Meine Pilar Gitarre
Christan Dobler hat uns einige interessante Details und Fotos zur Anton Pilar Gitarre zugesandt, die wir euch nicht vorenthalten wollen. Ich habe sie am Ende des Berichtes eingefügt. Mit einem Klick -hier- kommt ihr direkt zu seinem Bericht.
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Heute ist mein Geburtstag und ich bin auf dem Weg in die Köpenicker Straße 8a in Berlin-Kreuzberg, um mein Geschenk abzuholen. Ich schenke mir selbst die Reparatur meiner Gitarre der Marke Pilar. Repariert hat sie Lutz Heidlindemann vom GuitarDoc.
Vor zwei Wochen hatte ich sie ihm vorbeigebracht, in der Hoffnung, dass sie zu meinem Geburtstag fertig wird. Gestern rief er mich an: „Deine Pilar ist repariert und ich habe eine Geschichte für dich, du wirst dich wundern!“ Voller Neugier gehe ich durch den Hausflur auf den weiten Hof, der zur Spree runterführt. Kurz vor dem Spreeufer links liegt seine kleine Werkstatt und der Showroom; eine größere Werkstatt gibt es ein paar Häuser weiter. Als ich das erste Mal hier war, wollte ich schon wieder umkehren, da ich nicht dachte, es käme noch irgendeine Räumlichkeit vor dem Wasser. Der Mitarbeiter einer Motorradwerkstatt, die es hier auch gibt, sah mich unschlüssig die Häuser betrachten. Mit meinem Gitarrenkoffer in der Hand war mein Begehr wohl eindeutig. „Geh ruhig weiter. Aber nicht ins Wasser springen. Kurz davor gibt es links eine Tür in der Remise, da bist du richtig!“ In der Tat. Zwischen dem Grün an der Hauswand stand eine Tür offen. Heute verlässt gerade sein Geselle den Laden.
Lutz ist ein spontan sympathischer Typ, der jeden Satz mit einem Lächeln beginnt und dem man einfach zuhören muss. Er erzählt lebendig und fesselnd. Und mir präsentiert er die Geschichte der Familie Pilar, die meine Gitarre gebaut hat.
Anton Pilar Senior musste im 2. Weltkrieg seine Geigen- und Gitarrenbauwerkstatt in Böhmen fluchtartig verlassen und fand zunächst Heimat in Russland. Jahre später gründete er in Berlin-Lichtenrade die Firma Pilar Geigenbau. Seine Kinder, die Brüder Anton Junior und Jaroslav, übernahmen das Geschäft, wobei der ältere den Geigenbau weiterführte und der jüngere sich dem Gitarrenbau widmete. „Jaroslaw baute für seine Tochter 1943 eine Gitarre, die er Tulpe nannte, wegen der Form des Gitarrenkopfes“, berichtet mir Lutz und steigt nach oben auf die Leiter, um eine Gitarre herunterzuholen.
Er reicht mir auch noch eine zweite: „Das ist die 112. Gitarre der Reihe, aus der auch deine stammt.“ Meine hat die Nummer 108 und wurde 1956 hergestellt; damit hat sie mein Alter, was sie für mich irgendwie noch wertvoller macht.
Alle drei Gitarren stellen wir zusammen in den Showroom. Meine steht in der Mitte. Gut sehen sie aus, die drei Schwestern. Obwohl mir meine Gitarre am besten gefällt.
„Die Tochter Renate heiratete einen Herrn von Niederhäusern, was zum heutigen Namen der Firma führte,“ führt Lutz weiter aus. „1960 baute sie diese Nummer 112 als letzte Gitarre der famosen Familie Pilar. Ihr Sohn Andreas von Niederhäusern baut heute wieder Geigen und hat ein Geschäft in der Eisenacher Straße 103 in Berlin-Schöneberg. Und er hat mir diese beiden Gitarren gegeben, damit ich die Historie der Familie bewahre.“ Und das wird er tun, der Lutz Heidlindemann, der sich auch sehr engagiert um alte Gitarren kümmert, wie ich später auf seiner Website Guitardoc Vintage nachlese. Ich bin mächtig beeindruckt und freue mich riesig, eine so interessante Story zu meinem Geburtstag aufgerissen zu haben. „Kannst du mir deine Recherchen digital zukommen lassen?“, frage ich Lutz. Gesagt und Laptop aufgeklappt und eine Mail losgeschickt. Fertig. Der ist nicht nur saufreundlich, sondern auch noch schnell.
„Du bist übrigens keinen Tag zu früh gekommen. In deiner Gitarre war der Wurm drin. Im wahrsten Sinne des Wortes! Schau mal hier in der Mitte des Korpus, wo beide Deckhölzer zusammenstoßen, da bohrte der Holzwurm.“ Erschreckt schaue ich mir die Stelle an.
„Wie bist du eigentlich an diese Pilar gekommen?“, will Lutz zum Schluss noch von mir wissen. Ich berichte ihm von meiner jungen Erwachsenenzeit, als ich noch einen Gitarrenlehrer hatte. Der spielte im Berliner Polizeiorchester und hatte einen Kollegen, der eine Gitarre zu verkaufen hatte: meine 1956 Pilar Nummer 108. Damals habe ich 250 DM dafür bezahlt. Das war für mich recht viel Geld. „Unglaublich“, murmelt Lutz vor sich hin. „Wie bitte?“, frage ich nach. „Na, der Preis. Das war quasi geschenkt. Für deine Gitarre könntest du heute vier- bis fünftausend Euro bekommen. Und damals war sie auch schon einiges mehr wert als diese lächerlichen 250 DM. Handarbeit und von der berühmten Familie Pilar. Das ist ein sehr gutes Werkstück!“ Ich bin baff. Das habe ich nicht gewusst. Ich habe mein Gitarre bestimmt besser behandeln können. Am Lagerfeuer sie nicht einfach achtlos in den Sand werfen. Sorgsamer damit umgehen. Ich habe ein schlechtes Gewissen. „Lutz, das war super interessant hier bei dir. Vielen Dank für diese Geschichte!“ Bevor ich die Werkstatt verlasse, schaue ich mich noch einmal um. Schön hier.
Zuhause angekommen, betrachte ich die neuen Stege am Gitarrenhals. Sehr gute Arbeit. Was hatte ich doch für ein gutes Händchen, gerade diesen Laden für meine Reparatur auszusuchen.
Mein Geburtstag hat den Abend erreicht. Ich werde nur im engsten Kreis der Familie den 66. Jahrestag feiern. Sie werden bald da sein, meine Gäste. Ich setze mich auf die Eingangstreppe und komme ins Grübeln. Da war doch so ein Lied? Dass in diesem Alter das Leben anfängt! Na ja, meinetwegen. Obwohl mein Leben bis jetzt schon mal sehr gut war. Da muss nicht mehr viel anfangen. Ich schaue mein Geburtstagsgeschenk an. Bis heute wusste ich nicht, was für eine Gitarre ich da in der Hand halte, die ich in meinem Besitz habe. Und wenn ich mir noch einmal ganz genau ihre Geschichte in Erinnerung rufe, dann frage ich mich ernsthaft, wer hat hier wen gefunden und wer besitzt hier eigentlich wen?
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Christan Dobler
Ich habe 2019 bei Lutz Heidlindemann meine Anton Pilar Nr. 74 erworben, für ca. 2.500 €.
Danach habe ich über die Hersteller-Familie recherchiert und das bis heute existierende Unternehmen in seinem schönen Domizil in der Eisenacher Straße in Berlin besucht. Bei dieser Gelegenheit hat mir Andreas von Niederhäusern die beiden unvollendeten Gitarren, die du bei Lutz Heidlindemann gesehen hast, gezeigt. Und ich durfte einige alte Bilder von der Herstellung einer Gitarre fotografieren.
Das Unternehmen fertigt und repariert heute nur noch klassische Instrumente, vor allem Celli und Bässe.
Ich habe auch gelernt, dass der Gitarrenbauer Jaroslav für die Gitarren Cello-Holz verwendet hat, welches den Ansprüchen für Celli nicht vollauf genügte.
Hier noch ein Link zu einem dänisches virtuellen Vintage Gitarren Museum: http://lacquercracks.dk/
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Vielen Dank Christian für Deinen Bericht und die interessanten Bilder! Wenn ihr auch weitere Informationen zu diesen wundervollen Gitarren habt, immer her damit. Am besten per E-Mail an info@grad60.com