Mit dem Rad nach Rom
Gestartet bin ich auf eine Radreise von Berlin nach Rom. Geschafft habe ich nur 1.700 Fahrradkilometer bis Bologna. Dort haben mich Lust und Kraft verlassen. In meinem Etappenbericht könnt ihr die Freuden und Qualen miterleben und vielleicht den ein oder anderen Tipp für eine Radtour von Berlin bis Rom, äh pardon, bis Bologna gewinnen. Für einen ersten Eindruck gibt es ein Video und für genauere Streckenvorschläge befindet sich hinter jedem Artikel ein Link zum Routenplaner von komoot.
Wer nur an einzelnen Hinweisen und Etappen interessiert ist, der findet sie unter den folgenden Links:
Elberadweg
Eurovelo 7 in Tschechien
Donauradweg
Eurovelo 7 in Italien
Fahrrad-Rücktransport
Etappe 1 - Start bis zum Spreewald - Rad nach Rom
Wenn die AIDA mit basstiefen Signalhorn den Hafen verlässt, bekommt sie Begleitfahrt vom Touriboot. Und genauso fühle ich mich: ich steche in die Radtour nach Rom und werde von unserem Martin begleitet. Aber die „Martin“ hat mehr drauf, nicht nur bis kurz vor die Hafenmauer kommt sie mit, die ganze erste Etappe nach Lübben bekomme ich Begleitung. Das erleichtert den Start auf die Hochseefahrt doch ungemein. Bestes Wetter begleitet uns und bietet die Chance auf ein sonniges Abschiedsfoto auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof.
Zügig geht es weiter auf dem gedeckelten Tunnel Britz, um dann ein paar Autostaustraßen zu queren. Wir haben keine Ahnung, ob es eine Straßenbaustelle, ein Autounfall, angeklebte Menschen oder einfach nur die Automasse ist. Es interessiert uns auf unseren zwei Rädern einfach nicht, während wir zwischen Teltowkanal und der Autopiste entlangradeln.
Nach einigem links-rechts erreichen wir Königs Wusterhausen, wo uns unsere Streckenführung vor eine kleine Aufgabe stellt. Die Bahnunterführung ist gesperrt und komoot spricht von „off Grid“ ohne eine Alternative zu bieten. Zum Glück ist der Bahnhof nicht weit entfernt und wir können hier den Tunnel vom Bahnhof nutzen, um auf die andere Seite zu gelangen. Vorher empfiehlt sich noch das Schloss für einen kurzen Fotostopp.
Von nun an geht es in den Wald, der Autolärm versiegt in der Ferne und wir bekommen ein exklusives Asphaltband geboten. Es macht richtig Spaß und es läuft. Trotzdem kommt der Moment, in dem das Magenknurren nicht mehr zu überhören ist. Wir machen ein kleines Picknick im Wald auf einer Bank und genießen die am Bahnhof gekauften Brötchen. Mit dem nun etwas angereicherten Kohlenhydratspeicher lässt es sich viel lockerer wieder aufs Rad steigen.
Der Kiefernwald begleitet uns noch eine ganze Weile. Schließlich haben wir die 50 Kilometer überschritten. Mein Begleitboot „Martin“ verkündet leichtes Motorstottern. Insbesondere Beine und Gesäß hätten eigentlich genug. Die Aussicht „wir haben die Hälfte geschafft“ zieht nur bedingt. Er grummelt.
Elektrolyte müssen in den Tank, am besten in Form eines alkoholfreien Biers. Nun ist das in Brandenburg an einem Montag so eine Sache. Die wenigen Oasen verkünden „Ruhetag“ oder „Dauerhaft geschlossen“ Unser angepeiltes Ziel Köthen liefert genau diese Enttäuschung und erfordert eine acht Kilometer Fahrtverlängerung nach Wasserburg zum Rettungs-Ankerplatz. Und nicht nur das Bier schmeckt, auch die berühmte Gurke bringt Saft und Kraft.
Leider kommen das Stärkungspaket nicht gleich in unseren Muskeln an, denn unmittelbar danach fordert uns ein Kiesweg mit 7%iger Steigung heraus. Martin geht in den Schiebemodus über, während ich auf dem Rad hinaufjappse. Warum? Es soll mir ein erstes Gefühl für das Bevorstehende geben. Nach fünf Minuten bin ich oben und frage mich ernsthaft, wie ich das über Stunden so aushalten soll.
Nach einiger Zeit wirkt das Pausendoping und wir bestreiten die Strecke von mäßiger Sand-, Platten- und Kiesbeschaffenheit mit relativer Gelassenheit. Schön Ausblicke auf Seen und Fließe könnten ablenken, doch ein steifer Nacken und Konzentration auf den Weg engt den Genuss ein wenig ein.
Wir sind jetzt wieder auf der Landstraße, das nervt etwas. Schließlich erreichen wir mit exakt 100 Kilometern auf der Uhr unser Ziel Lübben
Jetzt heißt es, unsere Unterkunft „Lindengarten“ zu finden. Sie liegt rund drei Kilometer außerhalb. „Na toll!“, grunzt Martin gequält. Letztlich sind es 108 Kilometer bis zum ersehnten halben Liter vom Fass. Meine vorsichtige Anfrage nach Sightseeing in Lübben wird entrüstet zurückgewiesen. „Auf keinen Fall setze ich mich nochmal aufs Rad!“, ist Martins konsequente Ansage. Still und heimlich bin ich froh…
Etappe 2 - Alleine weiter nach Senftenberg - Rad nach Rom
So, nun geht’s alleine weiter! Martin nimmt die Bahn zurück nach Berlin und ein kleines Teufelchen in mir sagt: „fahr doch mit.“ Natürlich schüttele ich den Gedanken sofort ab, auch wenn der Behörnte ein paar Versuche startet. Erstmal schickt er zwei kleine Blutsauger, die schwer befüllt von meinen Beinen wegsummen. Dann bringt er Nieselregen, obwohl der Wetterbericht seit Wochen Vollsonne ankündigt und schließlich reißt er eine Brücke ab, damit ein Umweg nach Lübbenau entsteht.
So nicht, mein Lieber! Ich trete in die Pedale und darf mich an stillen Fließen, Waldwegen und leuchtenden Mohnblumen an Feldwegen erfreuen.
Ein Storch klappert mir von seinem hochgelegenen Nest zu, ein Bussard kreist über den Wiesen und die allgegenwärtigen Krähen krächzen zu mir herunter. Ansonsten bin ich ziemlich allein, nicht nur weil Martin weg ist, alle sind weg. Kein Radfahrer scheint sich in die Nieselwelt zu trauen.
Selbst die Ortschaften sind ausgestorben und außer DHL bewegen sich auch keine Autos auf meinen Wegen. Schließlich erreiche ich Altdöbern und stehe vor dem dortigen Schloss. Das ist auch leer, ungenutzt und ausgestorben. Gerade als ich mein Stativ für ein Foto aufbaue, kommt ein Mann vorbei und erklärt mir die Geschichte des Hauses: 1571 erbaut, nach dem Krieg bis 1974 von der Caritas genutzt, verfiel es jahrelang, bis es 2015 restauriert wurde. Ein regelmäßiger Nutzer fand sich trotzdem nicht.
Ich radele noch ein Stück weiter, auf wechselnd guten Belägen und entscheide mich schließlich dafür, in Senftenberg meine Etappe zu beenden. Auf der Uhr stehen insgesamt 176 Kilometer.
Etappe 3 - Lausitz, Dresden, Elberadweg - Rad nach Rom
Der Hör-Doch-Auf-Teufel hat sich zurückgezogen, er weiß, für ihn gibt es irgendwann viel bessere Gelegenheiten. Gestärkt von den Saunagängen und dem Relaxen im Liegestuhl gestern Nachmittag steige ich aufs Rad und genieße erstmal den weiten Blick auf den Senftenberger See.
Kurze Zeit später passiere ich Schwarzheide mit seinen BASF-Werken bevor mich die menschenleeren Brandenburger Wälder aufsaugen. Dazwischen fahre ich an goldgelben Feldern mit großen Strohrollen vorbei. Mir bietet sich über weite Strecken bestes Asphaltband für ein zügiges Tempo. Damit ich nicht völlig übermütig werde, streut mir komoot ein paar kurze Schotterstückchen ein, doch der Du-Schaffst-Das-Schon-Engel bleibt an meiner Seite.
Fast unbemerkt wechsle ich nach Sachsen und die perfekten Waldwege werden jetzt von schwach befahrenen Landstraßen abgelöst. Ein schmaler Fahrdamm führt mit Wasserblick links und rechts über den seegleichen Zschornaer Großteich. Schön hier. Das denken wohl auch die Enten mit ihren Jungen auf der Fahrbahn und fühlen sich durch mich gestört. Jedenfalls begleiten die Alten meine Vorbeifahrt mit giftigem Fauchen.
Kurz vor Dresden macht mir der idyllische, aber sehr holprige Weg neben dem Prießnitz-Bach meine angesammelten Höhenmeter zu nichte: Ich muss dauerhaft bremsen. Nach 74 Tageskilometern erreiche ich Dresden und verdrücke beim Italiener neben der Frauenkirche Linguine und ein alkoholfreies Hefeweizen.
Ich fühle mich stark und mein DSDS-Engel redet mir zu: „Fahr doch noch ein Stück auf dem Elberadweg“. Ich mach’s. Perfekter Untergrund, perfekte Ausschilderung, perfekte Ausblicke auf den namensgebenden Fluss und das Sandsteingebirge. Das lockt die Radler in Massen. Gegenverkehr, Überholmanöver und eine unfassbare Dichte an Elektro-Rädern bewegt sich hier.
Mein Motor heißt Muskelkraft und hält sich tapfer im Bereich der 20 km/h. Aber der Auflieger am Ende des Rückens sendet deutliche Verschleiß-Signale und weigert sich, über den Anstieg zur Brücke auf die andere Elbseite zu wechseln. Erlösung bietet die Fähr-Überquerung nach Bad Schandau.
Insgesamt waren es heute 120 Kilometer, das reicht mir nun wirklich.
Etappe Senftenberg - Dresden und Dresden - Bad Schandau
Etappe 4 - Hinein nach Tschechien - Rad nach Rom
Ich bewundere auf anderen Blogs die Fahrrad-Enthusiasten, die nach den Sattel-Qualen auch noch den Rücken auf der Isomatte malträtieren und die Nacht in feuchtkalten Zelten verbringen. Das Ganze vielleicht noch wild irgendwo im Wald. Nicht ganz so mein Ding. Lieber so: Eine preiswerte, hübsche kleine Pension in Bad Schandau spendiert mir eine erholsamen Nacht im weichen Bett und überrascht mich auch noch mit einem ausgezeichnetes Frühstückbuffet.
Ich genieße die Himbeeren und Weintrauben auf meinem Müsli und muss mich letztendlich sputen; die Fähre zur andere Elbseite legt um neun Uhr ab. Schnell packe ich meine Plünnen zusammen und schaffe es gerade noch rechtzeitig zum Anleger. Noch etwas regenfeucht aus der Nacht grüßt mich das kleine Städtchen. Zum Glück hatte ich ein trockenes Bettchen.
Der Elberadweg bietet mir wieder einen Schnellfahrbelag und eröffnet eindrucksvolle Blicke auf die andere Flussseite mit dem Dörfchen Schmilka und ständig wechselnden Felsformationen des Sandsteingebirges.
Wenig später wird die Elbe namentlich durchgerüttelt und ein Buchstabe ausgetauscht; der Fluss heißt jetzt Labe. Nur ein kleiner Pfahl auf dem Weg zeigt es an: Ich bin in Tschechien.
Der Fahrweg ist weiterhin ausgezeichnet, vielleicht mit ein paar mehr schottrigen Unterbrechungen. Der Radlerverkehr ist noch immer stark, wenn auch nicht so überfüllt wie bei Dresden. An einem Staudamm wird von mir einiges an Geschick und Kraft abverlangt. Eine Treppe steht im Weg. Mit meinem tonnenschweren Gefährt kein leichtes Unterfangen.
Dafür öffnet sich dahinter ein schöner Blick auf die aufgestaute see-ähnliche Labe.
Die Wegstrecke ist nun, ich will mal sagen, abwechslungsreich. Feiner Asphalt, huckelige Sandpiste und Kopfsteinpflaster lösen sich ab. Das ist aber nicht mein großes Problem. Das kommt von oben. Ein heftiges Sturmgewitter treibt mich in eine Bahnunterführung und bewahrt mich so vor der vollständigen Durchnässung.
Letztendlich erreiche ich bei nachlassendem Regen das hübsche Städtchen Roudnice nad Labem und finde eine kleine Pension für ein Bett im Trocknen. Seit meinem Start in Berlin haben sich 392 Kilometer angesammelt.
Etappe Bad - Schandau - Aussig und Aussig - Roudnice
Etappe 5 - Zwischenstation Prag - Rad nach Rom
Mein Übernachtungsort Rudnice stellt sich als kleines hübsches Städtchen dar, nur scheint hier niemand essen zu gehen. Ich verschmähe Pizza-Abholservice und Döner-Imbiss und finde mit viel Glück in einer Nebengasse ein kleines Gartenrestaurant. Englisch oder Deutsch ist hier allerdings Fehlanzeige. Zum Glück gibt es Google-Übersetzer, der mich vor einem Hermelin bewahrt. Meinen Flüssigkeits-Haushalt bringe ich mit zwei großen Pilsner Urquell wieder in Balance und schlafe anschließend tief und fest in meinem weichen Bettchen in der Pension U.Kapra.
Nachdem ich aus den holprigen Straßen aus der Stadt raus bin geht es auf absolut perfekten Wegen an der Labe entlang.
Dazu ist die Orientierung perfekt. An jedem Abzweig weist das Radwegschild „2“ auf die richtige Richtung hin. Auch an wirklich unübersichtlichen Stellen leuchtet nach wenigen Metern zur Beruhigung der gelbe Hinweis auf.
Einige Strecken sind offensichtlich so neu ausgebaut, dass sie komoot noch nicht kennt. Ich folge den Hinweisen und werde angeplärrt: „Du hast die Tour verlassen, wirf einen Blick auf die Karte“ „Die Tour liegt hinter dir in 1000 Metern…“ Bis ich irgendwann wieder zurückkehre und mich die Lady belohnt: „Du bist zurück auf der Tour, die Navigation wird fortgesetzt!“
In Melnik biege ich ab auf den Radweg Nr. 7 an der Moldau in Richtung Prag. Er führt jetzt häufiger über Landstraßen, auf denen glücklicherweise nur jede halbe Stunde ein Auto vorbeirauscht. So kann ich mich ungestört an den feuerroten Wegbegleitern berauschen.
Nach einigen Biegungen führt mich der Weg direkt auf die Sichtachse zum Schloss Veltrusy, ein Landschloss aus dem Jahr 1716. Fahrradfahren ist hier verboten und ich halte mich schiebend daran. Gut so, direkt links von mir taucht ein Wachmann auf. Und weil ich so artig bin, macht er auch ein Foto von mir.
Wenig später muss ich wieder schieben. Nicht weil es verboten ist: Es ist steil. Vor Prag hat der Fahrradgott einen Berg in den Weg gestellt. Erst geht es noch schnaufend, aber an einer ganz starken Steigung muss ich den Schiebegang einlegen. Nur ein kurzes Stück, aber es gibt mir eine Ahnung, was auf meinem Radweg nach Rom noch vor mir liegt. Und als ob das nicht genug ist, schüttet der Wettergott auch noch kübelweise Wasser über mir aus. Völlig durchnässt erreiche ich meine Unterkunft. Wie zum Hohn scheint wenig später wieder die Sonne.
475 Kilometer sind auf der Uhr und vor allem in den Knochen. Daher mache ich hier einen Pausentag und bin übermorgen wieder für euch da.
Etappe 6 - Schieben - Rad nach Rom
Ach wie schön ist so ein Pausentag. Und erst recht, wenn mich meine liebste Melanie besuchen kommt. Statt viereinhalb Tage mit dem Rad, braucht sie viereinhalb Stunden mit dem Flixbus. Kann man mal für ein kurzes Wochenende investieren. Nicht nur um abgekämpfte Radfahrer aufzumuntern, sondern um sich zwischen den Touristenmassen einen Weg über die Karlsbrücke zu bahnen oder am Abend den angeleuchteten Altstädter Brückenturm zu bewundern. Voll ist es auch dann noch, aber ich kann es verstehen bei diesem prächtigen Stadtjuwel.
Heute beim Tourstart sitzt mal kurz der kleine Hör-Doch-Auf-Teufel auf meiner Schulter und zeigt verlockend auf die bequeme Busrückfahrt. „Nicht mit mir!“, bekommt er zu hören und als ich die erste Brücke in Prag überquere, ist er verschwunden.
Der Eurovelo 7 oder Route 2 in Tschechien macht es mir auch leicht: Superfeiner Asphalt begleitet die Moldau und die Prager Sonntagssportler sind mit Inlinern, Skates und Rennrädern auf der Piste. Voller Anerkennung vergleiche ich die Bedingungen mit der Flaeming Skate in Brandenburg. Bis zu diesem Schild:
Schluss, Ende, nichts mehr… Der Eurovelo endet ohne angezeigte Alternative. Und auch die von komoot versprochene Fähre fährt nicht. Verzweifelt spreche ich eine Tschechin mit Fahrradhelm an. Die Antwort macht mich nicht glücklich: Fünf Kilometer zurück und dann die Brücke nutzen. Die komoot-Stimme säuselt: „Falsche Fahrtrichtung erkannt!“ Hah, das hast du mir eingebrockt! Zu allem Überfluss geht es auf einer vielbefahrenen Straße weiter. Und nicht nur das. Es geht bergauf. Schiebeheftig.
Ja, na klar, danach geht es auch wieder runter. Doch ich kann euch sagen, daran gewinne ich so gar keine Freude. Denn je tiefer es geht, umso heftiger geht es auch wieder hoch. Schieben ist heute angesagt! Und auch dabei komme ich ins Japsen. Verzweifelt suche ich nach einer Unterkunft und werde auf einem Tschechischen Hotelportal für den Mini-Ort Vletice fündig. Überrascht werde ich in Empfang genommen. Das Haus ist eigentlich eine Eventlocation für Gruppenveranstaltungen und auf mich einsamen Radfahrer war man nach einer gestrigen Großveranstaltung nicht eingestellt. Eigentlich ohne Restaurant bäckt die Chefin mir eine Pizza auf und auch ein Bier kommt auf den Gartentisch. Meine Rettung! Mehr als die 80 Kilometer heute hätte ich auch nicht geschafft.
Etappe 7 - Das Budweiser lockt - Rad nach Rom
Dafür, dass es hier nichts geben sollte, bekomme ich ein anständiges Fahrradfrühstück mit Spiegelei, Käse und Vollkornbrot einschließlich einer besorgten Wirtin, ob ich denn von allem genug hätte und dass Budweis bei diesen Bergen viel zu weit für eine Tagesetappe ist. Wie zum Beweis zwingt mich schon die erste Anhöhe hinter dem kleinen Übernachtungsort in die Knie oder besser gesagt aus dem Sattel. Okay mit 3-schiebe-km/h werde ich es tatsächlich nicht schaffen. Und erst recht nicht, wenn ich die Pausenbank zum Verschnaufen brauche.
Aber mein kleiner DSDS-Engel sitzt auf meiner Schulter. Ich habe dem Du-Schaffst-Das-Schon Himmelsboten diese Abkürzung verpasst. Hat also nichts mit dem Deutschen Superstar zu tun – obwohl? Wie auch immer; ich beiße mich in die Berge und bekomme ja ab und zu auch eine Abfahrt spendiert. Die Strecke verläuft gelegentlich auf Hauptverkehrsstraßen, zum großen Teil aber auch auf schmalen Landstraßen mit brauchbaren Straßenbelag.
Wenn ich nicht gerade stöhne, kann ich herrliche Ausblicke genießen, oder mich diesmal an lilafarbenen Wegbegleitern erfreuen.
Ich komme so in meinen Move und blende weitgehend mein Tages-Etappenziel aus. Meine Navigationsapp führt mich an der Klosterkirche und am Schloss Bechyně vorbei.
Alles läuft nach Plan, bis ich ein „hier rechts abbiegen“ höre. Wirklich? Der Weg wird schmaler und holpriger, ich passiere eine wacklige Mini-Holzbrücke und lande auf einem steine-wurzel-so-geht-das-nicht Pfad. Never! Ich drehe um und höre das bekannte „Falsche Bewegungsrichtung erkannt!“ Meine Antwort ist hier nicht druckfähig.
Aber auch diese Herausforderung überlebe ich mit einer Schiebe-Einlage und als ich nach einiger Zeit wieder mit meiner komoot-Lady spreche, zeigt sie mir 35 Kilometer nach Budweis an. Nun bedeuten hier 35 Kilometer fast drei Stunden. Aber es ist 14 Uhr 30 und das sollte zu schaffen sein. Erst recht, als in Týn nad Vltavou der Eurovelo 7 wie aus dem Nichts auftaucht. Wieder an der Moldau bietet er reines Fahrvergnügen.
Es folgt noch ein wenig Rüttelstrecke und natürlich Anhöhen, aber endlich bin ich da: in Budweis. Das passende Getränk steht als Erstes auf dem Tisch.
Und weil es hier hübsch aussieht oder ehrlich gesagt, weil es meine Muskeln nach 95 Kilometern Berg- und Talfahrt brauchen, bleibe ich zwei Tage hier. Also auch für euch: übermorgen geht’s hier weiter.
Etappe 8 - Berge, Burgen und Banditen - Rad nach Rom
Es ist schön hier in Budweis. Ein großer Marktplatz, kleine Gassen, alte Häuser und alles bestens restauriert. Ein ganzer Genusstag ist fast zu wenig.
Aber nicht nur für Sightseeing und Erholung war es gut. Ich konnte meine Route über eine Facebookgruppe optimieren. Normalerweise läuft es ja bei Facebook so:
Frage: Wie pellt man am besten eine Orange? Antwort 1: Iss doch einen Apfel, Antwort 2: Kirschen schmecken besser, Antwort 3: Alle doof, außer ich!
Aber in diesem Fall gibt es Hilfe mit der großartigen Idee, wie ich bestimmt 1000 Höhenmeter sparen kann. Jetzt muss nur noch die Strecke schön sein. Zunächst verlasse ich Budweis wieder auf dem Eurovelo 7 mit Flussbegleitung. Herrlich ausgebaut und gemütlich zu fahren.
Natürlich heißt weniger Berge, nicht keine Berge. Nervig ist nur, wenn man sich Ewigkeiten hochkämpft, ohne den Abfahrtslohn zu erhalten. Mit voller Bremsung ist der Gewinn in Sekunden dahin.
Es war auch klar, dass ich mir die bergärmere Strecke mit einer Bundesstraße erkaufe. Zum Glück hält sich die Anzahl der Fahrzeuge in Grenzen, nur fahren alle sehr schnell. Der Luftdruck der vorbeidonnernden LKW´s schubst mich fast in den Graben. Um nicht von den schwarzen Vögeln gefressen zu werden, schickt mich komoot auf eine Nebenstrecke. Ein Sackgassen-Schild lässt mich zucken. Nicht noch so ein Ding wie hinter Prag. Ich hasse Vorhersehungen! Ich lande im Sack! Nur meine Navigations-Lady schnurrt: „Jetzt geradeaus!“ Wie denn? Dann sehe ich den Trampelpfad hinter dem Gehölz in Richtung Moor. Und fällt er in den Sumpf, dann macht der…
Verärgert über die Störung springt ein Frosch in den Schilftümpel, als fünf Tarnmänner durchs Unterholz knacken. Jäger? Soldaten? Banditen? Ich vertraue vollends der blauen Linie auf der App und trete in die Pedale …es folgt zum Glück kein Plumps. So plötzlich, wie mich der Urwald aufgesaugt hat, spuckt er mich auch wieder aus. Ich bin in Cesky Krumlov unter der eindrucksvollen Burg- und Schloss-Anlage.
Neben mir rauscht die Moldau, hier heißt sie Vitara, mit einigen Stromschnellen entlang. Freizeitspaß für Wildwasser-Paddler und Schlauchboot-Fahrer. Ach wie schön können sich die Wassersportler treiben lassen; vielleicht an einigen besonders wilden Stellen mit Herzklopfen. Mein Herzklopfen kommt von dem stetigen Anstieg der Strecke. Machbar, auf Dauer trotzdem kräftezehrend. Dass ich schließlich die Grenzregion zu Österreich erreiche, zeigen mir die Tank-, Zigaretten- und Souvenir- Shops. Leider habe ich in meinen Taschen keinen Platz für ein Mitbringsel.
Und schließlich überradel ich die verwaiste Grenzstation zu Österreich und wähne mich auf der Bundesstraße kurz vor meinem heutigen Ziel Bad Leonfelden. Doch komoot hat Besseres vor. Nach soviel Autoverkehrsstraße darf´s doch ein wenig Feldweg werden.
Die Reifen knirschen im Kies, der Sattel knetet den Hintern und zum Spaß gibt’s auch ein Berg dazu. Vielen Dank, mein Schatz! Wäre nicht nötig gewesen. Mit 880 Höhenmeter haben mir heute die 73 Kilometer gereicht. Schön war’s in Tschechien.
Etappe 9 - Runter zur Donau - Rad nach Rom
Es klappert! Bad Leonfelden bietet noch ein paar Hügel und als endlich das große Downhill starten soll, macht das Rad Geräusche. Die Ursache ist noch während der Fahrt erkennbar. Es ist nur die lose Frontleuchte. „Mach ich heute Abend“ sage ich und denke weiter: 40 km/h, Lampe löst sich, Speichen, krach, dreifach Fahrradsalto…. Also bremse ich und kram das Werkzeug raus.
Das Festziehen der Schraube geht schnell, fürs Foto brauch ich länger. Und Zuschauer gibt’s auch noch.
Dann geht sie los die wilde Fahrt. Alle angesammelten Höhenmeter werden verbraten. 30 Stundenkilometer sind gut, 40 gehen gerade noch, darüber wird’s ein ungemütliches Geschlinger. Nach zwei Stunden bin ich unten. Unten an der Donau, wo mich der Donau-Radweg empfängt.
Schon nach einem guten Radfahr-Genuss-Stück setzt mich ein Fähre, ich muss jetzt mal kurz überlegen wie das nochmal geht, ach ja, zur rechten Flussseite hinüber.
Ich habe ja schon einige Radrouten gelobt, doch das hier bekommt eine 1+ mit Sternchen. Ich bin überzeugt, besser geht es nicht. Perfekter, wurzelfreier Glattasphalt, breit und fast immer autofrei. Gerade noch rechtzeitig entdecke ich eine Blindschleiche, todesmutig auf der Querung der Radfahrschnellstrecke. Schnell popel ich mein Handy aus der Halterung und halte ihr die Kamera vor die Nase. Sie erschreckt und beißt wütend auf das Objektiv. Ich erschrecke und zucke zurück. Sehr froh, dass es nicht mein Finger war, gibt’s heute leider kein Foto.
Der Radfahrer-Traumweg geht stundenlang direkt am Fluss entlang, mit herrlichen Aussichten an jeder Donauschlinge und beeindruckenden Bergen links und rechts (die man nicht hochfahren muss!)
Bei diesen Bedingungen ist ein 20er Durchschnitt machbar und der Weg spült mich nach 109 Tageskilometern an einer sonnigen Donau-Windung in eine kleine Pension mit Terrassenblick auf den grün schimmernden Fluss. Ein erfüllter, angenehmer Tag geht zu Ende.
Etappe 10 - Gemütlich nach Passau - Rad nach Rom
Wie ich das hasse! Gerade noch lobe ich den Donauweg mit Super-Klasse-Extrem-Begeisterung und schon holt mich die begleitende Bundestraße auf Normal-Level herunter. Ich verlasse gerade den kleinen Ort mit dem großen Namen Inzell, als der Fahrrad-Exklusiv-Weg sich zur Seite einer Autostraße gesellt. Die Radpiste ist immer noch ausgezeichnet, aber der Motorlärm schon weniger, Autos und Kräder schmerzen meine ruheverwöhnten Ohren.
Schlösser und Burgen weit oben auf der gegenüberliegenden Seite stört das herzlich wenig. Sie strahlen majestätisch und schön in das tiefe Flusstal.
Weiter führt mich der Weg durch ein kleines Örtchen mit dem Café Sissi. Ich bin schon fast vorbei, als ich die Kaiserin selbst entdecke. Die möchte ich doch persönlich begrüßen und stoppe vor drei frühstückenden Damen. Ich quatsche in ihren Prosecco und bitte um Fotoassistenz.
„Sie gebens a passenden Franzl ab“, höre ich die lachende Schmeichelei. Wir wechseln ein paar Worte und mein Ego wird noch mehr gepudert, als sie meine 850 Kilometer von Berlin bewundern und mein Ziel bestaunen. „Aber wieso fahren‘s denn wieder zurück?“ Ja, wieso fahre ich wieder zurück? Es ist der Europa-Radweg 7, der diesen Bogen schlägt und so komme ich von Berlin über Brandenburg, Sachsen, Tschechien und Österreich wieder für einen kurzen Moment nach Deutschland. Passau ist mein Tagesziel. Es ist heute keine lange Strecke und so nehme ich das Tempo raus und bewundere die Flusskreuzfahrt-Schiffe mit ihren entspannten Passagieren.
Einige moderate Anstiege geben mir nochmal das Gefühl,wie schwer es ist, mit meinem Gefährt einen 6%igen Anstieg zu bewältigen. Mir wird schon ganz schwummerig beim Blick in die Zukunft. Aber dann ist mein 45-Kilometer-Ziel Passau erreicht.
Mit meinem Zimmer habe ich Glück, es ist schon um 13 Uhr bezugsfertig und so fülle ich frisch geduscht im Café um die Ecke meine gar nicht so üppig verbrauchten Kalorien mit einem Palatschinken „Mozart“ auf.
Nach dem leiblichen Wohl steht mir der Sinn nach Höherem. Ich schlendere zum Dom St. Stephan von Passau und bin von den gigantischen Verzierungen im Inneren und von den 68-Meter-Türmen beeindruckt. Architektonisch. Ich bin nicht gläubig, aber falls mir der Hör-Doch-Auf-Teufel zu nahe rückt, kann´s ja vielleicht helfen.
Was anderes hilft auf jeden Fall: Gewicht abwerfen. Am Berg zählt jedes Gramm und so kommen Stativ, Mehrfachladestecker, Sweatshirt, Jeans und Ersatz-Radlerhose in den gelben Karton und dürfen als Dreieinhalb-Kilo-Paket die Heimreise antreten.
Etappe 11 - Radweg am Inn - Rad nach Rom
Raus aus Passau geht’s erstmal, logisch, über einen Fluss. Es ist nicht die Donau, sondern? Klar, der Inn. Und wie ich da so starte, kommt mir doch der Schul-Geographie-Spruch in den Sinn: Iller, Lech, Isar, Inn fließen rechts zur Donau rin. Aber wie ging er weiter? Vergessen! Schüler Neuendorf setzen – fünf! Damit ihr nicht auch durchfallt, sag‘ ich‘s euch: Wörnitz, Altmühl, Naab und Regen kommen ihr von links entgegen.
Der Inn wird heute mein Begleiter sein, immer schön zu meiner Rechten, darf ich mal an seiner Seite fahren und manchmal zum Muskelvergnügen auf den darüberliegenden Hängen. Dabei passiere ich unzählige Kirchen, Kapellen, Kreuze und frage mich bei einem kleinen Stopp vor einem weiteren Gotteshaus, was haben die Österreicher denn in den Jahrhunderten so ausgefressen, dass sie sooo viele davon brauchen? Prompt bekomme ich einen heftigen Glockenschlag um die Ohren gehauen. Beim Blick auf die Uhr ist mir klar, Er bekommt alles mit, es ist 12 Uhr.
Meist führt mich der Innradweg weit ab von Autostraßen über die Deichbefestigung und über Felder. Sein herausragendes Merkmal ist allerdings Kies.
Mal grob, mal fein, mal fest und wieder weich erfordert er viel Aufmerksamkeit. Auch zweigt er gelegentlich überraschend ab, mal links, mal rechts. Damit ich dabei auf meinem Ross nicht verkrampfe, darf ich auch mal „absitzen“.
Und einen kleinen Parcours darf ich auch bewältigen.
Schnell bin ich dadurch nicht, aber beschäftigt. So rollen die Kilometer vor sich hin und erstmals auf dieser Tour von Berlin nach Rom komme ich in den „Fühl“-Modus. So Jacobsweg-mäßig, meditativ. Mir rollen ein paar Tränen, einfach so. Es gibt keinen Grund. Weite, Ferne, Gelassenheit umgibt mich und das Glücksgefühl, so weit gefahren zu sein. Wie passend, dass mich eine 300-jährige Eiche mit ihrer knorrigen Ewigkeit empfängt.
Nach 88 Kilometern erreiche ich mein heutiges Etappenziel: Burghausen. Ich wechsle noch einmal die Seite über den Fluss…, nein den Inn habe ich vor acht Kilometern verlassen, es ist die Salzach. Salzburg lässt schon mal grüßen. Und ich wechsle nicht nur die Flussseite, ich bin auch wieder in Deutschland. Auf der Brücke steht allerdings nur „Bayern“. Hab ich da was verpasst? Auf jeden Fall entpuppt sich dieses Burghausen als eine restaurierte Altstadt-, Burgen-, Kirchen-Sensation.
So, zum Schluss noch mal die Lernkontrolle: Iller, Lech, Isar, Inn… oh je, oh je, so wird’s wohl nichts mit der Versetzung.
Etappe 12 - 1.000 - Rad nach Rom
Langsam zu reisen ist echtes Reisen. Viel zu vieles huscht am Autofenster ungesehen vorbei, die Autobahn bringt das Ziel schnell näher und verbirgt uns die Schönheiten auf dem Weg. Burghausen ist für mich so ein Fall. Ich hatte noch nie davon gehört und es fällt unerwartet schön vor meinen Fahrradlenker. Und so nehme ich euch noch mal schnell mit, hoch auf die längste Burg der Welt. Über einen Kilometer weit könnt ihr mit mir an Zinnen, Türmen, Mauern und Kapellen entlangschlendern.
Nun aber rauf auf’s Rad und ab in Richtung Salzburg. Das erste Schild „Tauernradweg“ taucht auf und die Strecke zeigt mir gleich mal, wo die Harke hängt. Knackig geht es hoch, dabei sind die Alpen noch in weiter Ferne.
„War nur Spaß“, sagt der Weg nach einer halben Stunde und schickt mich wieder runter zur Salzach. Dafür entschuldigt er sich aber mit ein paar lila Blümchen.
Unten angekommen, macht auch die Salzach ganz schön auf wild und sprudelt laut vernehmlich über kleine Felsen.
Während ich weiter auf dem Kiesradweg so vor mich hin knirsche ist es soweit: 1000 Kilometer zeigt mein Zähler. Der Punkt ist völlig unspektakulär neben Bahngleisen auf einem heißsonnigen Kiesweg und neben einer unordentlichen Wiese. Aber so ist das manchmal. Stolz und Freude durchfließen mich dennoch. Dabei ist es nur eine Zahl, aber dann doch ein Meilenstein für meine Tour von Berlin nach Rom.
Hochspringen mag ich bei der Hitze nicht, das war auf meiner Fahrt nach Barcelona anders. Ui, wie habe ich da abgefeiert. Aber da war es auch zum ersten Mal so eine Distanz. Inzwischen weiß ich, man kann eine Menge schaffen.
Bis Salzburg passiert nicht mehr viel und deshalb möchte ich euch mal meinen Fahrrad-Alltag beschreiben: Wenn es gut läuft, habe ich meine Unterkunft bis 16 Uhr gefunden. Dann heißt es natürlich als erstes den Gaul versorgen. Die Ställe sind sehr unterschiedlich, aber immer sicher: Fahrradschuppen, hinter der Rezeption, im Konferenzraum im 5.OG oder in der abgeschlossenen Tiefgarage.
Dann ab unter die Dusche, aber nicht alleine. Schlüppi, Socken, Radshirt kommen mit und werden kräftig abgeseift. Bis zum nächsten Morgen lasse ich sie allein am Fenster zurück, während ich mit dem Laptop im Café entspanne und für euch die Texte schreibe.
Dann geht’s los auf Besichtigungstour, bevor ich mir Gedanken über den folgenden Radeltag mache. Wie weit werde ich kommen, wie hoch sind die Berge, welches Städtchen kann ich erreichen. Dann folgt der Check der möglichen Unterkünfte auf verschiedenen Internet-Portalen, aber noch keine Buchung. Oft weiß ich nicht, ob mir der Fahrradgott wohlgesonnen ist, ob schlechte Wege mich ausbremsen oder gar dem Reifen die Luft ausgeht. Dazu gibt’s als Walk-In-Gast oft ein Zimmer mit Rabatt. Zum Abschluss des Tages noch die Fotos zurechtschneiden sowie den Artikel hochladen und ich falle völlig alle in’s Bett.
Etappe 13 - Tauernradweg - Rad nach Rom
Salzburg hatte mich gestern schon gegen 14 Uhr und ließ mich durch die Gassen schlendern. Und weil ich nicht hochlaufen musste, sondern ganz bequem mit der Festungs-Bahn befördert wurde, bin ich Salzburg auch noch auf’s Dach gestiegen. Eine sehenswerte Burg und ein phantastischer Blick runter auf die Stadt.
Jetzt darf ich den umgekehrten Blick nach oben genießen und mich beim Fahrradstart für die Radspuren, Radwege und Sonderstreifen in Salzburg bedanken. Sind bestimmt ´ne Menge Autoparkplätze verloren gegangen, denke ich mit einem Gruß an die neue Berliner Autoverkehrssenatorin.
Heute trage ich um ersten Mal mein Angeber-Shirt. Ganz groß prangt auf dem Rücken Berlin – Rom und ich bin voller Vorfreude auf die Bewunderung, Anerkennung und ungläubigen Fragen: wirklich? An einer Brücke mit Ausblick bitte ich eine vollbeladene Fahrradfahrerin um Foto-Assistenz. „Please in English, I’m from Sweden!“ Ich blicke auf die Frau, ich blicke auf die Taschen: „By bike?“ „Yes, across Denmark, Rostock, Berlin on the Eurovelo 7.“ Jup! Ganz kleinlaut bitte ich dennoch um ein Foto.
Der Tauernradweg hinter Salzburg ist gut befahren, zeitweise schon richtig voll. Meine Langstrecken-Schwedin ist übrigens direkt vor mir. Ihr Ziel ist irgendwo in Norditalien.
Einige Zeit später wird es merklich dünner auf dem Tauernradweg. Mal wieder ein knackiger Anstieg fordert meine Muskeln und zwingt mich zwischendurch zum Absteigen. Aber noch geht es immer wieder zwischendurch runter zur Salzach und durch eine herrliche Alpenlandschaft.
Irgendwann ist das Tal so schmal, dass außer der Salzach, den Bahngleisen und einer Autoschnellstraße nichts mehr reinpasst. Für zehn Kilometern heißt das, Lastwagen, Autos und Motorräder auf einem schmalen Randstreifen zu ertragen. Danach taucht der Tauernradweg wieder auf und bietet sogar eigene Tunnel-Durchfahrten für den Velofahrer.
Der Tauernradweg wechselt nun mal links- und mal rechtsseitig der Salzach und protzt immer mehr mit den teilweise schneebedeckten Bergen zu seiner Seite. Bischofshofen ist für die Mittagspause nicht mehr weit.
Gerade pumpe ich mein zweites alkoholfreie Weizen ab, als mir ein Schrecken in den Körper fährt. Mein Garmin-Spaß-Motivations-Leistungsbeweis-Zähler ist blind und löst sich in zwei Teile auf. Diesen Verlust könnte ich nicht überleben. Ein Drogeriemarkt ist in der Nähe. Superkleber muss es richten.
Superkleber klebt, auch ein bisschen meine Finger, egal. Doch nun die bange Frage… Power on… gelassen leuchten 1077 Km auf. Die Bedienung schaut etwas irritiert über mein freudiges Quietschen. Die restlichen Kilometer bis zu meinem Übernachtungsstopp in St. Johann im Pongau zählt er akkurat mit. Hoffentlich bleibt das so. Heute ist es sehr heiß, das Hotel hat einen Pool und so bekommt ihr diesmal die Geschichte von der Liege aus serviert.
Etappe 14 - Tauernpassage - Rad nach Rom
Heute wird´s hart. Sehr hart. Meine Navigations-App zeigt vor Bad Gastein 18% Steigung an. Das macht mir schon beim Start die Beine weich. Und um gleich ins Training zu kommen, gibt’s nach sechs Kilometer schon mal ne 11%ige Geschmacksprobe. Aber dazu auch einen grandiosen Ausblick.
Bei der Verschnaufpause nach dem Schieben treffe ich auf ein polnisches Pärchen; ebenfalls schwer atmend, erzählen sie mir von ihrem Start in Breslau und ihrem Ziel Sizilien. Inzwischen recht bescheiden, zeige ich auf meinen Rückenaufdruck. Gemeinsam blicken wir auf die schneebedeckten Berge und wünschen uns viel Glück beim Hochkämpfen.
Wenig später treffen wir uns wieder und bemitleiden uns gegenseitig als Bergfahrer ohne Elektroantrieb.
Voller Neid schaue ich heute auf die Bequemfahrer. Während ich hechle, schnaufe, stöhne und trotzdem nicht vorankomme, höre ich von hinten ein Plappern nähern. Dazu ein leichtes Summen und schon überholen sie mich, quatschend in bequemer Position. „Pfiat di“, vernehme ich noch und schon sind sie um die Kurve über mir. Bevor ich vollständig die Lust verliere, hat der Berg ein Einsehen und bietet zur Entspannung eine kleine Abfahrtsstrecke.
Lange hält die Freude nicht an. Meine Oberschenkel brennen von innen und brennen dazu von außen durch die 35° Sonnenschein. Mit letzter Mühe erreiche ich eine Erfrischungs-Tränke. Auch hier pausieren elektrofreie Naturkämpfer. „We are from New Zeeland.“ Ich werd‘ verrückt. „And we go to the Peleponnes“. Okay, ich Kurzstreckenfahrer will nur nach Rom.
Aber auch sie stöhnen über die Anstiege. Na wenigstens da sind wir gleich. Und um es mir richtig zu zeigen, gibt die Strecke alles. 18% sind selbst beim Schieben nur mit größter Kraftanstrengung zu bewältigen. Kurz denke ich an die Quälerei auf dem Salkantay-Trek. Vor mir oder besser gesagt über mir tauchen die ehrwürdigen Hotel-Protzbauten von Bad Gastein auf. Kann es sein, dass sie höhnisch zu mir hinunterlachen?
Völlig leer, kaputt, tot bezwinge ich auch die letzte Kraftnötigung und erreiche die Tauernschleuse. Hier endet die Straße, es geht nur noch mit der Bahn weiter. Autos und Motorräder werden verladen und die Fahrräder der Weltreisenden dürfen sich im Transportwaggon kuscheln.
Die Transportbuchung ist völlig problemlos auch ohne Vorbuchung möglich. An einem kleinen Schalter an der Schranke werden die Tickets verkauft. Keine Panik wenn dort niemand im Häuschen sitzt. Der Verkauf startet erst kurz nach dem Eintreffen des Pendelzuges. Wer nicht in dem Pulk stehen möchte, kann sein Ticket auch unmittelbar vorher online kaufen. Ist sogar etwas billiger. Der Zug fährt einmal pro Stunde.
Zehn Minuten Bahn-Fahrzeit und ich bin in Kärnten. Serpentinenstraßen in die Tiefe verballern mit scharfem Bremsen die Höhenmeter in kurzer Zeit. Am Fuße halte ich bei einer kleinen Radlergruppe. Es zischt! Oh, ein Reifen verliert Luft. Ich denke bei meinem Vordermann. Ich hoffe bei meinem Vordermann. Ich bitte bei meinem Vordermann. Nein, mein Hinterrad wird wabbelig. Auch das noch…
Es ist nicht nur ein Loch, der Schlauch ist auf 15cm aufgeplatzt. Zum Glück habe ich einen Ersatzschlauch dabei, doch Abbau des Riemenantriebes, lösen der Hydraulikbremsen und Wechseln braucht seine Zeit. Und auch das Aufpumpen mit meiner Mini-Not-Luftpumpe ist kein Vergnügen. Meine Tagesplanung ist dahin, gewünschte Hotels nicht mehr erreichbar. Und so strande ich in einem Privatzimmer in Kolbnitz. Kennt ihr nicht? Macht ganz und gar nichts! Die Geschichte für euch schreibe ich heute in der örtlichen Aufback-Tiefkühl-Pizzeria.
Etappe 15 - An der Drau nach Lienz - Rad nach Rom
Da sitzt er, feist grinsend: „Na? Noch Lust?“ Natürlich weiß er ganz genau, wann er auftauchen kann. „War ganz schön anstrengend gestern“, knarzt der Hör-Doch-Auf-Teufel. „Und so ´ne Reparatur ist auch nicht schön.“ Tatsächlich hat mich der Schlauchwechsel ziemlich genervt. Den vollen Reifendruck konnte ich mir dann glücklicherweise in einer Autowerkstatt holen. „Woa foast denn hin?“ Die Reaktion auf meine Zielangabe folgt prompt: „Warum macht man denn so was?“ Ja, das frage ich mich auch. Doch auch der Engel gibt sich nicht geschlagen, er bietet mir einen sonnigen Start mit Blick auf die Möll.
Schon vorher ploppte ein Aufmunterungskommentar zum Bericht „Rad nach Rom“ auf. Das sympathische Paar vom Abendessen am Vortag feuert mich an. Die beiden kommen mit ihrem Motorrad aus Jena und wir hatten einen unterhaltsamen Plausch beim Abendessen. Hat richtig Spaß gemacht, vielen Dank.
Dazu gibt es heute eine Tour fast ohne Berge und so zieht sich der Gehörnte knurrend für heute zurück.
So gefällt es mir, das ist mein Terrain. Ich glaube wirklich, dass mein Fahrrad eher so ein Cruiser und keine Berg-Enduro ist. Um jetzt mal von meinen Unzulänglichkeiten abzulenken. Der Weg an der Drau, das ist mein neuer Flussbegleiter, wechselt zwischen Asphalt und Kies, über freie Strecken und durch kleine Wäldchen. Ich fühle mich wieder gut.
Absolut imposant sind jedoch die kahlen Felsspitzen der auftauchenden Dolomiten. In der gewittrigen Schwül-Wärme wollen sie sich am Anfang nicht so richtig klar zeigen, doch am Abend machen die Berge mächtig Eindruck.
Nach 72 Kilometern folge ich dem Rat meines DSDS-Engelchens und mache für heute Endstation in Lienz, einem kleinen Städtchen in Tirol. Dort kaufe ich noch was, das ich nie wieder gebrauchen will: einen neuen Fahrradschlauch.
Etappe 16 - Ciao Bella Italia - Rad nach Rom
Nun, einfach wird es heute nicht. Aber wann war es schon einfach? Ich kann mich nicht erinnern. Beim Start in Lienz scheint die Sonne und in der trockneren Morgenluft rücken die Dolomiten der Stadt noch ein bisschen mehr auf die Pelle.
Meine Flussbegleiterin ist immer noch die Drau. Sprudelnd springt sie mir über Felsen, verhakte Baumstämme und kleine Wehre entgegen. Auf mehreren Holzbrücken wechsle ich beständig die Seite. Aber viel wichtiger ist doch: Der Drau-Radweg ist durchgängig asphaltiert und fernab von Autostraßen.
Es geht bergauf, letztendlich so hoch wie es der Reifen-Killer-Berg war. Zum Glück quälen mich dabei nur wenige Anstiegsspitzen, meist bleibt es moderat bei 1% - 3%, das aber konsequent. So ist es zwar anstrengend, aber nicht quälend und ab und zu bleibt noch der Blick auf die Fototapeten-Kulisse.
Innichen als Scheitelpunkt ist noch acht Kilometer entfernt, als mich Italien begrüßt. Früher als erwartet. Ich hatte die Stadt doch glatt in Österreich verortet.
Der Radweg war bisher sehr gut, die Italiener legen bei der Radroute Nr. 3 durchs Pustertal aber noch eine Schippe drauf. Perfekt ausgeschildert, perfekt asphaltiert, oft so neu, dass komoot mich irritiert ins Flusswasser schicken will. Manche Straßenüberführungen erinnern an eine Autobahn. Hier nochmal einen „herzlichen“ Gruß an Berlins Fahrradbekämpfungs-Senatorin.
Zu meiner Freude trägt natürlich bei, dass mein Vorderrad meist tiefer liegt als das Rad hinten. Mit anderen Worten, es geht bergab. Der Weg ist weiterhin perfekt und inzwischen bin ich schon nicht mehr über zwei 200m lange Tunnel verwundert, die extra für die muskelbetriebenen Zweiräder durch den Berg gebohrt wurden.
Mein Gesamt-Kilometerzähler steht kurz vor der 1.300, als ich Bruneck erreiche. Hier schlage ich heute mein Nachtlager auf.
Etappe Lienz - Innichen und bis Bruneck
Etappe 17 - Spazierfahrt im Regen - Rad nach Rom
So, jetzt fahr ich los! Aber nee, es regnet richtig doll. Wetterradar zeigt Bruneck am Rande vom Unwetter. Aber es zieht ab, bis auf die dunkle nachfolgende Wolke. Ich laufe zum Fenster, ich laufe zum Handy, ich packe zusammen und hole wieder alles raus. Es ist kurz vor 11 Uhr, ich gebe mir einen Ruck und ziehe die Regensachen an. Zwei Stunden später als üblich fahre ich los.
Es ist düster, aber bisher nieselt es nur. Die Radroute ist weiter perfekt und selbst an engen Verkehrsstellen hat das Velo seine eigenen Exklusiv-Spuren, breit, glatt, schnell. Im Grunde ist nur der Querverkehr zu beachten.
Eine Burgruine zieht meine Aufmerksamkeit an. Sie heißt Mühlbacher Klause, obwohl es hier kein Bier gibt. Zoll wurde hier früher eingetrieben, entweder als Geld- oder auch Warenabgabe: Mühlbacher Pfefferzoll. Ich habe außer einem Apfel nichts dabei und darf unbehelligt passieren.
Apropos Apfel: Neben der Strecke liegen riesige Apfel-Baumplantagen. Ob es Pink Lady, Braeburn oder Elstar sind, kann ich nicht erkennen. Wenig später wechselt die Obstsorte. Meine ersten Weinreben tauchen in einem malerischen Tal kurz vor Brixen auf.
Der Regen verzieht sich tatsächlich und schnell wird meine Regenjacke zu warm und auch die Regenhose kann kurze Zeit später aus. Weit wollte ich heute nicht fahren und so bleibe ich noch für einen kleinen Eindruck in Brixen und finde später nicht weit entfernt eine Unterkunft mit Sauna und Wein-Bar.
Etappe Bruneck - Klausen
Etappe 18 - Downhill nach Trento - Rad nach Rom
Lecker Essen und dazu guten Wein, das war mein Abend gestern. Zufällig hatte ich das Weingut & Genusshotel Spitalerhof in Klausen oder auf Italienisch in Chiusa ausgewählt und vom Nachbartisch erfahren, dass der junge Chefkoch bei Schubeck gelernt hat. Hoffentlich nur das Kochen. Auf jeden Fall war es ein genussvoller Abend. Um so schwerer fiel mir heute das Aufsatteln. Aber was soll’s, ich muss weiter. An der Ortsausfahrt werfe ich noch einen Blick auf das Kloster Säben in schwindelerregender Höhe.
Für mich geht es heute überwiegend bergab an der Seite meines neuen Flussbegleiters, es ist die Etsch. Die Berge sind grün, das Wasser blau und die Luft heiß.
Kurze Zeit später erreiche ich Bozen, esse schon am Vormittag einen Apfelstrudel und versuche meinen Wasserhaushalt mit Acqua Frizzante auszugleichen. Dazu als Nachweis auch noch ein Foto vom Marktplatz. Kamera rausgefummelt, auf dem Springbrunnen platziert, Zeitauslöser, krach… mein schwer beladenes Gefährt kippt um, und klack…
Es ist vielleicht langsam öde es zu erwähnen. Ich tue es trotzdem: Glattasphalt vom Feinsten, durchdachte Wegführung, Vorrang auf der Eurovelo 7. Oder wie es als Untertitel geschrieben steht: der Sonnenroute. Die Bezeichnung ist so zutreffend, ich schmelze vor Hitze und brauche zwischendurch eine Nachcremung.
Warum nur gucken mich die entgegenkommenden Radfahrer so verbissen an? Erst beim Stehenbleiben merke ich es: Ich habe guten Rückenwind! Damit lässt sich auf den heutigen knapp 100 Kilometern eben auch ein 21 km/h-Schnitt fahren. Am Nachmittag erreiche ich Trient bzw. Trento und werde hier in einer einfachen Pension übernachten.
Hört sich alles toll an, oder? Ist es aber nicht. Der Teufel sitzt im Nacken, in den Waden, Oberschenkeln und am schlimmsten im Kopf. Ich schaue mir auf meiner Navigationsapp die bevorstehenden Höhenmeter ab Bologna an. Ist zwar noch ein Stück hin, aber sie drohen mir wie der Wetterdienst vor Unwetter, Starkregen und Orkanböen. Ausweichrouten gibt es nicht und so hat mein DSDS-Engel einen sehr schweren Stand.
Etappe Klausen - Bozen und bis Trento
Etappe 19 - Zum Gardasee - Rad nach Rom
Trento ist mal wieder so eine Radreise-Überraschung. Wäre ich wahrscheinlich nie hingekommen. So erlebe ich ein mittelalterliches Städtchen, in dem es am Abend nur so vor Menschen wuselt. Wäre sehr einfach beim Aperol bis spät in die Nacht zu versacken.
Aber wer früh auf’s Rad will, kann nicht bis spät ins Glas schauen. So halte ich mich zurück und bin gegen 8.30 Uhr abfahrbereit. Schließlich habe ich bis zum Gardasee 100 Kilometer vor der Brust, einschließlich Abschlussberg kurz vor dem Ziel. So passt es mir gar nicht in den Kram, dass erstmal eine Umleitung den Weg verlängert.
Zum Glück ist sie nicht endlos lang und ich komme sehr bald zu meinem „Du bist zurück auf der Tour, die Navigation wird fortgesetzt.“ Aber klar, so ein gut ausgebauter Radweg muss gelegentlich auch in die Erneuerung, damit es weiter so durch die Weinreben flutscht.
So sieht es über etliche Kilometer aus, manchmal Wein, manchmal Apfel.
Mein Hör-Doch-Auf-Teufel begleitet mich dauerhaft und lässt zur Unterstützung seiner Argumente auch noch die Windrichtung drehen. Da ich immer noch nach Süden fahre, bin ich heute der mit dem verkniffenen Gesicht. Mein Kilometerzähler springt auf die 1.500. Statt Riesenfreude kommt eher ein Reicht-dann-wohl-auch-Gefühl auf.
Dann geht es rein in die Anhöhen vor dem Gardasee. Schweres Treten, ein bisschen Schieben und entgegen aller Erwartungen: es ist nicht schlimm. Nicht dass es leicht ist, es zeckt, aber der Teufel hat sich verrechnet und muss immer noch auf seine echte Chance warten. Erst recht, als ich am Ufer des Gardasees stehe.
Und noch mehr, als sich am Abend die Sonne…
Etappe Trento - Gardasee
…und weil ich zwischendurch auf Speichern gedrückt hatte, hier der zweite Teil der Tour
Etappe Trento - Gardasee Teil 2
Etappe 20 - Geradeaus nach Mantova - Rad nach Rom
Nach einem herrlichen Seeblick-Frühstück geht‘s wieder los. Zunächst nur wenigen hundert Metern bis zur Festung Porta Brescia Peschiera für ein Abschiedsfoto aus der Region Gardasee.
Der Tourtag von gestern steckt mir noch ganz schön in den Knochen und daher stehen heute nur knapp 50 Kilometer nach Mantova auf dem Programm. Schnurgerade langweilige 50 Kilometer immer am Mincio entlang, der ebenso träge und müde in seinem Flussbett umherschwappt. Zum ersten mal stecke ich mir die Ohrhörer rein und lasse mich von „On my way“ vorantreiben.
Die Musik aus dem Bodypump-Kurs lässt meine Gedanken abschweifen. Wie gerne würde ich mit meinen Freunden auch mal wieder den Bizeps und die Brust trainieren, als immer nur „Beine“. Und überhaupt vermisse ich sie alle, als ich so einsam die Piste abreiße. Kurz vor Mantova wird es dem Mincio noch langweiliger, er verbreitert sich zum Lago Superiore und lässt die Seerosen erblühen.
Auch Mantova bietet alte Steine. Hübsch aufgeschichtet zum Castello die San Giorgio, Palazzo Ducale, Piazza delle Erbe und natürlich der mächtigen Cattedrale di San Pietro Apostolo. Auf deutsch macht der Name nicht so viel her: Dom von Mantua. Eindrucksvoll ist er trotzdem.
Trotz der 35°C schleiche ich durch die Stadt und staune an jeder Ecke über die Türme, Zinnen und Plätze. Und noch etwas fällt mir auf: Trotz dieser Masse an historischen Gebäuden strömen hier keine Bus-Horden irgendwelchen hochgehaltenen Regenschirmen hinterher. Ich möchte mal behaupten: ein Geheimtipp.
Etappe 21 - Durch die Po-Ebene - Rad nach Rom
Sie hat’s gehört, ich bin mir sicher. Das mit dem langweiligen Weg wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. Kaum aus Mantova raus, hat komoot einen Single-Trail vorbereitet. Schmal, sandig und buschig. 33 fette Spinnen meckern mir hinterher, als ich ihre filigranen Gespinste mit dem Gesicht zerstöre.
Zunächst geht es anschließend auf frisch asphaltierten Wegen weiter. Offensichtlich ist der Eurovelo 7 hier noch im Ausbau, wenn auch schon weit fortgeschritten. Aber leider nicht überall. Ein kilometerlanger Kiesweg macht es mir schwer. Dick aufgestreuter loser Kiesel. Jeder Villenbesitzer würde sich über so eine Vorfahrt freuen.
Ich kämpfe mich durch: „Das ist alles? Mehr hast du nicht drauf?“ Doch, sie schickt mir Sonnenhitze. 36°C im Schatten. Nur auf der Strecke gibt es keinen Schatten. Die Hitze steht so dickflüssig über den Feldern, ich bekomme eine Gänsehaut. Ich kippe alle paar Meter Unmengen von Wasser in mich rein, am Ende der Tour werden es acht Liter sein.
Aber liebes komoot, es bleibt langweilig. Es ist halt die Po-Ebene, wo riesige Erntemaschinen noch riesigere Felder abernten. Monströse Wassersprenger liefern die fehlende Feuchtigkeit. Den Gedanken an eine Dusche verwerfe ich bei Sichtung des Ansaugwassers allerdings ganz schnell. Schließlich überquere ich den namensgebenden Fluss, der müde und gelangweilt vor sich hin gluckert.
Vor dem Start auf eine Tour suche ich mir immer mögliche Unterkünfte heraus. So auch diesmal auf dem halben Weg nach Bologna. Aber auch sie scheinen von der allgegenwärtigen Langeweile angesteckt und lassen mich vorbeifahren. Schließlich fehlen noch 45 Kilometer bis zur historischen Hauptstadt der Emilia-Romagna. Also, was soll’s. Zu meiner Rettung gibt es auf dem Weg Trinkwasser-Spender oder umfunktioniert Rad-Shirt-Befeuchter zur Kühlung.
Der „Restweg“ zieht sich wie Hubba-Bubba. Und in Bologna gibt’s noch einen Strecken-Nachschlag zur Findung einer bezahlbaren Unterkunft. Hier will ich nämlich zwei Nächte bleiben, mir die Stadt ansehen und die 130 Tageskilometer verdauen.
Keine Etappe mehr - ich habe fertig!
Ich fühle mich wie Flasche leer. So leer, ich kann nicht mehr. Ich bin auf Verschleiß gefahren, das spüre ich auch heute noch an meinem zweiten „Ruhetag“. Ich hatte so geträumt von meinem Einzug als Triumphator in Rom und habe dabei die Vorzeichen nicht sehen wollen. Wie ein halbvoller Sack mehligkochender Kartoffeln schleppe ich mich über Piazza Maggiore, ziehe im Bistro jede Nudel einzeln aus der Pasta und finde keine Freude am Fortsetzungs-Gedanken.
Wären es nur noch die „fehlenden“ 500 Kilometer gewesen, die hätte ich in kleinen Etappen geschafft. Aber die Strecke ist mit 5.000 Höhenmetern gespickt und darauf habe ich keinen Bock. Ein Urlaubsfreund aus uralten Tagen schrieb nach durchzechter Nacht an seine Zimmertür: „Ich will nicht – ich muss nicht – und ich kann auch nicht!“ Genau! Ich bin aus Freude über das Langstreckenfahren an den Start gegangen, ich muss es niemanden beweisen und zum Aufhören gehört auch Größe.
Nun kann man ja sein Fahrrad nicht einfach an die Ecke stellen und gut ist’s. So will ich euch noch von meinen Abschlussarbeiten berichten: Zunächst heißt es einen Fahrradkarton zu organisieren. Los mit dem Bus zum Einkaufszentrum am Rande der Stadt. In einem großen Decathlon werde ich fündig und bekomme die Pappe geschenkt. Noch etwas Klebeband und Luftpolsterfolie besorgt und zurück in’s Hotel, im Bus etwas argwöhnisch beäugt mit meinem Riesenkarton. Dann geht’s ans Zerlegen meines treuen Begleiters: Lenker, Sattel, Pedale und Vorderrad müssen ab.
Ist eine ganz schöne Fummelei, aber zum Glück lassen sich alle Schrauben lösen. Nur an die Stromversorgung meines Dynamos denke ich nicht und reiße mir die Kabel ab. Letztendlich bugsiere ich mein zerlegtes Gefährt gut gepolstert und verklebt in seine Box. Und da muss es ja auch erstmal nicht leuchten.
Nun gut, jetzt ist es verpackt, steht aber immer noch in Bologna, 1.700 Kilometer weg von zu Hause. Nach Internetrecherche bieten Speditionen einen Fahrrad-Rücktransport mit Abholung ab 69 Euro an. Das ist ja bequem denke ich und mache mich an die Bestellung. Auf der Internetseite steht „ab“!!! Bei der Endsumme bleibt mir die Spucke weg: 765 Euro! Da fahre ich ja lieber wieder zurück. Aber es gibt eine Lösung: die Mitnahme im Flugzeug. Das Kartönchen geht nicht gerade als Handgepäck durch, lässt sich aber bei Ryanair für 60 Euro als Sportgepäck dazubuchen. Und so soll es sein.
Am Flughafen muss ich mich zunächst in die Schalter-Schlange einreihen, bekomme dann einen Code auf mein Kartönchen gepappt und muss die Fuhre noch einmal Quer durch den Flughafen zum “Bulky-Luggage” karren. Dort verschwindet es auf einem breiten Gepäckband und ich hoffe, meinen treuen Begleiter in Berlin wieder in die Arme zu schließen.
Und auch das klappt unerwartet perfekt. Kaum habe ich mir am BER einen Gepäckwagen geschnappt, spuckt das Sperrgepäckband meinen Karton nach wenigen Minuten aus.
Inzwischen ist das Gefährt wieder zusammengeschraubt, meine Kräfte sind zurückgekehrt und so denke ich nach meiner Tour nach Barcelona und dieser nicht ganz geglückten Fahrt nach Rom schon wieder über weitere Radreisen nach.