Paddelabenteuer auf der Lahn - Gastbeitrag von Michael Jahn
Michael Jahn schreibt hier über seine Erlebnisse als Paddler auf der Lahn. Wie schön nach seinem Beitrag 66-Seen-Weg von einem neuen Abenteuer zu hören:
Wir erreichen die Lahnmündung und damit den Rhein, eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt. Hinter uns liegt die Loreley und vor uns das Deutsche Eck, unser Ziel. Über 1.200 Kilometer schlängelt sich dieser mächtige Strom durch West- und Mitteleuropa und jetzt saugt er unsere kleine Nussschale förmlich in sich auf. Das Herz schlägt mir bis zum Hals und ich bin mir im Moment nicht sicher, ob es eine gute Idee war, hier einzufahren…
Aber ich greife vor…
Mit Tom, einem langjährigen Freund und Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern mache ich seit mittlerweile vielen Jahren Touren. Die Palette reicht von Wander- und Radtouren, Bergtouren in den Alpen mit Hüttenübernachtungen bis zu Paddeltouren. Diesmal soll die Lahn paddelnd bezwungen werden. Sie entspringt in 628 Metern Höhe, an den Hängen des Rothaargebirges in Nordrhein-Westfalen, wechselt von dort nach Hessen, später nach Rheinland-Pfalz, um endlich nach 242 Kilometern in den Rhein zu münden.
Die paddelbare Strecke davon beginnt in Roth und endet nach 160 Kilometern eigentlich bei Lahnstein – eigentlich…
Ich bin seit 20 Jahren stolzer Eigner eines Kanadiers, der natürlich auch bei dieser Tour zum Einsatz kommt. Der Kanadier wird häufig als Lkw unter den Booten bezeichnet, da er viel Zuladung verträgt, auch was sperrige Gegenstände angeht. So finden neben Kleidung und Lebensmitteln auch eine komplette Campingausrüstung im Inneren des Bootes ihren Platz. Zelt, Schlafsäcke, Isomatten, ein faltbarer Tisch und Stühle sind wasserdicht verpackt. Somit haben wir alles an Bord und können bleiben, wo es uns gefällt, gerne auch mal abseits jeder Zivilisation.
Die Wetteraussichten für die kommende Woche versprechen Temperaturen von 30 Grad und Sonne satt.
Tag 1: Roth – Paddelclub Wißmar
Startpunkt der Paddeltour ist Marburg. Bevor wir uns in die Wildnis begeben, steht zuerst ein Stadtbummel an.
Wir entdecken die Altstadt bei strahlendem Sonnenschein. Marburg ist eine Universitätsstadt mit einer hundert Jahre alten Geschichte, verwinkelten Gassen und mehr als 700 historischen Häusern, davon viele schöne mit Fachwerk. Es geht angenehm unaufgeregt in den schmalen Gassen zu und der Spaziergang zur hochgelegenen Burg eröffnet einen wunderbaren Blick über das Städtchen. Eine anschließende Pause am historischen Marktplatz mit seinen vielen Cafés und Restaurants ist ein Muss an einem so schönen Tag.
Jetzt freuen wir uns und sind neugierig auf den Fluss, das Neue, das Unbekannte. Laut Reiseführer ist die Lahn beliebtester Paddelfluss Deutschlands. Es gibt eine gute Infrastruktur zum Mieten von Booten, wir haben tolles Wetter und Wochenende. Werden wir in Konvois von Booten unterwegs sein oder können wir die Natur erleben, entspannen, runterkommen und trotz paddeln, abschalten?
Die Einsetzstelle ist dank guter Beschreibung schnell gefunden und alles wird am Ufer der Lahn in den Kanadier verladen. Auch einige Familien nutzen den Platz, um sich bei den hohen Temperaturen etwas zu erfrischen. Das Auto kann auf einem nahegelegenen Parkplatz die ganze Woche stehen bleiben.
Gegen 15:30 Uhr stechen wir in See, bzw. in den Fluss. Ein paar Kilometer sollen heute noch zurückgelegt werden. Aufgrund des schönen Wetters der letzten Wochen ist der Wasserstand auf den ersten Kilometern so niedrig, dass wir immer wieder aufsetzen, aussteigen und das Boot über flache Stellen ziehen müssen. Manchmal habe ich schon die Befürchtung, dass einzelne Steine härter sind als mein Bootsboden. Aber der klügere, in diesem Fall der flexiblere Boden, gibt immer wieder nach und meine alte „El Puro No 1“ hält.
Zwischendurch durchfahren wir auch einige kleine Stromschnellen, die für etwas „Würze“ beim Paddeln sorgen und uns sogar kurzfristig etwas beschleunigen. Ansonsten ist die Strömungsgeschwindigkeit eher gering, ums Paddeln kommen wir also nicht herum. Langsam wird die Lahn etwas breiter und ist auch tief genug für den Kanadier. Die Ufer sind häufig dicht bewachsen, so dass der Blick ins Hinterland verwehrt bleibt.
Nach und nach finden wir die ideale Sitzposition. Unsere Ladung wird in Nuancen noch etwas verschoben, hin- und hergerückt, bis alles für die nächsten Tage richtig liegt.
Ich sitze immer hinten, da ich als Paddler auch die Funktion des Steuermanns innehabe. Tom gibt am Bug die „Paddelseite“ vor. Paddelt er links, paddele ich rechts und umgekehrt. Ausnahmen davon sind in der Regel starkem Wind und Wellen geschuldet. Beides haben wir aktuell zum Glück nicht.
Unsere anfängliche Befürchtung, den Fluss vor lauter Booten nicht zu sehen, bestätigt sich glücklicherweise nicht. Es sind in diesem oberen Bereich der Lahn nur vereinzelt andere Paddler unterwegs. Auch später werden wir nur an wenigen Passagen viele Boote sehen, die sich aber so verteilen, dass es nie störend oder erdrückend ist. Boote, die mehrere Tage oder sogar die ganze Tour bewältigten, treffen wir kaum.
Nach ca. zwölf Kilometern erreichen wir einen Campingplatz, wo wir gerne übernachten würden. Ohne Online-Reservierung läuft hier aber nichts, weil die „sanitären Anlagen sonst zu voll wären“ – Corona sei Dank. Das Restaurant können wir wenigstens noch aufsuchen, was das abendliche Kochen erspart.
Die Karte verzeichnet einige Kilometer weiter den Paddelclub Wismar. Hier finden wir einen sehr schönen Platz auf der dazugehörigen Wiese. Das Lager, sprich Zelt, ist schnell aufgebaut. Nach einem Bad in der Lahn lassen wir den Abend mit einem leckeren Getränk ausklingen und genießen die erste Nacht in absoluter Ruhe und Alleinlage. 14 Kilometer Strecke liegen hinter uns.
Tag 2: Paddelclub Wismar – Kanuclub Wetzlar
Der Tag beginnt um 08:30 Uhr mit Vogelgezwitscher, einem Sprung ins Wasser und einem Cappuccino. Eine Stunde später auf dem Weg Richtung Gießen wird die Lahn breiter und es sind viele Ruderer unterwegs, die hier ihr Wochenendpensum absolvieren. Breiter heißt jedoch nicht gleich tiefer. Auch hier gibt es viele Untiefen, weswegen keine größeren Boote unterwegs sind. Für das Paddeln ist das sehr entspannend.
Wir nähern uns der Stadt und finden einen Platz zum Anlegen direkt an einem Lokal. Diese andere Perspektive, vom Wasser die Umgebung zu erleben, ist ein tolles Gefühl. Ein leckeres Frühstück mit Blick auf die Lahn sorgt für einen guten Start in den Tag.
Hinter Gießen müssen wir mehrere Wehre überwinden. Statt Schleusen wird der Höhenunterschied hier nacheinander über vier Bootsgassen bewältigt. Eine Bootsgasse befahre ich das erste Mal und bin aufgeregt; werde ich in diesem Kanal nicht zu schnell hinabschießen?
Wie sich zeigt, sind alle Befürchtungen unbegründet. Unter der Wasseroberfläche sind in regelmäßigen Abständen Kämmen ähnliche Gebilde angebracht, die hohes Tempo verhindern. Eine Bootsgasse wird sogar mit einer Ampel geregelt. Beim Heranfahren vergewissern wir uns, ob die Rutsche frei ist und ziehen dann an einer Leine. Jetzt wird der Bereich geflutet. Die Ampel schaltet auf Grün und wir lassen uns einfach hinabtreiben. Danach ändert die Lahn ihren Lauf. Sie biegt jetzt nach Westen ab und wird mal breiter, mal schmaler. Das heißt, sie fließt mal schneller oder bleibt behäbig.
Wir haben inzwischen unseren Rhythmus gefunden und genießen die Stille; das gleichmäßige und regelmäßige Eintauchen des Paddels ist beruhigend, fast meditativ.
Bei Dollar steuern wir die erste Schleuse an. Dies ist die erste von elf Selbstbedienungsschleusen bei Hubhöhen bis dreieinhalb Metern. Insgesamt müssen wir auf der Strecke 23 Schleusen, vier Bootsgassen, zwei Treidelgassen, eine Rollenbahn und einen Schiffstunnel bewältigen.
Da die Tore der Selbstbedienungsschleusen per Handdrehrad geöffnet bzw. geschlossen werden müssen, gestaltet sich das Schleusen aufgrund der nicht gerade geringen Hubhöhen als recht anstrengende Angelegenheit.
Und Selbstbedienung heißt auch, dass „Man“, „Jemand“ und/ oder „Einer“ aus dem Boot aussteigen muss, um die Schleuse zu bedienen. Diese drei Personen sind aber häufig nicht anwesend. Ein Teil der Paddler ist verunsichert, weil sie noch nie geschleust haben und ein anderer Teil, die bequeme Fraktion, verhält sich nach dem Motto „einer wird sich schon finden“. Aber es gibt auch helfende Hände, die es können und sich beteiligen.
Häufig übernehmen wir es, helfen mit und koordinieren, damit die Tore auch in der richtigen Reihenfolge geöffnet und geschlossen werden.
Ab Limburg übernehmen dann Schleusenwärter diese Aufgabe. Von dort an sind allerdings auch die Betriebszeiten zu beachten, will man nicht vor dem buchstäblich verschlossenen Tor stehen bzw. schwimmen.
Gegen 15:00 Uhr erreichen wir Wetzlar. Die Stadt lockt auch mit einer historischen Altstadt auf einem Hügel, der seit dem achten Jahrhundert besiedelt ist.
Ein Besuchspunkt in der Stadt mit schönen Fachwerkhäusern ist der Kornmarkt Nr. 7. Hier verbrachte Goethe 1772 während eines juristischen Praktikums einen Sommer.
Für die letzten Kilometer des Tages müssen wir noch ein Wehr überwinden, bei dem wir den Kanadier über eine Rollenbahn ziehen müssen.
Neben einem Kanuverein bekommen wir problemlos einen Übernachtungsplatz mit Frühstücksbuffet am nächsten Morgen. Auf der Wiese haben schon einige andere Wasserwanderer ihr Quartier bezogen, mit denen wir am Abend die Eindrücke der 25 Kilometer Tagesetappe austauschen.
Tag 3: Kanuclub Wetzlar – Weilburg
Nach einem guten Frühstück beginnt satt und zufrieden Tag drei. Zum Glück, denn hinter Wetzlar durchfahren wir hintereinander mehrere Schleusen, was viel Kurbeln und müde Arme bedeutet. Als Gegenleistung nimmt die Lahn jetzt etwas Fahrt auf und es geht zügiger voran. Die Ruhe wird in diesem Abschnitt leider immer wieder durch die parallel verlaufende Bahnlinie und Bundesstraße gestört. Ohne diese Geräuschkulisse würden wir uns an einem anderen Ort, abseits jeglicher Zivilisation wähnen.
Hinter Leun kippt die Lahn wieder Richtung Süden ab, was allerdings nur bei einem Blick in die Karte auffällt. Aufgrund der dichten, zugewachsenen Ufer finden sich in diesem Abschnitt keine Lokale direkt am Wasser. Erst nach gut 20 Kilometern und ein paar leichten Regenschauern später, die bei ca. 30 Grad aber eher erfrischen und den tropischen Eindruck noch verstärken, lockt uns ein Schild “Biergarten bei Selters an der Lahn” (ein Wortspiel!) aus dem Boot.
Der Gedanke an ein frisch gezapftes Bier zerplatzt zunächst, als wir das Tor mit dem Hinweis auf die Öffnungszeiten verschlossen vorfinden. Noch während wir überlegen, wo die verdiente Pause nun stattfinden könnte, öffnet sich das Tor. Die Besitzer haben uns gehört und erfüllen uns gerne unsere Wünsche nach Speis und Trank. Der Biergarten entpuppt sich als ein sehr liebe- und geschmackvoll restaurierter Bauernhof. Nach einem angenehmen Plausch geht es frisch gestärkt an die letzten Kilometer bis nach Weilburg.
Hier befindet sich der einzige, heute noch befahrbare Schiffstunnel in Deutschland. Er unterquert auf einer Länge von 195 Metern den Mühlberg, auf dem die Stadt Weilburg liegt. Direkt an den Tunnel angeschlossen ist die sogenannte Koppelschleuse (Doppelschleuse). Jede der beiden Schleusenkammern hat eine Länge von 34 Metern und ein Teil der Schleusenanlage befindet sich innerhalb des Tunnels.
Durch den Anstieg der Touristenzahlen, falsches Verhalten, Angst vor dem langen und dunklen Tunnel gibt es nun einige Maßnahmen und Vorschriften, um für alle die Durchfahrung sicherer zu machen. Es besteht die Verpflichtung zum Tragen von Schwimmwesten. Die haben wir nicht dabei und sind froh, dass dies nicht kontrolliert wird. Wir tauchen ein in das Dunkel und sehen schnell, dass es immer Licht gibt am Ende des Tunnels.
Tom bedient die Doppelschleuse und ist nach der Kurbelei zufrieden, dass die Zeltwiese gleich gegenüber der Ausfahrt liegt. Sie ist groß und leer, aber auch ohne Komfort. Nach einem Sprung in die Lahn spazieren wir über einen schönen Uferweg in die Altstadt. Als Abkürzung zur Überquerung der Lahn kann normalerweise das „Weilburger Rollschiff“, eine seit mehr als 300 Jahren existierende Fährverbindung, genutzt werden. Normalerweise - aber was ist 2020 schon normal. So dauert der Anmarsch zum Residenzstädtchen Weilburg eben etwas länger und die Freude auf das Getränk wird größer.
Nach einem ausgiebigen Bummel durch die schmalen Gassen finden wir ein schönes Plätzchen in der Nachmittagssonne mit Weizenbier vom Fass und entspannen uns nach der 27 Kilometer Paddeletappe.
Tag 4: Weilburg - Limburg
Die Nacht ist vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. Laute Technomusik schallt von der anderen Uferseite herüber. Sie kommt aus einem alleinstehenden Haus. Da die zwischen Geräusch und Schlafstätte liegende Lahn einen spontanen Besuch von uns verhindert, bleibt dieser Lärm unsanktioniert.
Um uns nicht weiter zu ärgern, brechen wir früh auf. Der Wetterbericht verspricht wieder einen schönen Tag und das angepeilte Tagesziel heute heißt Limburg, ca. 36 Kilometer voraus.
Noch ist der Himmel bewölkt und der Fluss schläft auch noch. Träge geht es voran. Laut Karte wartet nach ca. elf Kilometern Willi’s Lahntalschänke auf hungrige Paddler, die wir aber offenbar übersehen. Als Ersatz landen wir ein paar Kilometer weiter bei Aumenau an, wo ein kleiner Supermarkt alles für ein ausgiebiges Frühstück bietet. Ein paar Kilometer weiter findet sich dann ein schöner Platz für zwei hungrige Paddler und die verdiente lange Pause. Inzwischen haben sich auch die Wolken verzogen und das Frühstück schmeckt in der Sonne nochmal so gut.
Nach der Stärkung ist auch die Lahn erwacht und unterstützt uns etwas auf dem nächsten Stück. Sie ist in diesem Teil landschaftlich sehr abwechslungsreich.
Wir erreichen Villmar, wo sich die einzige Marmorbrücke Deutschlands befindet. Sie wurde 1895 errichtet.
Ein Stück weiter beeindruckt uns der senkrecht aus dem Wasser ragende „Bodensteiner Lei“, ein riesiger Kalk-Felsen mit einem Standbild des in Weilburg verstorbenen König Konrads I. (um 881 bis 918) auf dem Plateau, das wir vom Wasser aus allerdings nicht sehen können. Dafür glauben wir, beim Vorbeipaddeln ein trauriges Gesicht im Felsen zu erkennen.
Unvermittelt tauchen etwas später die mächtigen Türme der „Burg Runkel“ und die steinerne Lahnbrücke auf. Dahinter befindet sich eine Anlegemöglichkeit, um dem Städtchen einen Besuch abzustatten. Der richtige Zeitpunkt, denn ein nahendes Sommergewitter treibt uns in eine Eisdiele, wo wir den kurzen, aber heftigen Platzregen trocken überstehen.
Im folgenden Abschnitt wird die Lahn breiter und es tauchen die ersten Sportboote auf. Ab jetzt ist die Lahn für Motorboote schiffbar und ab Limburg werden dann die Schleusen unentgeltlich von Schleusenpersonal bedient.
Nach insgesamt 36 Tageskilometern erreichen wir den KC Limburg direkt am Eingang zur Altstadt, mit einer kleinen Zeltwiese für Gäste, guten sanitären Anlagen, Strom und sehr netten Vereinsmitgliedern, die sich um alles kümmern.
Nachdem wir unsere Kohlenhydratspeicher mit zwei Büchsen Chili con Carne und zusätzlichen Würstchen wieder aufgefüllt haben, trinken wir noch ein Bier im Biergarten der nahegelegenen alten Mühle. Das alte Mühlrad ist sogar noch in Betrieb und wird jetzt zur eigenen Stromerzeugung genutzt.
Tag 5: Limburg – Laurenburg
Heute steht erst einmal die Besichtigung Limburgs auf dem Plan. Wir betreten die Altstadt und treffen auf eine nahezu vollständig erhaltene mittelalterliche Stadt. Über die Jahrhunderte hinweg haben sich die mächtigen Balken der Fachwerkhäuser verformt und verschoben. Da, wo sie noch im Original erhalten sind, suchen wir den rechten Winkel vergebens. Nach einem ausgiebigen Rundgang und Besuch im ältesten Café der Stadt geht es weiter.
Eine gute Paddelstunde später lockt uns eine in der Sonne liegende Terrasse mit Getränkeverkauf zur Pause. Mit einem kühlen Getränk in der Hand, blicken wir entspannt auf das Treiben vor uns. Zwei Biere später hat der Fluss uns wieder und bei schönstem Wetter geht es ungefähr 13 Kilometer weiter, bis sich erneut der Durst meldet.
Hier wird mittels einer Klingel die Dame des Hauses „alarmiert“ und die ersehnte Erfrischung bestellt. Bei einem angenehmen Smalltalk mit der Wirtin vergessen wir fast die Zeit und müssen uns sputen, um die letzte Schleuse vor Betriebsschluss noch zu schaffen und unser 27 Kilometer Tagesziel, das Gasthaus Lahntal, zu erreichen.
Den Abend verbringen wir mit einem Pärchen aus Erfurt, die wir auf dem Weg schon gesehen haben und die einige Etappen der Tour abpaddeln. Bisher hatten wir immer Glück und wurden von Sommergewittern verschont. Heute Abend sieht es nicht so gut aus…
Tag 6: Laurenburg – Dausenau
Nachts regnet es dann wie erwartet und es tröpfelt noch, als ich morgens aus dem Zelt krabbele. Die dunklen Wolken haben sich aber verzogen und es verspricht wieder ein schöner Tag zu werden. Beim Ausräumen des Zeltes bemerke ich, dass meine Isomatte und der Boden darunter feucht sind. Die Ursache ist schnell gefunden. Anfängerfehler: die Zeltunterlage lugte ein Stück hervor und sorgte dann als Auffangbecken, das den Regen unter das Zelt und durch den Boden drückte.
Wir gönnen uns noch ein leckeres Frühstück im Gasthaus und starten in den Tag.
Da wir bisher gut vorwärtsgekommen sind, liegen heute nur entspannte 20 Kilometer vor uns, so dass es nun endlich an der Zeit ist, den bekannten und wohlschmeckenden Lahnwein zu probieren.
Da Obernhof direkt an der Lahn auf der heutigen Etappe liegt, stromern wir gute zwei Stunden später durch den kleinen Ort auf der Suche nach einer Weinhandlung. Leider sind die einzigen zwei Geschäfte geschlossen und die Hoffnung auf die hiesige Spezialität schon fast aufgegeben, als wir auf einen Imbiss am Campingplatz stoßen.
„Ja, ich habe einen Riesling aus der Region, den sie gerne probieren können“, sagt der Chef und erscheint zwei Minuten später mit zwei, von der Kühle des Weins beschlagenen, sehr schönen und überaus großzügig eingeschenkten Gläsern. Darin befindet sich ein trockner, aber trotzdem sehr fruchtiger Riesling, der überaus lecker ist und den ich auf einem Campingplatz nicht erwartet hätte. Dazu der Preis von 2,20 Euro. Wir sind begeistert und trinken ein zweites Glas, bevor es wieder an die „Arbeit“ geht.
Das Quartier des heutigen Tage ist der Campingplatz bei Dausenau mit dem schönen Namen Lahn-Beach, wo wir freundlich empfangen werden und einen schönen Platz zugewiesen bekommen. Einen Beach finden wir allerdings nicht. Nach dem obligatorischen Bad geht es ins Städtchen, nein Dorf wäre die richtigere Bezeichnung. Ein paar schöne Fachwerkhäuser direkt an der Lahn sind neben Teilen der alten Stadtmauer die hiesigen Sehenswürdigkeiten.
Beim Gang auf der Stadtmauer stoßen wir auf eine riesige Hecke von Brombeersträuchern, die überraschenderweise noch viele Früchte tragen und für eine fruchtige Abwechslung im Speiseplan sorgen. Anschließend noch ein Apfel frisch vom Baum und der Vitaminhaushalt ist wieder im Lot.
Tag 7: Dausenau – Lahnstein
Wir stehen wieder früh auf und schauen in einen leicht bewölkten Himmel, wo sich vereinzelt das Blau aber schon zeigt. Geregnet hat es nicht mehr. Bei nur noch zwölf vor uns liegenden Kilometern bis zum offiziellen Tourende lassen wir es ruhig angehen. Auf einer bequemen Sitzbank mit Blick aufs Wasser frühstücken wir erst einmal ausgiebig.
Beim Kaffee keimt erneut die Idee auf, nicht am offiziellen Tourende in Lahnstein auszusteigen, sondern weiter bis zur Mündung des Rheins zu paddeln: dort einbiegen, den Rhein queren und sieben Kilometer bis zum Deutschen Eck, der Mündung zur Mosel, paddeln. Wenn wir die Mosel-Mündung ebenfalls queren, könnten wir am gegenüberliegenden Campingplatz anlanden und von dort nach Koblenz laufen.
Dabei sind allerdings einige Unwägbarkeiten und Risiken zu beachten. Der Rhein ist insbesondere für offene Kanadier nicht ganz ungefährlich, da die Wellen der vielen großen Pötte der Berufsschifffahrt und Ausflugsdampfer uns schnell mal überrollen können. Dann würden wir volllaufen oder kentern. Dazu kommt die deutlich stärkere Strömung auf dem Rhein, insbesondere im Bereich von Brücken und wir müssten zweimal die Fahrrinne queren.
Je mehr wir darüber nachdenken und reden, desto spannender finden wir trotzdem den Gedanken. Allen Risiken zum Trotz wäre es natürlich ein super Abschluss für eine bis jetzt schon erlebnisreiche und unvergessene Tour – wenn alles gut geht…
Eine Nachfrage bei unser aller Freund Google bringt leider keine wirklichen Erkenntnisse, er rät aber auch nicht generell davon ab.
Obwohl wir noch hin- und hergerissen sind, treffen wir schon mal die nötigen Vorbereitungen. Für den bösesten Fall des Kenterns sichern wir die Ladung, indem wir alle wichtigen Sachen am Boot festbinden. Wir starten unentschlossen und wissen es doch insgeheim: Wir wollen es wagen!
Nach ca. einer Stunde erreichen wir aber erst einmal Bad Ems, das gerne auch als Kaiserbad bezeichnet wird. Mit der inneren Unruhe vor unserem Abenteuer, lassen wir den Ort links liegen.
In den anschließend letzten beiden Schleusen treffen wir auf ein Pärchen in Hochseekajaks. Sie warnen: „Der Rhein ist für offene Boote problematisch! Seid bei den Querungen der Fahrrinne besonders vorsichtig und haltet großen Abstand zu den Pötten. Man unterschätzt leicht die Geschwindigkeit…“ Der Abschnitt ist aber ziemlich breit, hat flache Ufer und die Strömung ist nicht ganz so stark. “Aber ihr könnt ja paddeln!“
Mit der Einschätzung ist die Entscheidung gefallen, wir werden es wagen, wenn auch mit einem flauen Gefühl im Magen. Apropos Magen - mit leerem Magen ist nicht gut Untergehen, also noch eine Henkersmahlzeit in Lahnstein. Wir finden nur eine Eisdiele auf einer verkehrsumtosten Mittelinsel, wo wir eine Kleinigkeit zu essen bekommen. In der mit dem Slogan werbende „weltbeste“ Bäckerei bekommen wir anschließend noch, natürlich, den „weltbesten“ Kuchen und Brötchen und dann geht es los.
Wir erreichen die Lahnmündung und dann liegt er vor uns, der mächtige Strom. Hinter uns die Loreley, vor uns das Deutsche Eck. Der Rhein, eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt – und jetzt saugt er unsere kleine Nussschale förmlich in sich auf. Wir tauchen buchstäblich ein in die rauen Wellen. Seine Breite, seine Kraft! Für uns, in unserem kleinen Kanadier, nur eindrucksvoll und beängstigend.
Er macht auch seinem Namen als „verkehrsreiche Wasserstraße“ alle Ehre. Viele Schiffe sind unterwegs. Von Booten kann man hier nicht mehr reden. Stromaufwärts, stromabwärts schieben sich ununterbrochen mächtige Schubverbände, Flusskreuzfahrtschiffe und große Pötte den Fluss entlang.
Eine Welle kann ausreichen, unser offenes Boot volllaufen zu lassen. Wir bleiben erst einmal an der rechten Seite in Ufernähe. Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir den Rhein aber queren und später noch die Moselmündung passieren.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals und ich bin mir im Moment nicht sicher, ob es eine gute Idee war, hier einzufahren und nicht stattdessen wie im Lahn-Führer beschrieben, die Tour am Campingplatz Wolfsmühle, ca. zwei Kilometer VOR der Rheinmündung zu beenden.
Also jetzt Augen zu und durch. Zügig, mit kräftiger Unterstützung von Vater Rhein geht es stromabwärts. Wir achten so gut es geht darauf, die Wellen so zu schneiden, dass sie uns nicht überrollen. Nach einer Weile tut sich eine Lücke zwischen den Schiffen auf. Jetzt alles geben und zügig auf die andere Seite. Es geht gut! Auch die anschließenden Unterquerungen der Rheinbrücken gelingt. Jetzt nur noch die Moselmündung und wir haben es geschafft. Auch hier ist uns das Glück hold und die Mündung ist gerade frei, als wir sie erreichen. Geschafft! Wir habe überlebt und landen gegenüber der Festung Ehrenbreitstein am Campingplatz an. Erleichtert steigen wir aus und klatschen uns ab. Nach 22 Kilometer aufregender Strecke machen wir ein paar Heldenfotos und gehen zum Check-In. Die Dame schaut erstaunt, als ich sie nach einem Platz für unser Boot frage: „So etwas haben wir hier nicht, hier legen normalerweise keine Boote an.“ Ich sichere es dann am Zaun des Campingplatzes. Unsere frühe Ankunft beschert uns glücklicherweise noch ein Plätzchen, denn der Platz ist voll gebucht.
Ein stolzes, kühles Weizenbier später machen wir uns landfein und laufen ins Städtchen. Traumhaftes Wetter und Wochenende sorgen für ein gut besuchtes Koblenz. Es folgen noch zwei entspannte, schöne Abschlusstage.
Fazit:
Die Lahn ist mit Recht eine der schönsten Flusstouren Deutschlands. Sie ist landschaftlich abwechslungsreich, bietet den Besuch vieler Städte, daneben tolle Sehenswürdigkeiten, eine gute Infrastruktur hinsichtlich Versorgung, Unterbringung und Bootsverleih. Dennoch ist es nicht so überlaufen, wie wir befürchteten, sondern es gab immer wieder Abschnitte, wo wir die schöne Landschaft für uns alleine hatten.
Kommentare:
Ein sehr spannender Bericht. Bekomme spontan Lust die Tour ebenfalls zu paddeln.
Danke das ich an diesem Erlebnis teilhaben durfte ... von AndreasVielen Dank, wir geben das Lob gerne an Michael weiter!