Bier in der Unterwelt
„Dass es so etwas noch gibt, mitten in Berlin“ entfährt es mir, als ich das Kindl-Areal im Rollbergviertel betrete. An den Rändern nagt zwar die Gentrifizierung, aber auf dem Grundstück ist die Zeit stehen geblieben und vielleicht ist es deshalb so spannend. Hier ist Graffiti nicht nur Schmiererei, sondern für meine Augen sehenswerte Kunst.
Eine Mischung aus alter Industriearchitektur, wilder Freifläche und in die Tiefe gehender Kellerbauten. Und deswegen sind wir hier; beim Verein Berliner Unterwelten. Eine Tour in den Untergrund der alten Kindl-Brauerei in Neukölln. Der passende Start ist in der Privatbrauerei „Am Rollberg“ mit einem malzigen „Rollberg Rot“ und Kneipenatmosphäre.
Mit dem 15 Hektolitern fassenden Sudhaus ist die Brauerei geradezu winzig im Gegensatz zur ehemaligen Kindl-Brauerei an diesem Platz. Riesige Sudpfannen mit einem Gesamtvolumen von 700 Hektolitern, also 70.000 Litern Bier, sind heute nur noch Zierde in einem riesigen Saal mit einem kleinen Ausschank.
Dann geht es los mit Ingo, unserem Guide vom Berliner Unterwelten e.V., zunächst in die aktive Rollberg-Brauerei. Im Kurzdurchlauf werden wir 30 Besucher aus allen Altersgruppen zu Bierbrauern ausgebildet. Sehr spannend erzählt, erfahren wir den Weg der Gerste vom Rohstoff zu Malz, über das Darren zum Maischen und schließlich zur kalten Lagerung, heutzutage hier in gekühlten Stahltanks.
Und das Thema der Kühlung ist auch der Grund, warum es die Führung nicht vom Bierbrauerverein, sondern von dem Berliner Unterwelten e.V. gibt. Heutzutage ist Kühlung kein technisches Problem, wohl aber zu den Gründerzeiten der Brauereien in Berlin. Dafür brauchten die Getränkehersteller große Keller. Sehr große und sehr tiefe Keller im Untergrund von Berlin. Und daher steigen wir mit Ingo 16 Meter in die Tiefe.
Berlin hat einen sehr hohen Grundwasserstand. Damit die Lagerkeller nicht unter Wasser stehen, wurden die Brauereien nicht im Berliner Urstromtal an der Spree, sondern auf den umliegenden „Bergen“ erbaut: Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Rollberg waren die geeigneten Anhöhen. Und hier unter dem Rollberg lagen die Kühlräume der Kindl-Brauerei. Von den Tanks ist heute nichts mehr zu sehen, die wurden allesamt demontiert. Dafür bieten hohe verwitterte Höhlenräume die Gruselatmosphäre in der Unterwelt.
Unsere Taschenlampen ersetzten das fehlende elektrische Licht und lassen Backsteine, bröselnden Putz und funktionslose Schalter flackern.
Hier alleine herumzuschleichen, wäre wie im Horrorfilm. Plötzlich taucht im Schein der Handleuchten ein skurriles Wandbild auf. Ich denke sofort an eine okkulte Folterszene und auch Ingo weiß nicht so recht, wie die Abbildung hier ins Dunkle gekommen ist. Vielleicht für einen Film…
In meinen Gedanken spritzt noch das Blut, während unser Guide die Kühltechnik der damaligen Zeit erklärt. Gesägtes Eis von zugefrorenen Seen lagerte im Geschoss über den Tanks und die kalte Luft zog durch Schächte in den Lagerraum. Über Rinnen lief das Kondenswasser. Nur Wasser, kein Blut schwirrt es noch immer durch meinen Kopf.
Eine wilde Partyszene soll es in den Gewölben gegeben haben, aber ohne Strom, Wasser und Notausgängen wurde diesem Treiben bald ein Ende gesetzt. Schade, so langsam kann ich mir hier eine perfekte Halloween-Party vorstellen. An neuen Nutzungskonzepten wird wohl gefeilt, irgendwas mit Kunst soll es werden. Beim Aufstieg freue ich mich, dass es so etwas noch gibt, mitten in Berlin.
Ich habe viel über das Bierbrauen erfahren und unbekannte Ecken entdeckt. Von mir gibt’s eine Empfehlung dafür. Also, runter von der Couch, was erleben und dann auch noch bildungsgerecht ein Bier genießen.
Diese interessante und lehrreiche Tour wird von dem Berliner Unterwelten e.V. durchgeführt, dauert ca. 90 Minuten und kostet knapp 15 Euro.
Wir schreiben es ja fast unter jeden Text und fragen nach euren Entdeckungen. Gebt euch doch mal einen Ruck und schreibt an info@grad60.com Wir freuen uns über alle möglichen Ideen.
Am Anfang des Artikels steht “Werbung unbeauftragt”, das heißt, dass dieser Artikel ohne Beeinflussung und Bezahlung geschrieben wurde. Warum der Vermerk trotzdem dort steht, erfahrt ihr auf unserer Seite “Transparenz”