seine endlosen Runden durch die Wüste oder schleudert durch futuristisches Ambiente. Weniger futuristisch, aber auch keine Wüste, ist die Abfertigungshalle, der wir uns über die Rolltreppe nähern. Darüber schwebt der fliegende rote Teppich als Kunst am Bau. Erstaunlich unverstaubt trotz seiner Jahre in der Flugbereitschaft.
Mein Flugticket erhalte ich an einer der nussbaufarbigen Eincheck-Inseln. Eurowings scheint heute gut gebucht zu sein. Die Wartenden schlängeln sich im Zickzack vor dem Counter. Wie immer habe ich keine Lust, mir die Beine in den Bauch zu stehen und hoffe auf ein Abebben des Zustroms. Mein Flug geht in gut einer Stunde, also keine Panik. Ich warte. Als die Schlange kürzer wird, reihe ich mich zwischen die Absperrbänder ein.
„Noch jemand nach Düsseldorf?“, erschallt die Frage vom Counter. Oha, da war ich wohl doch etwas sehr lässig. Ich darf vor, werde meinen Koffer los und bekomme mein Flugticket. Der Weg zur Sicherheitskontrolle ist nicht weit, nur hier ist wieder eine veritable Schlange. Bei einem Echtflug würde ich langsam nervös werden, zumal ich nach dem Körperscanner noch einmal besonders gefilzt werde. Schuhe aus, Sprengstoffabstrich, das volle Programm. Ich laufe zügig durch das noch unbestückte Alkohol-, Zigaretten- und Parfümgeschäft und muss auf die unebenen Bodenplatten aus Spanholz achten. Das ist hier noch Baustelle, aber die Marzipanregale stehen schon aufnahmebereit im Duty-Free-Shop.
Gerade noch rechtzeitig erreiche ich meinen Abflug, bekomme meine Bordkarte gescannt und steige in‘s Flugzeug. Es ist kein Airbus, sondern ein MAN ohne Flügel, der zur Startbahn rollt. Wir Flughafentester bekommen eine Besichtigungstour mit dem Bus über das Rollfeld, am Tower vorbei und sehen Dutzende abgestellte Lufthansa- und EasyJet-Maschinen mit abgedeckten Triebwerken, die hier ihre Corona-Pause erleiden. Nicht weit entfernt von den Andock-Brücken für den Riesenflieger A380 steht betriebsbereit eine nicht ganz so große Maschine.
Nach wenigen Minuten landet unser Diesel-Jet wieder am BER mit mir als Transfer-Reisenden. Ich komme mir wie ein Geheimagent vor, denn ich wechsle meinen Namen und heiße jetzt Joao Pinto. Doch statt nach Brasilien geht mein nächster Flug nach Luxemburg. Die Abflugzeit ist 15:15 Uhr, also reichlich Muße für eine Besichtigung des Airports auf eigene Faust. Er sieht fertiggestellt aus, nur noch an wenigen Stellen sehe ich offene Deckenplatten oder Durchbrüche. Die meisten Arbeiten finden in den Geschäften, Restaurants und Imbissen statt. Aber auch hier sind zum Teil schon die Einrichtungsgegenstände staubsicher aufgestellt. Lediglich in der Haupthalle ragt noch ein riesiges Gerüst bis zur Decke. Hoffentlich nichts mit Brandschutz …
Der Flughafen Willy-Brandt wirkt auf mich solide bis bieder. Er sieht ganz okay und funktional aus, wird aber auch niemandem ein „Ahh“ und „Ohh“ entlocken. Kein architektonisches Highlight wie das Oktagon vom Flughafen Tegel, sondern ein gediegener Zweckbau, wie er überall auf der Welt stehen könnte. Ich vertilge noch meine Verpflegung und schaue anschließend auf die Abflug-Displays und erfahre, dass ich zu meinem Gate 37 Minuten brauche.
Na dann mal los. Die Ausweiskontrolle ist automatisiert und geht schnell. D07 ist mein Ziel und ich blicke in einen endlosen Terminalgang. Das ist sportlich, hier könnte gefühlt auch ein Indoor-Marathon ausgerichtet werden. Und keiner könnte illegal sein Tempo mit Laufbändern erhöhen. Die gibt’s hier nicht. Für geheingeschränkte Menschen nicht nur eine Herausforderung, sondern bei ganz hinten gelegenen Check-In’s kaum zu Fuß zu schaffen.
Etwas erschlafft erreiche ich D07 und hier beginnt meine kleine Extrageschichte. „Hier geht’s nicht nach Luxemburg“, bekomme ich zur Auskunft. Was? Ich habe mich auf der Tafel verlesen und bin jetzt in Non-Schengen-Bereich. Nur alleine komme ich hier nicht mehr raus. Ich erschrecke einen freundlichen Mitarbeiter an der Info, der nach einigem Suchen die richtige Rufnummer für eine Hilfe findet. Die BER-Mitarbeiterin trifft nach 25 Minuten bei mir ein: „Ich war am anderen Ende!“ Meine Zeit wird knapp. Und obwohl es ja nur eine Übung ist und mich keine Luxair fliegen wird, bin ich etwas nervös. „Das habe ich jetzt auch noch nie gemacht!“, ist die wenig beruhigende Auskunft der jungen Dame. Sie schleust mich über ein Treppenhaus zwei Etagen tiefer, um dann festzustellen, dass wir hier falsch sind. Also wieder hoch und zum nächsten Treppenhaus. Das ist richtig und sie begleitet mich durch die Passkontrolle. Die Mitarbeiter der Bundespolizei erwarteten heute bei der Übung offensichtlich keinen Passagier mehr und schauen irritiert. Ich kann schnell passieren. „Oh, das war falsch!“, stellt meine persönliche Test-Probandin fest. „Wir hätten zum Transfer gemusst. Der Flug ist natürlich weg. Aber sehr schön, jetzt hab‘ ich’s gelernt!“ Na, das hoffen wir dann mal für den Echtbetrieb. Und so verlässt Problempassagier Neuendorf alias Joao Pinto den BER mit einem Lächeln. Ich denke an diesen Blog-Artikel und sehe: Geschichten entstehen beim Erleben!