Eine Reise mit dem Deutschlandticket – Ein Selbstversuch
Klaus hat ein Abo bei den Berliner Verkehrsbetrieben und hat einfach so, von heute auf morgen, dieses Berlin/Brandenburg-Ticket in ein Deutschlandticket verwandelt bekommen. Und jetzt will er mal ausprobieren, wie es wirklich ist, wenn man mit Nahverkehrszügen rund 850 Kilometer von Berlin nach Freiburg zurücklegen will. Lauschen wir seiner Geschichte:
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Um es gleich vorwegzusagen, es hat tatsächlich geklappt. Auf der Hinreise recht ordentlich, dafür auf der Rückreise mit unvorhersehbaren Hindernissen. Was man auf so einer Fahrt unbedingt planen sollte, ist Zeit - viel Zeit. Und man sollte einen Plan B in der Tasche haben. Wer es eilig hat, darf diese Reise erst gar nicht antreten. Ich war auf der Hinfahrt über 14 Stunden unterwegs und auf der Rückfahrt mehr als 18 Stunden.
Die Luft ist klar und angenehm, als ich mich um fünf Uhr auf den Weg mache, meine S-Bahn in Berlin-Lichtenrade zu erreichen. Ich bin überrascht, wieviel Menschen doch schon um diese Zeit unterwegs sind. Um 5:44 Uhr soll dann der RE 3 vom Bahnhof Südkreuz nach Jüterbog abfahren.
Pünktlich ist er da, ich steige ein. Ohne Zeitverzögerung komme ich um 6:26 Uhr in Jüterbog im Landkreis Teltow-Fläming an. Die 13 Minuten zum Umsteigen reichen vollkommen aus, um die S-Bahn nach Halle/Saale zu erreichen. Um 7:00 Uhr läuft der Zug im Bahnhof Wittenberg ein und hat die Grenze zu Sachsen-Anhalt überfahren. Eine Stunde später bin ich in Halle. Mir bleiben 55 Minuten, um die Fahrt mit dem RE 9 nach Kassel-Wilhelmshöhe fortzusetzen. Zeit für ein kleines Frühstück und einen Kaffee. Ich folge der Beschilderung zum Ausgang und genieße die warme Sonne auf dem Bahnhofsvorplatz. Während der Bahnhof selbst recht übersichtlich und sauber aussieht, macht der Vorplatz eher den Eindruck, man sei hinter dem Bahnhof gelandet. Aber es gibt immerhin einen Hinweis auf etwas Essbares.
Um 9:02 Uhr setzt sich der gut besetzte Zug in Bewegung, der ab Sangerhausen dann so richtig voll wird. Ich bin froh, in Halle noch einen Platz gefunden zu haben. Die Landschaft verändert sich, wie auch die Sprache der Menschen; es ist ein wahres Sprachgewirr. Ich versuche, die verschiedenen Dialekte einzuordnen. Hochdeutsch wird wenig geredet, dafür kommen verschiedene sächsische Vokabeln an mein Ohr und die ersten Hessen fangen an zu babbeln. Kurz vor Kelbra zieht an meinem Fenster das Kyffhäuser-Denkmal vorbei, das auf dem gleichnamigen Mittelgebirgszug thront und die Grenze zu Thüringen bildet. Das flache Brandenburger Land ist inzwischen weit weg und über Nordhausen, dem Tor zum Südharz, komme ich mit zehn Minuten Verspätung um 12:03 Uhr in Kassel an.
Der recht große Bahnhof erfordert meine ganze Aufmerksamkeit, um das Gleis zu finden, auf dem der RE 30 nach Frankfurt stehen soll. Da ich noch Verpflegung ordern will, sind die 26 Minuten Umsteigezeit gerade ausreichend. Beinahe trickse ich mich selbst aus, weil ich ein paar Minuten am falschen Zug verbringe. Ich bemerke nicht sofort, dass zwei Züge auf demselben Gleich abfahrbereit stehen. Schließlich entere ich noch rechtzeitig den richtigen Waggon. Der RE 30 ist zwar gut ausgelastet, ich habe aber trotzdem meinen Fensterplatz, als das Landgrafenschloss in Marburg und um 14:40 Uhr die Hochhaus-Skyline von Frankfurt/Main an mir vorbeiziehen.
Im Bahnhof herrscht ein „gefühltes“ Chaos. Hunderte, nein Tausende suchen sich einen Weg durch das Gewimmel. Meine 30 Minuten Umsteigezeit reichen aber aus, um im RE 70 meine Fahrt nach Mannheim fortzusetzen.
In Mannheim habe ich 17 Minuten Zeit zum Umsteigen, bevor sich die S9 um 16:19 Uhr Richtung Karlsruhe in Bewegung setzt. Ich bin begeistert, wie bisher alles reibungslos klappt. Das ändert sich in Karlsruhe aber schlagartig. Wir kommen mit Verspätung im Bahnhof der badischen Stadt an und meine sieben Minuten zum Umsteigen sagen mir: „Das schaffst du nie!“. Ich versuche es trotzdem und habe Glück. Als sich die Türen gerade schließen wollen, schlüpfe ich noch in den Wagen. Pustend, schnaubend und innerlich wütend, bewege ich mich um 17:39 Uhr auf meine vorletzte Station zu. Der RE 7 Richtung Basel soll um 19:08 Uhr in Denzingen ankommen. Kommt er aber nicht, auch hier Verspätung und mir bleiben keine zwei Minuten zum Umsteigen. Ich sehe die S-Bahn vor meinen Augen schon wegfahren, doch ein Mitfahrer machte mir Hoffnung: „Meistens wartet sie, bis der RE 7 da ist." Und tatsächlich, die S2 nach Freiburg wartet ein wenig und so komme ich dann doch noch pünktlich um 19:21 Uhr in Freiburg, am Ziel meiner Reise an. Nach einem Fußweg von zehn Minuten und einem großen Schritt über ein Freiburger Bächle habe ich nach insgesamt 14:30 Stunden mein Hotel erreicht.
Freiburg ist allemal eine Reise wert. Ganz besonders die Altstadt lockt mit einigen Sehenswürdigkeiten und historischen Bauten. Das alte Kaufhaus am Marktplatz direkt gegenüber dem Freiburger Münster zum Beispiel ist ein toller Hingucker.
Nach zwei Übernachtung soll am dritten Tag die Rückfahrt nicht ganz so früh beginnen wie die Hinfahrt. Ich kann noch in Ruhe und Gelassenheit mein Frühstück einnehmen, um dann um 9:42 Uhr mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof zu fahren. Sehr praktisch hält die Tram direkt über den Gleisen der Bahn. Ich nutze den Fahrstuhl, um dann direkt auf dem Bahnsteig zu stehen, wo mein RB 26 hält, der mich um 10:00 Uhr nach Offenburg bringen soll.
Es ist Samstag und ich wundere mich ein wenig, warum so viele Familien mit Kindern und einzelne Jugendliche im Zug sitzen. Auf halber Strecke weiß ich warum. Als der Zug in Ringsheim hält, steigt gut die Hälfte der Fahrgäste aus. Ein großes Schild zeigt den Weg zu einem Shuttle-Bus, der die Fahrgäste zum Europa-Park in Rust bringt. Ich wechsele kurz meinen Fensterplatz und sehe tatsächlich im Hintergrund die riesigen Fahrgeschäfte, die sich dort aufreihen. Aber jetzt heißt es Konzentration. Meine Umsteigezeit beträgt in Offenburg nur zehn Minuten. Da es relativ früh am Tag ist, hält sich die Verspätung noch in Grenzen und ich komme pünktlich um 10:52 Uhr an. Der RE 2 nach Karlsruhe fährt zehn Minuten später ab und ich bin um 11:49 Uhr wieder in der badischen Stadt. Auch die weiteren Umsteigebahnhöfe in Heilbronn und Würzburg lassen sich mühelos meistern.
Doch dann in Erfurt, wo ich um 16:21 Uhr ankomme, beginnt das Chaos. Mein Zug, der aus Magdeburg kommt und mich zurück über die sachsen-anhaltische Hauptstadt nach Berlin bringen soll, kommt mit 45 Minuten Verspätung an, weil er unterwegs öfter halten muss, um schnellere Züge vorbeizulassen. So jedenfalls lautet die Durchsage auf dem Bahnsteig, die allerdings den Wartenden nicht verraten will, dass die Abfahrt nach Magdeburg inzwischen auf einem anderen Gleis stattfinden soll. Glücklicherweise halten einige Reisende stets ihr Handy in der Hand und bekommen so vom Streckenagenten der Bahn die Informationen noch rechtzeitig geliefert. Die moderne Buschtrommel setzt dann einen Tross in Bewegung, der sich sputen muss, um nicht noch den abfahrbereiten Zug zu verpassen.
Was jedoch keine Bahn-App verraten will (oder kann), keine Durchsage im Bahnhof Erfurt erwähnt und auch die Zugbegleiterin nicht preisgeben will, ist, dass der Regionalzug nur bis Sangerhausen fährt, weil ein zuständiges Stellwerk ausgefallen und somit kein weiterer Zugverkehr möglich ist. Das erfahren wir 150 Fahrgäste erst beim Verlassen des Zuges, als wir auf dem Bahnsteig von der Zugbegleiterin informiert werden. Grund für die Schließung des Stellwerks seien angeblich personelle Engpässe. „Gehen sie bitte um den Bahnhof herum, dort ist ein Schienenersatzverkehr eingerichtet. Allerdings weiß ich nicht, wann die Busse abfahren“, so ihre Auskunft bevor sie mit einem „Viel Glück“ verschwindet. 150 ungläubige Gesichter. Darunter zahlreiche Familien mit kleinen Sprösslingen, mit Kinder- und Bollerwagen, Hunden, Katzen und Fahrrädern. Warum man uns Reisenden nicht schon vor der Abfahrt in Erfurt die Mitteilung gemacht hat, dass der Zug nur bis Sangerhausen fährt, bleibt ein Geheimnis der Bahn. In Erfurt hätte man sich noch nach anderen Möglichkeiten der Weiterreise umschauen können, was in Sangerhausen nicht mehr möglich ist.
Statt um 20:00 Uhr in Magdeburg zu sein, stehen wir alle auf dem Bahnhofsvorplatz und warten auf den Ersatzbus, der letztendlich aber nicht kommt. Dafür kommen Busse aus Nordhausen und fahren nach Eisleben oder nach Halle. Einige Reisende steigen ein, ohne zu wissen, wo sie landen werden.
Gegen 21:00 Uhr kommt dann wieder ein Bus, der nach Halle fährt. Die letzte Möglichkeit wegzukommen. Mehr als 70 Personen drängeln sich in das Fahrzeug, ich habe Glück und bekomme einen Sitzplatz. Wie Fische in der Konserve müssen die Stehenden über eine Stunde durchhalten, um dann in Halle wieder richtig durchatmen zu können. Ich habe nur noch eine Chance, um nach Berlin zu kommen. Ich fahre mit der S-Bahn nach Leipzig, um von dort mit Umstieg in Wittenberg Richtung Heimatbahnhof zu fahren. Es klappt. Gegen 2:00 Uhr am Sonntagmorgen stehe ich dann endlich in Berlin auf dem Bahnhof Südkreuz und warte auf die S 2 nach Lichtenrade, um die letzte Etappe anzutreten. Da flackert die Beschriftung am Gleis auf: Die Züge fahren wegen eines Polizeieinsatzes unregelmäßig!! Ich bleibe gelassen, diese Verspätung ist in Berlin fast schon normal.
Nach gut 18 Stunden bin ich endlich zu Hause, müde, hungrig und ein wenig stolz, es doch noch geschafft zu haben, auch wenn die Bahn alles versucht hat, es zu verhindern.
Und noch ein Tipp:
Auf der Homepage der Deutschen Bahn habe ich mir die Reise zusammenstellen lassen und darauf geachtet, dass auf den Umsteigebahnhöfen genügend Zeit bleibt, um den Zug zu wechseln. Allerdings muss man in einigen Orten kurze Umsteigezeiten in Kauf nehmen, um überhaupt einen passenden Anschlusszug zu bekommen. Besser ist ein „Puffer“ von 30 bis 45 Minuten und auch die waren manchmal sehr knapp bemessen. Oft reichte die Zeit aber aus, um einen Kaffee zu trinken oder auch einen Blick auf den Bahnhofsvorplatz zu werfen.
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Danke für diese unterhaltsame Story, lieber Klaus. Auch wir haben schon einmal Derartiges unternommen; allerdings waren unsere Reisen viel, viel kürzer. Als das 9-Euro-Ticket herauskam, sind wir von Berlin aus mehrmals in die nähere Umgebung gefahren. Die Geschichten dazu gibt es hier: 9-Euro-Ausflüge ab Berlin
Und über Freiburg haben wir auch schon einmal berichtet: Freiburger Blickwinkel