Die Rolle der Frau - ein Gastbeitrag von Monica Mählmann
Vor ein paar Wochen hat mir eine gute Freundin ein Buch empfohlen und netterweise gleich mitgebracht: „Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus. Wir tauschen seit Jahren Bücher und Empfehlungen. So auch dieses Mal. Oft lese ich dann zwei Bücher gleichzeitig, da ich abends im Bett gerne „online“ lese, denn die Schrift auf dem I-Pad kann ich größer stellen. Ein großer Vorteil gegenüber dem klassischen Buch! Mann bzw. Frau wird halt nicht jünger. Der Titel des Buches, das ich online lese, lautet: „Fräulein Wunder“ von Gisa Pauly. Schnell merke ich, dass beide Bücher Ende 50er und Anfang 60er Jahre des letzten Jahrhunderts spielen. Beide Bücher handeln von Frauen der damaligen Zeit und wie sie in der Gesellschaft gesehen und behandelt werden. Sehr schnell wird mir klar, dass es die Generation meiner Mutter ist, die hier beschrieben wird. Aber auch meine Kindheit spiegelt sich wieder und die Ansichten meiner Eltern. Je weiter ich mich in die Bücher vertiefe, desto mehr frage ich mich, wie ist das Bild der Frau heute? Haben sich die Einstellungen wirklich verändert? Und wenn ja, in welchem Umfang?
Ich lebe im 20. und 21. Jahrhundert und sehe mich als emanzipierte, erfolgreiche Frau, ebenbürtig zum Mann. Aber die Handlungen der Bücher zeigen mir immer deutlicher, dass auch ich einiges davon erlebt habe. Sexuelle Übergriffe finden heute noch statt und sind leider keine Ausnahme. Erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe strafbar und die „MeToo“-Bewegung kam 2017 in Fahrt, nachdem eine der Frauen sich nicht mehr unterdrücken lassen wollte. Ungleiche Gehälter für gleiche Positionen im Arbeitsleben waren zumindest in meiner aktiven Zeit als Personalleiterin keine Seltenheit.
Allerdings waren Frauen in Führungspositionen sowieso rar gesät. Ob das in der heutigen Zeit wirklich anders ist, mag ich nicht zu beurteilen, bezweifle es aber. Ich selbst kenne nur zwei Frauen aus meinem Umfeld, die in Führungspositionen arbeiten, bzw. gearbeitet haben.
Meine beiden Buch-Heldinnen lehnen sich gegen alle Widerstände der Gesellschaft auf und versuchen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ich bewundere diese Hartnäckigkeit, denn beide könnten ein unbeschwertes Leben führen, wenn sie sich dem Druck der Gesellschaft fügen würden und sich nicht als gleichberechtigte Individuen sähen. Im Buch „Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus ist die Hauptperson eine Wissenschaftlerin, die ungewollt schwanger wird und um ihr Auskommen kämpfen muss. Sie verzichtet wissentlich auf eine mögliche Karriere, weil sie nicht bereit ist sich unterzuordnen. Im Buch „Fräulein Wunder“ von Gisa Pauly geht es ebenfalls um eine ungewollte Schwangerschaft und wie das Umfeld darauf reagiert sowie um den Versuch, alles unter dem Mantel der Verschwiegenheit zu verbergen. Beide Verhaltensmuster sind in meinen Augen typisch für diese Zeit. Väter, Vorgesetzte, aber auch andere Frauen bestimmen über diese nur anscheinend renitenten weiblichen Wesen, über ihr Leben und ihre Kinder.
Es heißt, dass unverheiratete Mütter eine Schande für die Gesellschaft sind und dass das totgeschwiegen werden muss. Es wird alles darangesetzt, dass diese Frauen kein eigenständiges, autonomes Leben führen können. Ein typischer Satz (S. 391 aus „Eine Frage der Chemie“) lautet: „Aber Hausfrau und Mutter zu sein, war doch keine richtige Arbeit, oder? Das war eher eine Rolle.“ Oder eine andere Lebenseinstellung aus den 60ern: “Eine Frau stellt sich jeden Tag zwei Lebensfragen. Erstens, was soll ich anziehen, und zweitens, was soll ich kochen?“
Hat sich dieses Frauenbild heute wirklich geändert?
Ich koche nicht und möchte es auch nicht lernen. Alle meine Kochbücher stehen im Regal meiner Küche! Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Eine meiner Freundinnen hat ihre Kochbücher jahrelang in der abgeschalteten Tiefkühltruhe aufbewahrt, da Kochbücher zu viel Stauraum in der Küche eingenommen haben. Wobei diese Freundin heute sehr gut kocht, im Gegensatz zu mir. Ich lese ab und zu in Kochbüchern und theoretisch bin ich eine gute Köchin, aber eben nur theoretisch.
Und das sollte heute im 21. Jahrhundert kein großes Ding mehr darstellen! Falsch! Ich werde immer wieder seltsam angesehen, wenn ich das bei einem Kennenlernen erzähle und ich bekomme komische Blicke von Männern, aber auch bei den Frauen begegnet mir Unverständnis. In jüngeren Jahren bekam ich dann ein Kochbuch bei nächster Gelegenheit geschenkt. Das hat sich zwischenzeitlich zwar geändert, ist aber wohl eher meinem Alter geschuldet, statt der Einstellung per se. Nur…, wenn ein Mann nicht kochen kann, dann wurde und wird das selbstverständlich akzeptiert und auch nicht hinterfragt.
Am Ende der Bücher bin ich mir sicher, dass ich so nie leben wollte und ich mich früh dagegen aufgelehnt habe. Doch erst durch diese Bücher verstehe ich meine eigene Kindheit und die Zeit meiner Mutter besser. Frauen dieser Zeit kämpften gegen Vergewaltigung, Diffamierung, Lügen und Diebstahl ihres Gedankenguts. Heute haben die meisten Frauen einen Beruf, sind finanziell unabhängig. Sie können ihre Finanzen selbst verwalten, dürfen seit 1969 eigene Konten führen. Noch in den 70ern war es schwierig für verheiratete Frauen zu arbeiten, wenn ihre Arbeit mit den Ehe- und Familienpflichten nicht vereinbar war.
Ich bin dankbar, dass ich in meiner Zeit selbstbestimmt leben kann! Ich bin meinen Weg gegangen und war erfolgreich.
Und ich habe versucht, diesen Gleichheitsgedanken auch an meinen Sohn weiterzugeben, denn ich bin der festen Überzeugung, dass vor allen Dingen die Männer den Gedanken der Gleichberechtigung verinnerlichen müssen, wenn die Gesellschaft sich verändern soll. Hierzu passt das Zitat (S. 425) der Autorin Bonnie Garmus: „Chemie ist Veränderung… wir sind chemisch dazu angelegt, uns zu verändern.“ Das Leben besteht aus Veränderungen. Natürlich kann eine Veränderung Angst hervorrufen, bringt aber Neues und liegt in unseren Händen!
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Erika: Danke für den schönen Artikel. „Eine Frage der Chemie” habe ich gelesen und schon mehrfach an Freundinnen verschenkt.
Monica: Vielen Dank für das Lob, Erika. Dieses Buch zeigt die Probleme der Geschlechter der damaligen Zeit auf und gleichzeitig führt es uns die Probleme der heutigen Zeit vor Augen! Je mehr Männer und Frauen es lesen, desto besser…. Chemie ist Wandel.
Sabine: Liebe Monica, dein Beitrag spricht eine generationenübergreifende Traumatisierung der Hälfte der Menschheit an… „und wehe du oder deine Tochter will da ausbrechen“… Das ist meine Erfahrung und wir befinden uns nicht im Mittelalter! Freut mich, dass du solche Beiträge schreibst.
Monica: Ich danke dir, Sabine. Jede von uns Frauen hat ihre ganz persönlichen Erfahrungen und doch kann dieses Buch bzw. dieser Artikel uns helfen Veränderungen anzuschieben!
Frank: Sehr interessante Zusammenfassung. Bleibt zu hoffen, dass die Autorin Ihren Scharfsinn auch in Workshops weitergibt. Denn erst die Weitergabe von Bildung und Werten ermöglicht Fortschritt in der Gesellschaft.
Monica: Bildung, Elternschaft und Erziehung kann Werte vermitteln. Doch durch eigenes Vorleben und Handeln wird Neues zur Normalität.
Manuela: Du sprichst mir aus der Seele... danke!
Monica: Mir ist wichtig, unsere Generation zu berühren und wachzurütteln.