Havelberg - Ein kurze Stadtbesichtigung
Durst ist stärker als Heimweh. Stimmt irgendwie. Wobei Heimweh nach zwei Tagen gemeinsamer Radtour die Havel entlang eher unwahrscheinlich wäre. Dennoch fühle ich mich etwas wehe, nämlich durstig. Leider stehen wir so früh am Nachmittag vor den geschlossenen Toren eines Biergartens, direkt gelegen an der Sandauer Brücke, wo die B 107 die Havel überquert und in die Stadt gleichen Namens plus Erdhügel, sprich Havelberg, führt.
Aber nicht verzweifeln. Mit Peilung Ost-Nord-Ost sehe ich ein Schiff am Ufer der Havel liegen. Nicht so weit weg, fußläufig quasi, ein Verdursten bis zum Erreichen ist unwahrscheinlich. Es ist das Restaurantschiff Hoffnung.
Freundlich begrüßt und Platz genommen, ordere ich einen halben Liter Carlsberg vom Fass; meine Ehefrau und ausdauernde Radbegleiterin nimmt einen Lillet Wild Berry, der mit Abstand spektakulärer aussieht als mein Bier.
Hunger haben wir auch schon etwas, aber die Speisekarte ist ziemlich Fleisch lastig und Veggieburger wollen wir nicht schon wieder essen; wir bleiben bei den flüssigen rekonvaleszierenden Helfern. Unsere Stimmung ist ausgelassen albern. Ihr kennt das bestimmt. Wenn man ausgepowert, mit wenig bis gar keiner Nahrung im Magen, Alkohol zu sich nimmt, knallt es sehr zügig in der Birne. Mich reitet deshalb auch der Teufel und ich frage die Bedienung nach einem hübschen Spaßmacher im kleinen Glas, einem Schnaps. Nach kurzem Wortgefecht bringt mir Madam einen vollwürzigen Natur-Kraft-Kräuter-Likör, er heißt „Roter Hengst“.
Übermütiger Weise habe ich 4 cl bestellt, 2 hätten es auch getan. Feurig durchdringend bis in die letzten Haarwurzeln, glaube ich sofort an die Sage, die mit diesem Getränk verbunden ist. Die Geschichte, in der es um einen ermatteten Hengst, einen Zaubertrunk und eine barbusige Reiterin geht, spielt im Mittelalter, um das Jahr 1490 rum und ist hier sehr anschaulich erzählt. Der Geschmack dieses Kräuterlabsals ist wahrhaftig und im vollsten Sinne diese Wortes umwerfend. Ich kann allen Testern und Testerinnen nur raten, belasst es bei 2 cl, wirklich, es ist besser so. Im Übrigen ist diese Schiffs Location nicht ungeeignet, um sich gemütlich an den Sitzen und Tischen festzukrallen. Aber, es ist ja noch nicht aller Tage Abend, wir haben noch Einiges vor. Also verlassen wir nachhaltig beschwingt das Bötchen und starten die Stadtbesichtigung.
Wir sind auf der Stadtinsel von Havelberg und gehen über die Mühlenstraße Richtung Marktplatz. Kurz vor dem Rathaus versperren uns mehrere kleine, bunte Autos die Sicht. Liegt es an der Alkoholstimulanz oder sieht diese Trabiparade wirklich so toll aus? Uns gefallen die hübsch gemachten Plastebomber jedenfalls sehr.
Das Rathaus sieht schmuck, ziemlich neu oder zumindest frisch renoviert aus und lässt nichts von der mehr als eintausend jährigen Geschichte dieser Hansestadt erahnen.
Das ist bei der Heiliggeistkapelle, dem sogenannten Beguinenhaus, ganz anders. Die kleine Kirche und spätere Hospital aus dem Jahr 1390 steht am Rande des Salzmarktes und ist neben der Stadtkirche das einzige erhaltene Beispiel für mittelalterliche Bebauung. Die blutroten Ziegel sind meisterhaft restauriert, auch der Rest des Hauses ist in einem sehr ordentlichen Zustand. Man sieht dem Bau sein Alter nicht an.
Einmal um die eigene Achse gedreht, springt mir der Anblick eines anderern Hauses ins Auge, bei dem meine Frau die Augen verdreht bis nur noch weiß zu sehen ist. Total überwuchert, nur mühsam die Fenster frei geschnitten, ist das ihr Albtraum. Warum? Nur Arbeit mit dem Grünzeug, meint sie. „Und macht man mal eine Woche lang nichts, kriegt man kaum noch die Fenster auf“, fügt sie hinzu. Ich weiß gar nicht, was sie hat. Ist doch sehr romantisch.
Wir queren den Stadtgraben, der die Altstadt zur Insel macht und steigen via Prälatenweg die ganz schön lange, hübsch gemachte Treppe zum Dom St. Marien hoch.
Im Mittelalter entwickelte sich in dem günstig an Elbe und Havel gelegenen Städtchen der Schiffbau zu einem tragenden Wirtschaftszweig und selbst Zar Peter der Große traf sich hier mit Friedrich-Wilhelm I. zu Verhandlungen. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen des Bernsteinzimmers, stehen die hier, auf dem Domplatz; lebensgroß in Bronze gegossen. Sehr imposant, die Figuren. Wobei der Zar richtig cool aussieht und der dicke Soldatenkönig eher schlumpfig.
Das ganze Ensemble wird aber dominiert von dem mir riesig groß erscheinenden Dom. Besonders der als „Sächsischer Westriegel“ bezeichnete, das Langhaus überragende, querrechteckige Baukörper direkt vor uns ist gigantisch. Ich stelle mich an die eine Ecke und lasse mich fotografieren, um zu verdeutlichen, wovon ich hier rede.
Ich hätte mich gern drinnen mal umgesehen, aber die Kirche ist verschlossen. Egal, der Hunger ist jetzt sowieso nicht mehr zu ignorieren, wir brauchen Kalorien. Wir besuchen den Italiener am Platz, das Restaurant „La Dolce Vita“ in der ehemaligen Domschule, und lassen es uns gut gehen bei Salbei-Gnocchi und Pizza Vegetariana, einem guten Rotwein und einem hervorragenden Eisbecher zum Abschluss. Der Maestro Italiano ist zu empfehlen: angemessene Preise, gutes Essen, freundliches Personal. Nach rund anderthalb Stunden sind wir wieder draußen und benutzen die Treppe in umgekehrter Richtung. Unten am Stadtgraben schauen wir uns noch ein wenig um und bewundern die Grundstücke am Wasser. Und die unterschiedlichen Fortbewegungsmittel.
Fahrradfahren ist ja eine schöne und meistens auch zügige Art des Vorwärtskommens, aber mit einem Kanu auf einem Fluss zu wandern, wäre auch nicht schlecht, oder? Mal sehen, was noch so kommt, das machen wir mal. Auf dem Weg zurück zum Altstadtcafé mit Pension, wo wir sehr gut und preiswert untergekommen sind, bewundere ich am Straßenrand eine Distel. So eine hübsche Pflanze!
Die Adresse unserer Schlafstatt ist zwar die Fischerstraße 37, da es aber schon später ist und das Café geschlossen, müssen wir über den Hintereingang am Stadtgraben rein. Hier gibt es auch einen kleinen Biergarten, eine Möglichkeit die Fahrräder wegzuschließen und einen Durchgang nach vorn zur Gaststube, wo wir morgen frühstücken werden. Lustig finde ich die Holzleiter an der Wand. Ob die früher zum Fensterln gedacht war? Eher nicht. Das machen doch wohl nur die Bayern, gell?
Die Nacht ist absolut ruhig. Wir schlafen wie die Steine, genießen ein tolles Frühstück, verabschieden uns schließlich gegen 10:00 Uhr beim Team des Altstadtcafés und treten wieder in die Pedale Richtung Elbe-Havelmündung und weiter bis nach Wittenberge.
Resümee: Dieses kleine Städtchen ist unbedingt einen Besuch wert; vielleicht nehmt ihr euch ein wenig mehr Zeit als wir, es gibt viel Altstadt und Einiges drumherum zu entdecken. Und solltet ihr den roten Hengst probieren: Vorsicht, der Gaul könnte mit euch durchgehen.
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