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Adiós Apendix

Adiós Apendix

Eigentlich geht es bei mir heute nicht um den Apendix, sondern um die Sackgasse am Anfang des Dickdarms, den Blinddarm, an dem aber auch der sogenannte Wurmfortsatz hängt. Der kommt halt mit weg, der Arme, obwohl der gar nichts getan hat. Und warum? Weil bei den regelmäßigen Darmspiegelungen immer wieder Polypen an dieser Stelle weggeschnitten werden mussten und sie stark vernarbt ist. Polypen sind eigentlich ungefährlich, manchmal kann sich aus ihnen aber Darmkrebs entwickeln. Und bei mir ist ebendort das Risiko für Krebs jetzt ziemlich hoch. Also muss es sein: Operation im Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf. Minimalinvasiv, nur kleine Schnitte, vier Stück.

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Ich bin früh da, zu früh, wie mein Vater früher. Der hätte zwei Busse verpassen können und wäre immer noch zu früh auf Arbeit gewesen. Da bin ich wie er oder wie ein Polizist, immer ein Stück früher da sein, um vor der Lage zu bleiben.

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„Ich hole sie um sieben ab, alles ausziehen, nur das OP-Hemdchen, was hinten offen ist, überstreifen“, sagt Schwester Rosita zu mir. Es ist halb sieben, genug Zeit. Ich schaue mich um. Schönes Zimmer, kann man nicht meckern, geradezu luxuriös. Kaum umgezogen kommt ne andere Schwester mit einem Rasierer und sagt, dass ich die Brust und den Bauch komplett rasieren soll. Okay, mache ich! Fertig. Es ist sieben Uhr, niemand kommt.

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Es ist zehn nach sieben. Es kommen zwei Schwestern und ein Pfleger und fragen, ob ich noch mal auf die Toilette muss. „Ne, schon erledigt“, antworte ich. „Dann legen sie sich bitte aufs Bett“, sagt Rosita und fügt fragend hinzu: „Haben sie sich rasiert am Bauch?“ Ich nicke. Sie guckt ziemlich streng. „Lassen sie mal sehen!“ Sie zieht die Bettdecke runter und das Hemdchen hoch. „Da müssen wir wohl noch etwas nacharbeiten!“ Schnappt sich den Rasierer und schabt über meinen Bauch. „So, jetzt können wir.“ Und zu mir gewandt: „Wir fahren Sie jetzt in zum OP-Saal, es ist soweit!“ Es geht durch die Gänge, an vielen Fenstern vorbei. Über mir die Leuchtstoffröhren. Ich sehe ein wenig vom blauen Himmel und denke, dass ich jetzt ein bisschen Glück brauche.

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Im Gang sind Türen zu mindestens zehn OP-Sälen. In einen werde ich hineingeschoben. Das Personal im OP-Vorbereitungsraum scherzt, nicht über mich, sondern mit mir und fragt mich ein Loch in den Bauch. „Ähhh, bitte nicht jetzt schon,“ sage ich laut. Und Pfleger Sven zu mir: „Wie bitte?“ „Nichts, alles gut, obwohl ich langsam nervös werde.“ Er beruhigt mich und fragt weiter. Zum Beispiel, wie ich heiße und was operiert werden soll. Was soll das? Weiß er das nicht? Er erklärt aber gleich, warum er das fragt. Sie wollen sichergehen, dass der richtige Mann für die richtige OP hier liegt. Okay, das verstehe ich. Ich werde in einen zweiten Vorraum geschoben. Es kommt der Anästhesist und legt einen Permanentzugang.

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Auch der fragt mich noch nach Beruf, Spaß an der Freude, Sport, Essen, Interessen, bla bla bla. Klar, die wollen mich ablenken. Gelingt ihnen auch recht gut. Sven schließt mich an die Aufzeichnungsmaschine für Herzschlag, Blutdruck, Sauerstoffsättigung an. Jetzt wird’s ernst. Das Hemdchen kommt aus. Und die wärmende Decke, die ich im ersten OP-Vorraum bekommen habe, wird etwas nach unten gerollt. Gleichzeitig schaltet eine Schwester eine Fönhaube an, die um meinen Kopf liegt. „Damit sie nicht auskühlen“, erklärt sie. Verstehe. „Ich leite nun das Schlafmittel in den Tropf und gebe ihnen eine Sauerstoffmaske.“ Der Anästhesist spricht ganz ruhig mit mir. „Gleich schlafen sie und wenn sie aufwachen, ist alles vorbei. Schauen sie auf die Lampe über sich. Können sie die noch erkennen?“ Ja, sicher, will ich eigentlich sagen. Aber da kommt nichts mehr. Das Licht erlischt. Ich bin weg. 

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Drei Stunden später liege ich im Aufwachraum und denke - wie alle - wann geht’s denn los? Aber alles ist vorbei. Ich werde in mein Zimmer geschoben und schlafe weiter. Dann kommen Pfleger, Schwestern und Ärzte und fragen und kümmern und machen, super kompetent und freundlich! Ich habe jetzt vier Pflaster auf dem Bauch. Drei für die Instrumente und die Kamera. Ganz kleine Schnitte und einen etwas größeren Schnitt, ca. anderthalb Zentimeter, für das Stück Darm, was sie rausgezogen haben. Ich bin benommen und aufstehen zur Toilette geht nur mit Hilfe. Aber sonst geht’s mir ganz gut. Erst einmal.

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Leider hat das Ganze ein nicht so gutes Nachspiel. Im Bauchbereich gibt es Blutungen. Ich muss nochmals operiert werden. Ein dreiviertel Liter Blut wird abgesaugt. Tagelang sind die vermaledeiten Blutwerte nicht okay und eine dritte Operation steht im Raum. Am vierten Pflaster unten rechts habe ich jetzt eine Drainage, um Blut nach außen zu transportieren. Das lästige Ding hängt wie ein nasser Waschlappen an mir dran und nervt bei jeder Bewegung. Ein Mal am Tag wird der Beutel geleert, was immer eine ziemliche Sauerei ist. Zwei Mal am Tag wird Blut entnommen und am rechten Arm habe ich jetzt zwei Dauerzugänge. Ich bin echt ziemlich perforiert. Und dauernd werden Blutdruck und Sauerstoffsättigung gemessen, weil die beide doch so im Keller waren.

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Die Leute hier sind alle - wirklich alle - super nett, höflich, kompetent und den Patienten zu einhundert Prozent zugewandt. Ich bedanke mich oft. Und sie geben Ratschläge. Ich soll mich bewegen. Mache ich. Auf dem Flur. Immer hoch und runter. Und ich denke viel nach. Den Eingriff hatte ich mir einfacher, leichter, schneller und ohne Komplikationen vorgestellt. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Dieser Spruch, frei nach Wilhelm Busch, trifft so oft im Leben zu, dass ich ihn mir schon vor langer Zeit zu eigen gemacht habe. Und wichtig ist auch, immer dem Schicksal eine Chance zu geben, die Angebote anzunehmen. Ich brauchte etwas Glück und das habe ich gehabt. Ich danke dem Universum und meinem Körper.

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Die Drainage ist raus. Endlich. Es erfolgt zum letzten Mal Blutentnahme, Blutdruckmessung. Alles ist gut. Ich bin entlassen.

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Nachtrag:

Leider geht die Geschichte nicht so gut aus, wie erhofft. In dem rausgeschnittenen Stück Darm ist ein Krebstumor verborgen, den man durch normale Untersuchungen nie entdeckt hätte. Ich habe somit viel Glück im Unglück. Aber es heißt auch, es muss nochmals operiert werden. Oberhalb des verdächtigten Darmbereichs muss der aufsteigende Teil bis zum Quercolon entfernt und der Übergang vom Dünndarm neu platziert werden. Es folgt also zum dritten Mal das ganze Procedere der Operationsvorbereitungen.

Im ersten Vorraum ist Kumpel Sven schon wieder derselbe und hört als musikalische Begleitung “Shine on You Crazy Diamond” von Pink Floyd. Während ich mich vom Krankenbett auf die OP-Liege hieve, fachsimpeln wir über das Album, von dem diesem Stück stammt. Sven meint, das wäre auf der Platte mit dem fliegenden Schwein. Ich bin mir aber sicher, es stammt vom Album “Wish you were here”; schließlich ist Pink Floyd eine meiner Lieblingsbands.

Im zweiten Vorraum gibt es ein Stau. Im OP-Saal wird noch operiert, ich bin zu früh da. Vollständig verkabelt einschließlich Tropf füllt sich langsam meine Blase. Ich brauche eine “Ente”. Ich nehme meine Maske ab und versuche mir Gehör zu verschaffen, denn ich bin allein. Gar nicht so einfach. Um mich rum piepst und zischt und bläst es. Wenige Minuten später werde ich erhört. Beim Aufrichten reißt ein Brustkabel ab und ich verheddere mich mit dem Tropfzugangsschlauch. Nach einigen erfolglosen Versuchen sitze ich auf der Bettkante und habe die Ente zwischen meinen Beinen. “Ich geh mal raus”, flötet die OP-Schwester. Nett von ihr, denke ich, aber eigentlich überflüssig. Mein Schamgefühl habe ich schon vor einigen Tagen komplett abgelegt.

Ich liege wieder und warte und denke an … nichts.

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Die Fortsetzung dieses Berichtes ist die Chemotherapie; sie ist unter dem Titel “Chemo ist ätzend” veröffentlich worden.

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