Haus Rabe in Zwenkau - Ein Gastbeitrag
Edith aus Oberbayern und Karin aus Leipzig sind zwei aus Sachsen-Anhalt stammende Gymnasial-Freundinnen, die im Ruhestand neugierig und unternehmungsfreudig durchs Leben gehen und gern Neues ausprobieren. Während der Pandemie-Zeit haben sie u.a. das kooperative Schreiben entdeckt. In nachfolgender Episode ist Edith die Erzählerin. Lasst euch heute mitnehmen auf eine Landpartie in eine sächsische Kleinstadt.
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„Raus und Machen“ ist eigentlich ein Projekt von Christo Foerster - einem Pionier der Mikroabenteuer. Mir gefällt diese Devise, wenngleich ich meine Spielregeln dabei viel größer fasse. Als sich der letzte Oktober als ein wunderschöner goldener zeigte, stand einem Spontanausflug in die alte Heimat nichts entgegen! An lohnenden Zielen mangelte es nicht: Schwester besuchen, Freundinnen überraschen, Kunst in der Grafikstiftung Neo Rauch genießen und Eichenbäume im Landschaftspark Großkühnau schauen.
Dazu durch Halle bummeln und an der Saale spazieren, erstmalig das Städtchen Zerbst mit dem heimatlichen Schlossrelikt von Katharina der Großen erkunden... Jetzt im Ruhestand schaue ich auf Sachsen Anhalt mit viel milderen Augen als in meiner Jugend.
Vor allem hatte ich ein architektonisches Kleinod im Visier und wollte da unbedingt hin! Es liegt in Sachsen, südlich von Leipzig, genau genommen in Zwenkau , 51° 13′ N , 12° 19′ O. Ich hatte zuvor noch nie etwas von diesem Ort gelesen. Was sollte es da schon Besonderes geben? Hat jemand schon mal etwas vom HAUS RABE gehört? Entdeckt habe ich diese kleine Bauhaus-Perle durch puren Zufall. Meine Tochter wandte sich mit einer Bitte an mich. Sie hatte von einem Atelierkollegen unterschiedliche Linoleumplatten in drei verschiedenen Farben geschenkt bekommen: in Petrol, in Blau und in Beige. „Mama, wenn dir mal eine Idee unterkommt, wie man die verlegen könnte....“ Ein gewürfeltes Raster entspricht nämlich nicht gerade unserer Ästhetik. Und dann dieses Glück bei der Recherche! Durch die Eingabe einer besonderen Wortkombination bin ich auf das Haus Rabe gestoßen. Vom ersten Moment an war ich hingerissen und das nicht nur aufgrund der interessanten Farbanordnung des Linoleum-Fußbodens. Auf der Webseite steht, dass man das Haus Rabe in Zwenkau nur nach Voranmeldung über einen digitalen Reservierungskalender besuchen kann. Eine telefonische Reservierung geht aber auch. Also auf nach Zwenkau bei Leipzig! Was lag näher, als meine Freundin aus der Südvorstadt Leipzig auch zum Besuch des Hauses einzuladen. Als meine Schwester und ich in die Ebertstraße einbiegen, sehe ich Karin schon am Straßenrand stehen. Ich parke vor der Nummer 26 wie zu einem Familienbesuch.
Wir befinden uns in einem Siedlungsgebiet mit überwiegend Einfamilienhäusern. Hier soll ein Museum sein? Der weiße Würfel zwischen den hohen Bäumen zu beiden Seiten wirkt sehr privat. Von der Straße aus gesehen macht er einen eher zurückgenommenen und schlichten Eindruck.
Doch welche Farbenpracht eröffnet sich auf dem Grundstück und später im Inneren des Hauses! Während sich die Gruppe vor uns noch verabschiedet, dürfen wir bereits in den Garten. Der Birnbaum hat viele seiner gefärbten Blätter schon in die Wiese geworfen. Von hier offenbart sich ein fantastischer Blick auf die Rückfassade des Hauses! Eine Treppe führt in den Wintergarten hinauf, deren roter Handlauf Sicherheit gewährleistet. Aber es sind nicht nur zwei, drei Stufen bis hinauf. Der Wintergarten beginnt im ersten Stock und erstreckt sich von dort über zwei Etagen! Mir entschlüpft ein: „Wow!“
Während eine Gartenhälfte überwiegend Wiese ist, gruppieren sich im anderen Teil Sträucher und Bäume um ein mit Ziegeln umrandetes Bassin - dazwischen Wege aus Natursteinplatten. Die herbstliche Flora zeigt sich von saftgrün über senfgelb bis weinrot. Ein Findling und eine Bank zum Verweilen runden den Gesamteindruck der kleinen Parklandschaft ab. So schön!
Man möchte bleiben, aber unsere Besichtigungszeit für die Innenräume beginnt. Empfangen werden wir in der Rezeption der ehemaligen Arztpraxis, welche sich schon immer ebenerdig befand. Im ehemaligen „Wartezimmer“ sind heute die Garderobe und die Schließfächer untergebracht. Unsere Pantoffeln stehen schon bereit! Ja, ja: Bei der Anmeldung muss man nämlich auch seine Schuhgröße angeben. Also rein in die Puschen und ab ins Behandlungszimmer. Hier bekommen wir die überaus interessante Geschichte des Hauses erzählt: Der Bauherr Erich Rabe entstammte einer alteingesessenen Zwenkauer Familie. Die Eltern hatten einen Laden für Waren des täglichen Bedarfes und eine Glaserei. Der junge Arzt Erich Rabe lernte seine Frau im 1. Weltkrieg im Lazarett in Breslau kennen, wo sie als Krankenschwester arbeitete. Erna Rabe, geborene Toplowitz, hatte eine beste Freundin, die Ehefrau des Breslauer Architekten Adolf Rading, der auch als Professor für Architektur an der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau lehrte. Mit Hingabe vertrat er die Ideen des neuen Bauens. Als es den Rabes in Breslau finanziell schlechter ging und ihre Familie sich vergrößerte, zogen sie zurück nach Zwenkau und eröffneten im Obergeschoss des elterlichen Hauses eine Landarztpraxis. Später wollten sie auf dem benachbarten Grundstück ihr eigenes Haus bauen. Was lag näher als ihren Architektenfreund Adolf Rading mit dem Entwurf zu beauftragen? Aber von den ersten Plänen bis zum Baubeginn dauerte es zwei Jahre. Die örtlichen Behörden bemängelten die Konstruktionsweise, das Flachdach u.v.m. Erst ein Antrag für ein Haus am Rande Zwenkaus - etwas verdeckt durch drei aufragende Bäume - brachte die Baugenehmigung.!
Ernst Rabe und seine Frau vereinten Arbeit und Leben in einem Haus. Im zweiten und dritten Stock fand das Familienleben mit den drei Kindern und den Angestellten statt. Der Bauherr selbst betrieb die Praxis bis 1962. Seine Tochter Gabriele Schwarzer, die auch Ärztin geworden war, führte die Praxis bis 1994 weiter. Ihr verdanken wir, dass das Haus auch zu DDR-Zeiten erhalten und gepflegt wurde. Beim Verkauf des Hauses 1994 hatte das Anwesen wiederum großes Glück. Der Hamburger Kaufmann und Kunstliebhaber Horst Schmitter kaufte das Gesamtkunstwerk und ließ es denkmalgerecht sanieren. Im Bauhausjahr 2020 ging das Haus dann in den Besitz der Kulturstiftung des Landkreises Leipzig über und ist seitdem der Öffentlichkeit zugänglich. Eine weitere glückliche Fügung bei diesem Bauprojekt bestand auch in dem Umstand, dass der Architekt in seiner Breslauer Zeit mit Oskar Schlemmer bekannt war, der ebenfalls an der Akademie lehrte. Diesen konnte er für die Innenraumgestaltung gewinnen.
Innenansicht Haus Rabe in Zwenkau
Wer hat schon einen Schlemmer im Wohnzimmer installiert? Oskar Schlemmer war ja nicht irgendwer! Von 1920 bis 1929 war er einer der Bauhaus-Meister in Weimar und auch in Dessau - erst Meister für Wandbildmalerei, dann Formmeister der Holz- und Steinbildhauerwerkstatt und in Dessau Bühnenmeister. Fast jeder von uns kennt die phantastischen Figurinen, die er für das Triadische Ballett entwarf. Auch das Bauhaus-Logo ist von ihm. Ich könnte regelrecht ins Schwärmen kommen
Als wir die Stufen in den ersten Stock hinaufgehen, bin ich gespannt wie ein Flitzebogen. Zuerst geht es in die Küche. Die wirkt mit ihren grünen Schrankfronten extrem modern - besonders in der Kombination mit der roten Arbeitsplatte.
Das Bauhausprinzip „Form follows funtion“ findet sich in jedem Detail. Zimmerhohe Einbauschränke, die jeden Winkel im Raum nutzen; hinter einer Tür eine rote doppelfunktionale Hocker-Leiter, eingearbeitete Porzellan-Einbauschübe für Mehl, Reis usw., Schrankelemente und Durchreiche, die auch vom Essbereich in der Wohnhalle zu öffnen sind - alles extrem praktisch.
Die E-Geräte sind neu, aber die Elektoinstallation samt Schalter und alle Lampen sowie die sehr markanten Bauhaus-Suffitten funktionieren noch wie vor 100 Jahren. Was für eine Qualität!
Die Wohnhalle ist der Hammer! Durch die Verglasung des vorgebauten Wintergartens, der im Übrigen auch als Wärmeregulator dient, lebt man hier quasi mit dem Tageslicht und den Jahreszeiten. Oskar Schlemmes filigrane Figurinen schlagen sogar in der niedrigen Herbstsonne kleine Schatten. Stahlrohrstühle mit einem feinen Geflecht gruppieren sich um einen Yin- und Yang-Tisch und darüber hängt wie ein kleiner Lichtplanet eine eigens für diesen Raum designte Lampe.
Hier war der Architekt auch gleichzeitig der Designer. Im nördlich ausgerichteten Bereich der Wohnhalle ist die Raumhöhe durch die darüber liegenden Zimmer eingeschossig und wirkt dadurch außerordentlich gemütlich. Unterstrichen wird dieses Gefühl zusätzlich durch die Wandbemalung in unterschiedlichen Farben und besonderen geometrischen Formen. Dunkle Wände sind noch heute eher unüblich. Wie gewagt muss zur damaligen Zeit eine schwarze Wand gewesen sein!
Vor dem offenen Kamin in der Nische laden u.a. zwei Barcelona-Sessel von Mies van der Rohe zum Relaxen ein. Ich würde sofort einziehen!
Die benachbarten Räume zur Wohnhalle entsprachen dem alltäglichen Rhythmus der Erbauer-Familie: zwei farbenfrohe Spiel- und Arbeitszimmer für die Kinder mit zweckdienlichen Einbauschränken. Beim Gang in den dritten Stock begleitet uns im Flur ein dreiteiliges, sich über zwei Stockwerke hinziehendes Fresko von Oskar Schlemmer. Einzigartig! Auch hier in der oberen Etage ist von den Einbauschränken bis zum Farbkonzept alles superfunktional, ästhetisch und harmonisch. Mein Fazit: Das Haus Rabe in Zwenkau ist meine persönliche Neuentdeckung des Jahres 2022! Eine Ikone der Moderne! Nach der Führung sind wir angefüllt mit ästhetischen Bildern und haben Lust auf Sonne und Süßes! Also auf ans KAP! Ans Kap? Natürlich! Zwenkau besitzt neuerdings einen Hafen.
Und nicht nur den! Mit fast zehn Quadratkilometern Fläche ist der Zwenkauer See der größte des Leipziger Neuseenlandes.
Der hohe Freizeitwert ist sicherlich eine ausschlaggebende Komponente dafür, dass Zwenkau zu einer 1A-Wohnadresse für die Leipziger geworden ist. Das Städtchen verzeichnet sehr schnell steigende Einwohnerzahlen. Nichts erinnert mehr an die alten Braunkohlentagebaue. Da haben wir nicht schlecht gestaunt! Nach der Einkehr im Café mit einem sehr humorigen Kellner begeben wir uns auf Erkundungstour durch den neuen Stadtteil. Hier lässt es sich sehr gut wohnen! Haben sich nun die Neu-Zwenkauer allesamt am alten Adolf Rading orientiert oder warum sind die Häuser im Bauhausstil errichtet oder was man neumodern dafür hält? Braucht man so viel Privatsauna und Privatsteg und Segelboot usw.? Unlängst hat mir jemand erzählt, dass sich die Menschheit in Nehmer, Tauscher und Geber unterteilt… Aber schön anzusehen sind sie schon, die neuen Zwenkauer Riesenvillen.
Glücklicherweise gibt es dazwischen immer mal wieder kleine Schluppen hinunter zum See. Den Uferweg haben manche Anwohner auch schon fein bepflanzt. Meine Empfehlung: Das Haus Rabe ist einen Besuch wert und lässt sich wunderbar mit dem Entdecken der Umgebung rund um den Zwenkauer See verbinden.