Rostock, die „Stadt der Sieben“ – ein Gastbeitrag
Ein Stadtrundgang durch die Hansestadt Rostock mit eindrucksvollen Einblicken und Informationen zur Rostocker Stadtgeschichte von Klaus Tolkmitt.
Für den Baltikpoeten Manfred Basedow ist Rostock das „Tor zur Welt“. In seinem Gedicht beschreibt er die Rostocker als stolze Hanseaten aus besonderem Holz, die sich mit der Welt verbunden fühlen. Das Gedicht in Langfassung gibt es hier.
Nach meinem Besuch in der mecklenburgischen Hansestadt an der Ostsee kann ich nicht wirklich beurteilen, ob die Gedichtzeilen tatsächlich so auf die Rostocker zutreffen, denn dazu war ich nicht lange genug innerhalb der alten Stadtmauern. Doch was ich nach meinem Spaziergang durch die Gassen, über die Plätze und die Hafenpromenade sagen kann, Rostock ist ein Gang durch die Renaissance der Hansezeit.
Stadtrundgang durch die Hansestadt Rostock
Die Stadt mit all den wunderschönen Giebelhäusern, Stadttoren und Profanbauten aus der Backsteingotik wird auch „Stadt der Sieben" genannt, weil die Sieben in der Geschichte eine zentrale Rolle gespielt hat.
Aber auch Mythen und Sagen, die mir als Autor auf der Spurensuche für die Web-App lialo.com über den Weg „liefen“, spielen in der Hansestadt eine große Rolle. Man muss nur genau hinschauen, die Rostocker Geschichte ist oft spür- und erlebbar, auf alle Fälle aber interessant.
Gestartet habe ich den ca. vier Kilometer kleinen Rundgang am Steintor, das vom Hauptbahnhof mit dem Bus 22 oder 23 oder mit der Straßenbahn 5, die im 2. Tiefgeschoß des Bahnhofs abfährt, gut zu erreichen ist.
Vor dem schön sanierten Stadttor stehen zwei Skulpturen. Halb Adler, halb Löwe, ist das Fabelwesen seit dem frühen Mittelalter Rostocks Wappentier. Der Greif soll schon im 12. Jahrhundert das Schild der slawischen Fürsten geschmückt haben und durch Händler in den südlichen Ostseeraum gebracht worden sein. Er diente als mythisches Schutztier der Stadt und symbolisiert Kraft, Stärke und Schnelligkeit.
Am Tor selbst tragen zwei Löwen drei historische Rostocker Wappen: Das mit dem Greifen (Wappen der Fürsten), das mit dem Stierkopf (das große Stadtsiegel) und der dreifarbige Schild mit Greif (das hanseatische Stadtwappen).
Direkt neben dem Steintor steht ein wunderschöner Backsteinbau aus dem Jahr 1893. Es ist das historische Ständehaus, das einst als Parlamentsgebäude diente, ehe es zu DDR-Zeiten als Klubhaus der Volksarmee genutzt wurde. Heute beherbergt es das Oberlandesgericht Rostock. Es ist das einzige Oberlandesgericht des gesamten Landes Mecklenburg-Vorpommern mit über 1500 Richtern und Staatsanwälten.
Die vier Herrschaften, die von oben am Gebäude auf mich herabblicken, sind allerdings keine Anwälte oder Richter, sondern mecklenburgische Fürsten: die Herzöge Johann Albrecht I. und Christian Ludwig II., Großherzog Friedrich Franz II. (alle Mecklenburg-Schwerin) und Großherzog Georg (Mecklenburg-Strelitz).
Ich mache mich nun auf der gepflasterten Straße vom Steintor direkt auf zum „Neuen Markt“. Hier schlägt nicht nur das „Herz" Rostocks, hier springen mir gleich mehrere schöne Fotomotive ins Auge.
Schon in den Geschichtsbüchern über Rostock ist zu lesen, dass es in der Stadt viele Dinge gleich sieben Mal gab. Rostock hat sieben Kirchen (Kirche Warnemünde, St. Marien-, Petri-, Nikolai-, Johannes-, Heiligen-Geist- und die Universitäts-Kirche), deren sieben Glocken alle gleichzeitig schlagen, das Rathaus hat sieben Spitzen auf dem Dach und sieben Eingangstüren, die St. Marien Kirche hat sieben Türme, es gibt sieben Straßen, die vom Neuen Markt abgehen, sieben Tore, die in das Land führen, sieben Kaufmannsbrücken am Hafen und sieben uralte Lindenbäume im Rosengarten.
Angeblich lebten in Rostock früher auch nur sieben Studenten. Das stimmt heute nicht mehr. Mehr als 14.000 sollen es inzwischen sein. Ein Dutzend davon habe ich allein schon auf dem Marktplatz gesehen.
Direkt am Rathaus habe ich noch eine Begegnung. An einer der Eingangssäulen rekelt sich eine Schlange in der warmen Sonne. Es ist „Johannes“, die ist zwar noch nicht so alt wie der 700jährige Profanbau in Backsteingotik, aber sie wurde schon im 18. Jahrhundert erwähnt. In der Sage zur Rathausschlange ist zu lesen, dass sie Weisheit gestiftet haben soll, von der ganz besonders die Ratsherren profitiert haben. Die Markthändler vor dem Rathaus sahen in dem Reptil eher ein „Aalmaß" beim Verkauf ihrer Fische. Den Handwerksgesellen diente die Schlange als Beweis, auf ihrer Wanderschaft auch in Rostock gewesen zu sein. Eine weitere Erklärung: Vor vielen Jahren soll es in Rostock eine Sturmflut gegeben haben. Dabei ist zwischen den Säulen am Rathaus ein Aal hängen geblieben. So wurde dann der Sage nach aus dem Aal eine Schlange. In der mecklenburgischen Sagenwelt gibt es zudem einen Hausgeist in Gestalt einer Schlange, der viel Gutes den Menschen bringt und Glück versprüht. Die heutige (bronzene) Schlange wurde 1998 zum 780. Stadtgeburtstag am 24. Juni (Johannistag) auf den Namen Johannes getauft. Auch wenn die Bedeutung der Schlange am Rathaus bis heute nicht eindeutig geklärt ist, es soll Glück bringen, wenn man ihr über den Kopf streichelt. Ich habe mich getraut!
Bis zu seiner Zerstörung im Kriegsjahr 1942 war der Markt an allen Seiten mit hanseatischen Giebelhäusern gesäumt. Heute sind es leider nur noch wenige Prachtbauten, die zu Rostocks Sehenswürdigkeiten gehören. Das Rathaus gehört natürlich auch dazu. Hier standen um 1270 schon zwei verbundene Giebelhäuser, denen später ein weiteres Haus folgte. Danach wurden die Gebäude mit einer rückwärtigen Wand mit sieben Türmen „verkleidet", um ein einheitliches Ensemble zu schaffen. Der reich verzierte barocke Vorbau mit Laubengang wurde schon bald nach dem Ausbau des Rathauses hinzugefügt.
Was selbst nicht alle Rostocker wissen: vom Dach des Vorbaus wurden den Bürgern auf dem Marktplatz die „Burspraken“ verlesen. Das waren die vom Rat erlassenen Verordnungen. Und dann gab es da noch das „Brumm-Bären-Loch" im Keller unter dem Rathaus. Neben einer Folterkammer waren ausbruchsichere Verliese eingerichtet für Gefangene, die nachts ohne Laterne durch die dunklen Straßen „schlichen", obwohl Laternenzwang verordnet war.
Am Möwenbrunnen vorbei, biege ich in die Kröpeliner Straße ein. Auf der Einkaufs- und Bummelmeile zwischen dem Neuen Markt und dem Kröpeliner Tor fuhr bis 1960 noch eine Straßenbahn. Seitdem die Straße nur für Fußgänger reserviert ist, lassen sich neben den zahlreichen Shops, die Häuser der Backsteingotik und der Hanse-Renaissance viel besser betrachten.
Die zweite Querstraße ist die Buchbinderstraße, in der ich ein verstecktes Relikt entdeckt habe. Nach 80 Metern stehe ich vor der Volks- und Raiffeisenkasse und schaue links um die Ecke. In drei Metern Höhe entdecke ich den Mann mit der „Goldenen Nase“. Die Geschichte dazu gibt es hier.
Nase anfassen geht allerdings nur mit einer Leiter und die hatte ich grad nicht dabei. Ich musste also auf das „Naseputzen" verzichten und bin zurück auf die Kröpeliner Straße gegangen. Die Rostocker nennen sie liebevoll „Kröpi", und sie führt direkt auf den Universitätsplatz mit dem „Pornobrunnen“. Freikörperkultur war zu DDR-Zeiten ja ein beliebter Freizeitspaß, musste ich nun mit einer Steigerung der Nacktkultur rechnen? Natürlich nicht, die Skulpturen des „Brunnens der Lebensfreude“, wie der aus Fontänen und Sprudel wasserspeiende Brunnen offiziell heißt, lassen zwar Phantasien zu, sind aber keine sittengefährdeten Darsteller. Für die schaffenden Künstler Jo Bertram und Reinhard Dietrich ist er eine Einheit und Beziehung zwischen Mensch, Tier und Wasser. Im Sommer freuen sich besonders die Kinder über den nassen Spielplatz.
Auf dem Universitätsplatz, der erst seit 1961 diesen Namen trägt, ist besonders schön das Hauptgebäude der Universität anzusehen, die im Jahre 1419 gegründet wurde und damit eine der ältesten Hochschulen Deutschlands sowie die älteste Universität im Ostseeraum ist. In einem 2018 veröffentlichten Ranking von Times Higher Education wurde die Hochschule als die schönste Universität Deutschlands und die viertschönste Europas gelistet. Mehrere Nobelpreisträger haben in Rostock studiert oder geforscht, darunter Albrecht Kossel, Karl von Frisch und der Physiker Otto Stern. Im Umfeld der Universität haben sich durch Institute, Gründungen und Unternehmensansiedlungen Cluster der Wirtschaft und Forschung in Bereichen der Spitzentechnologie gebildet.
Im Bereich der Grünanlage des Universitätsplatzes befinden sich noch zwei Denkmale. Ein großes für den in Rostock geborenen Gebhard Leberecht von Blücher, dem Feldmarschall, der gegen Napoleon in den Krieg zog und dessen Geist noch heute in Rostock lebendig sein soll und ein kleines, das einem bekannten Rostocker Straßenmusikanten gewidmet ist: Michael Tryanowski, der mit 99 Jahren 2018 in Rostock verstarb. Er war ein Rostocker Stadtoriginal. Da die meisten Rostocker seinen richtigen Namen nicht kannten, wurde er oft liebevoll „Spielmann-Opa“ genannt. Zuletzt stand er mit seinem Akkordeon und der Teufelsgeige meist nur noch auf dem Rostocker Universitätsplatz oder am Alten Strom in Warnemünde. Von seinem Denkmalsplatz schaut Spielmann-Opa direkt auf das Fünfgiebelhaus an der Ecke zur Breiten Straße, an dem ein Glockenspiel hängt, das von Mai bis Oktober jeden Samstag um 12 Uhr läutet.
Ich folge nun der Breiten Straße, überquere die Lange Straße und blicke in der Schnickmannstraße auf einen Wasserlauf, der die Straße hinabplätschert. Auf halben Wege biege ich am Witteschen Speicher rechts „An der Oberkante" ein, um mir noch das Hausbaumhaus in der Wokrenterstraße 40 anzusehen. Das spätgotische Giebelhaus wurde um 1490 errichtet und ist als eines der ältesten Kaufmannshäuser aus der Hansezeit in Rostock und bis heute weitgehend erhalten. Das Haus verdankt seinen Namen einem aus Eichstamm gefertigtem Hausbaum. Bis ins 16. Jahrhundert diente die imposante Halle im Erdgeschoss als Arbeits- und Wohnstätte – somit kann das Hausbaumhaus noch zum Typ der Wohndielenhäuser gezählt werden.
Von der Wokrenterstraße sind es nur noch 160 Meter bis zur Straße „Am Strande", die ich überqueren muss, um im Stadthafen zu landen. Hier bietet sich eine Hafenrundfahrt an oder aber nur ein Spaziergang an der Kaimauer entlang, um den Geruch von Wasser, Fisch und Schiffen aufzunehmen.
Der Stadthafen wurde umgestaltet, nachdem er seine Funktion als Güterumschlagsplatz verloren hatte und die Hafenbahn 1991 stillgelegt wurde. Die Gleisanlagen sind bis auf einzelne Reste komplett demontiert. Es sind nur noch wenige Relikte aus der pulsierenden Hafenstadt erhalten geblieben, wie der liebevoll restaurierte Lokschuppen, der nun ein rustikaler und gemütlicher Veranstaltungsort für viele Anlässe geworden ist. Das Holzgebälk erinnert noch an die einstige Bestimmung des traditionsreichen Gebäudes, das seine besondere Atmosphäre erhalten konnte.
Unmittelbar hinter dem Lokschuppen sehe ich auf der gegenüberliegenden Seite der Straße „Am Strande" das Mönchentor. In der strandvögtlichen Amtswohnung im Obergeschoss des Torhauses wurde der berühmte Rostocker Botaniker Ferdinand Müller geboren, der später auswanderte und in seiner Wahlheimat Australien zur geographischen Entdeckung des Kontinents beitrug.
Das Mönchentor wurde erstmals im Jahre 1316 urkundlich erwähnt und liegt in der ehemaligen Mittelstadt. Der Name von Tor und Straße stammt von einer alten Rostocker Kaufmannsfamilie namens Mönch. Ausgesprochen beeindruckt von so vielen Informationen gehe ich durch das Tor die Große Mönchenstraße weiter, um rechts auf die Straße „Vogelsang" zu kommen. In Sichtweite ragt vor mir die Marienkirche in die Höhe, der ich unbedingt einen Besuch abstatten muss. Die frühgotische Hallenkirche aus dem Jahr 1230 ist ein Kleinod norddeutscher Backsteinarchitektur. In ihr befindet sich ein technisches Kunstwerk von Weltgeltung: die Astronomische Uhr.
Sie gehört zu einer Familie vergleichbarer europäischer Großuhren wie in Danzig, Strasbourg oder Lund. Die exakten Anzeigen der Uhrzeit, der Mondphasen und des Sonnenjahres sowie die zahlreichen Daten der Kalenderscheibe zeugen von der hohen Kompetenz der Wissenschaft des 15. Jahrhunderts.
Die Apostel mit dem segnenden Christus im oberen Bereich der Uhr und die Evangelisten als Wächter in den vier Ecken machen sie zur ständigen Mahnung, wie unsere Zeit verrinnt und welch Wimpernschlag unser Leben ist, angesichts der Ewigkeit.
Mit Mythen und Sagen habe ich den Rundgang begonnen und mit einer mysteriösen Geschichte, der Sage vom "Bleichermädchen", möchte ich deshalb die Reise nach Rostock beenden. Es gab einmal einen Küster in der Marienkirche, der die Arbeit nicht erfunden hatte. Für viele seiner Aufgaben musste sein Dienstmädchen herhalten. Eine dieser Aufgaben war, morgens um 6 Uhr, mittags um 11 Uhr und abends um 17 Uhr die Betglocke der Kirche zu läuten.
Eine undankbare Aufgabe, denn in den Wintermonaten war es morgens und abends stockdunkel in der Kirche. Da das Mädchen keine Furcht kannte, wollte ihr Verlobter, ein frecher Schustergeselle, sie auf die Probe stellen und hüllte sich in ein Bettlaken und schlich als „Geist" in die Kirche. Das Mädchen erschrak so sehr, dass sie ihre frische Gesichtsfarbe verlor, schneeweiß wurde und drei Tage später verstarb.
Das Mädchen stammte aus einer sehr armen Familie und wurde an einem Dienstagabend um 21 Uhr lieblos und still beerdigt. Mit einem Mal jedoch erleuchtete wie von Geisterhand die Marienkirche in prachtvollem Licht, die Glocken begannen zu läuten und im Inneren spielte die Orgel ein sanftes Sterbelied. Es schien, als seien höhere Mächte am Werk. Noch lange nach dem Vorfall flüsterten die Rostocker, wenn abends die Betglocke läutete: „Das bleiche Mädchen wird begraben“.
So ist die Aussage: „Zu Tode erschreckt“ womöglich von dieser Rostocker Sage abzuleiten.
Die Tour durch Rostock, mit weiteren Sagen und Mythen, gibt es auch als Web-App für das Smartphone. Wer also selbst auf Spurensuche in Rostock gehen möchte, dabei kleine Aufgaben und Rätsel lösen will, wie bei einer Schnitzeljagd, der folgt diesem Link: https://lialo.com/tour/49wp und kann sofort loslegen.
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Wir danken Klaus für diesen netten und sehr informativen Stadtrundgang durch die Hansestadt Rostock. Wenn ihr eine Geschichte für uns habt, immer her damit. Am besten eine Mail an info@gradr60.com