Rügen – Mehr als Kreide!
Für meine Grundschullehrerin Frau Rychlick wäre der Nachschub an Tafelkreide ein Traum. Hier auf Rügen gibt es sie in Massen. Natürlich nicht in Stiftform, sondern als Berg mit Namen Königsstuhl. 3,5 Millionen Jahre dauerte es, bis der weiße Felsen seine Höhe von 118 Metern erreicht hatte. Die Kreide besteht aus Kalkskeletten winziger Algen und einzelliger Tierchen, die sich am Meeresgrund ablagerten und im Laufe einer Ewigkeit dieses Wahrzeichen bildeten. Also viel zu wertvoll, als mit 12:4=3 auf der grünen Fläche zu enden.
Soweit so gut! Aber ich wollte euch ja mehr zeigen als diesen Ausblick von der Victoria-Sicht auf das bekannteste Naturspektakel Rügens. Denn es gibt hier noch so viele unbekannte Ecken zu sehen, die außerhalb der Hochsaison nahezu exklusiv zu entdecken sind. Bevor ich mit euch diese „geheimen“ Stellen aufsuche, darf ein weiteres Highlight allerdings nicht unerwähnt bleiben: Kap Arkona! Der sonnenreichste Platz von Deutschland. Jedes Jahr werden 1750 Sonnenstunden serviert. Bei einer durchschnittlichen Tageslänge von 12 Stunden sind das rechnerisch wie viele komplette Sonnentage? …na Frau Rychlick? Richtig: gerundet 146! Heute ist leider Restetag, es gibt Wolken mit Nieselregen.
Insgesamt drei Leuchttürme sendeten ihr Licht auf die Ostsee, um der Schifffahrt ein sicheres passieren der Insel Rügen zu ermöglichen. Heute sind sie nicht mehr für die Navigation notwendig und dienen Touristen als Aussichtsplattform. Nichtdestotrotz sind sie interessante Industriedenkmäler, die eine Umrundung lohnen, zumal eine Treppe hinab zur Ostsee führt und sich dort ein kieselsteinholpriger Spaziergang anbietet.
Aber nun zu meinen Entdeckungen auf dieser Insel, die weit größer ist, als man oberflächlich annimmt. Bei dem Begriff „Märchenwald“ auf der Nordwest-Halbinsel denke ich zuerst an ausgeblichene Betonzwerge und ein bemoostes Plastik-Dornröschen. Das liegt bei der Überquerung eines, mal freundlich ausgedrückt, naturbelassenen Campingplatzes auch nicht so fern. Auf das Schlimmste gefasst, stehe ich unvermittelt im Märchenwald. Läuft da hinten nicht Rotkäppchen? Ein Lüftchen weht ein leises: „Ach wie gut, dass niemand weiß…“ zwischen den bizarr geformten Buchen heran. Der Wind hat den Bäumen beim Wachsen arg zugesetzt und hier eine Traumwelt geschaffen.
Der dicke Gallier mit seiner weiß-blau gestreiften Hose könnte hier bei der Wildschweinjagd durchaus auch auftauchen. Noch viel besser passt er allerdings mit seinem Hinkelstein zum Großsteingrab Nobbin. Es ist eine aus Findlingen errichtete Megalithanlage. Und damit ihr nicht Frau Rychlick fragen müsst, Megalith heißt in der Archäologie ein großer, meist unbehauener Steinblock, der aufrecht hingestellt wurde. Also Obelix‘ Hinkelstein, nur viel früher. Denn schon in der Steinzeit im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden hier Tote beigesetzt. So belegen es jedenfalls zwei Schädel und einige zerbrochene Gefäße, die bei Ausgrabungen gefunden wurden. Einfach so kommt man an diesen historischen Ort heran. Bei weitem nicht so gewaltig wie Stonehenge, dafür ohne Abzäunung, ohne Eintritt und ohne Menschenmassen. Für einen Zwischenstopp auf jeden Fall spannend.
Bei so viel Mystik zieht es mich noch einmal in den Wald. Aber nicht zu dem großen Buchenwald im Nationalpark Jasmund, sondern es soll noch mal was verhextes sein: die Krüppelbuchen bei Lietzow. Auf einem kleinen Waldweg, nicht weit entfernt von einem Wasserturm, stehen sie in einem Kreis beieinander. Sie recken ihre gespenstischen Arme in den passend nieselfeuchten Nebel. Ich bin sicher: Das ist das Urlaubsdomizil der Damen vom Brocken.
Nach so vielen ungewöhnlichen Eindrücken darf es noch mal etwas typisches für Rügen sein. Eine kleine Strandwanderung mit rauschenden Wellen und angespültem Seegras. Wer Lust und ein gutes Auge hat, wird dabei vielleicht auch noch reich. Gerade im Herbst und Winter soll die Chance auf einen Bernsteinfund nicht schlecht sein. Und der Preis pro Gramm liegt deutlich höher als bei Gold. Ich habe jedenfalls kein Glück. Ein neues Bernsteinzimmer werde ich nicht erschaffen können.
Wie ihr wisst, bin ich ein begeisterter Fahrradfahrer, wie ich es auf unserem Fahrradblog beschreibe. Für ein verlängertes Wochenende sind auf dieser wunderschönen Insel die Entfernungen aber zu groß. Daher bin ich sehr froh, dass ich die Tour mit meiner Partnerin Melanie unternommen habe, die mich mit dem Auto von einer Sehenswürdigkeit Rügens zur anderen kutschiert hat. Denn, ich hasse Autofahren. Etwas durchgefroren endet unsere Erlebnistour auf Rügen in einem der bekanntesten Urlaubsorte der Insel: Binz. Das Seebad bietet das volle Angebot für Ostseeurlauber, mit Geschäften und restaurierten Hotels in ausgezeichneter Bäderarchitektur. Zur kalten Jahreszeit ist das mit dem Bad natürlich nur was für wirklich Hartgesottene. Die anderen pusten lieber in den heißen Glühwein an der Feuerschale und begnügen sich mit dem Blick über den Strand in die Weiten der Ostsee. Oder machen sich Gedanken über die alkoholische Gärung. Aber da wären wir wieder in der Schule und bei Frau Rychlick.
Rügen ist trotz seiner langen Seebadgeschichte an vielen Stellen noch nicht das hochpolierte Urlauberreservat. Außerhalb der bekannten Bäder finden sich häufig die ursprünglichen Gebäude der jüngeren Geschichte. Im Gegensatz zu Sylt wirkt diese Insel in der Ostsee geradezu bodenständig. Oder um im Bild meiner Syltgeschichte „Mit dem Opel im Jaguarland“ zu bleiben: Hier fällt der Jaguar und Bentley eher auf, als der Wagen aus Rüsselsheim und Eisenach.
Wer jetzt auf den Inselgeschmack gekommen ist, kann sich gerne mal mit Martin auf dem Darß umschauen: „Chill out in Prerow“ oder uns selber seine Inselgeschichte erzählen, wie zum Beispiel Monika über Amrum „Der Norden ruft“. Schreibt einfach eine E-Mail an info@grad60.com.
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