Schmilka – Ein Dorf lebt auf
Mich hat es in die hinterste Ecke von Deutschland getrieben. Gefühlte 10 Meter vor die Tschechische Grenze. Hier liegt das Dörfchen Schmilka, direkt von der Elbe hinauf an einer Gasse, die nicht ernsthaft als Straße durchgeht. SUV-Fahrer dürften um Spiegel und Lack bangen, wenn sie zwischen Mühle und Brauhaus die wenigen Meter bis zum Berg fahren wollten. Weit kämen sie ohnehin nicht, denn schon bald endet das Sträßchen und wird zum Wanderweg auf den Winterberg.
Richtig, ich bin in der Sächsischen Schweiz oder auch Elbsandsteingebirge genannt. Martin hat euch schon berichtet, wie er mit Angstschweiß in der Bergstiege hing und ich habe über Anstrengungsschweiß beim Probewandern mit der neuen Ausrüstung geschrieben. Wandern gehört diesmal auch dazu. Dieses Naturparadies ist so beeindruckend, es zieht mich immer wieder hin. Schmale Pfade, steile Stiegen und tiefe Abgründe vor großartiger Kulisse, herausfordernd und schön.
Das finden und fanden auch andere. Der kleine Ort Schmilka ist schon seit zwei Jahrhunderten Ziel von Touristen. Die Anreise war nur auf der Elbe möglich, da die bis zum Fluss reichenden Sandsteinfelsen für Fahrzeuge nicht passierbar waren. Und so stehen in diesem Ort eine Reihe von Gasthäusern, die im letzten Jahrhundert erbaut wurden. Aus einer Zeit, in der Fahrzeuge keine Rolle spielten und erst recht keine SUV’s. Im Dorf sichten wir ein altes Hinweisschild auf eine „Bergsteigerübernachtung“. Ich vermute mal, hier gab es nicht unbedingt eine warme Dusche auf dem Zimmer.
Der Ort ist und war eigentlich nie ein richtiges Dorf, wie man es sich so vorstellt. Es gibt keinen Marktplatz, keine Kirche und keine Schule. Und Platz für Landwirtschaft war in dem schmalen Tal zwischen steilen Sandsteinbergen auch nicht. Der ursprüngliche Erwerb bestand aus Holz. In den Bergen geschlagen und auf der Elbe verschifft. Das alles erfahre ich von der Kunsthistorikerin Andrea. Sie ist vor 20 Jahren von Kassel in diesen kleinen Ort gezogen. Wegen der Natur und der interessanten Geschichte.
Sie ist eine von nur noch 70 Einwohnerinnen und Einwohnern Schmilkas. Die anderen hat die Elbe vertrieben. Nicht der malerisch dahinfließende Strom, sondern das zerstörerische Hochwasser. 2013 war so ein Jahr, in dem die Häuser überflutet, unterspült und zerstört wurden. Die Hälfte der Einwohner hatte nicht nur den Keller, sondern auch die Nase voll und zog in trocknere Gebiete. Auch Andrea hat das miterlebt: „Es ist hart, den Wasserhahn aufzudrehen und den Keller selbst zu fluten, damit Gegendruck entsteht und so das Hochwasser nicht die Mauern eindrückt!“ Versicherungen gibt es für den Schaden nicht immer oder es wird nur ein Teil bezahlt. Und um ein schmuckes Haus wie die Villa Thusnelda mit dem Café Richter aufzubauen, bedarf es schon ein wenig Kapital.
„Zum Glück gibt es da einen Schmilka-Fan, Sven-Erik Hitzer, einen Visionär mit Leidenschaft!“, berichtet mir Andrea. Inzwischen ein Unternehmer, der 1993 das erste Gebäude in diesem Ort erwarb und dazu auch die historische Mühle übernahm. Das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert war so „historisch“, dass es auch als Ruine bezeichnet werden könnte. Der Investor investierte und baute das Gebäude mit Mühlrad wieder auf. So kann ich jetzt im Biergarten sitzen und das oberschlächtige Wasserrad beobachten. Hä? Ja, diese Wassermühle ist eine Besonderheit. Sie bekommt nur sechs Liter Wasser pro Sekunde aus der Ilmquelle und damit sich die tonnenschwere Konstruktion überhaupt bewegt, wird das Wasser über eine Holzkonstruktion von oben, oberschlächtig, auf die Schaufeln geleitet.
Und wo eine Mühle steht, gehört auch eine Bäckerei dazu. Aber wo hier alles so historisch ist, darf es kein Backvollautomat sein. Der Bäcker heizt den Ofen mit Holz auf, bis die Steine „glühen“. Teig hinein und aufgepasst. Ist’s zu heiß, wird es schwarz. Ist’s zu kalt, bleibt es roh. Da scheitert der Brötchenaufwärmer aus der Filialkette. Ich stehe staunend vor dem rauchschwarzen Ungetüm und rieche eine herrliche Mischung aus Holzbrand und frischem, knusprigen Brot.
Aber was hat das alles nun mit diesem Herrn Hitzer zu tun? Er stammt aus Cottbus und ist auf historisch-biologische Art in den Ort Schmilka vernarrt, berichtet mir Andrea. Er kauft die alten, zum Teil sehr maroden Gebäude auf, um sie behutsam für Feriengäste zu sanieren. Niemals mit der Brechstange, sondern im ursprünglichen Stil des jeweiligen alten Hotels oder Forsthauses. Lediglich die Panoramasauna und der darunter liegende Gartenausschank sind neu entstanden. Aber auch das mit natürlichen Materialien und altem Look. Und ein kleiner Teil der Brauerei-Manufaktur ist neu. Hier entsteht das ungefilterte Bio-Bier „Mühlenbräu“.
Es riecht malzig herb, weil gerade heute wieder Nachschub gebraut wird. Durch die handwerkliche Produktion führt Andrea mit interessanten Details und auch die kalte Felsenhöhle dürfen wir erzittern. „Das ausgeschenkte Bier in Schmilka war schon weit früher sehr beliebt. Dank der Felsenkammer kam es gut gekühlt in den Krug des Zechers.“ Heute gibt’s das „Pils“ und das „Bernstein“ mit moderner Technik wohltemperiert in mein Glas. Ohne zugesetzte Kohlensäure. „Feinperlig“, lacht Andrea. Es schmeckt.
Da säuft er schon wieder! So denkt ihr vielleicht. Aber nein, das ist nur die Verkostung der Brauereiprobe.
Außerdem bin ich mit Partnerin und zwei weiteren Frauen mit dem Kräutermann von Schmilka auf der Suche nach den passenden Teeaufgusspflanzen. Melisse, Brennnessel und Kamille zupfe ich am Elbufer und fülle sie in mein kleines Henkelglas. Soll Galle und Leber reinigen. Na passt doch. Und frisch aufgebrüht schmeckt’s dazu am Ende der Kräutersammeltour.
Derartig innerlich gereinigt können wir am Abend noch Andrea zur Geschichte von Schmilka lauschen. Alte Postkarten zeigen das Arbeiten, Leben und Urlauben in diesem Dorf. Ich spüre förmlich ihre ansteckende Begeisterung für die Chronik von Schmilka und könnte hier noch seitenweise von ihrem Vortrag nacherzählen. Aber am besten ihr fahrt selber dort hin und schaut euch das an. Und wenn ihr in dem Ensemble des Biohotels wohnt, könnt ihr euch biologisch und auf Wunsch auch vegan verwöhnen lassen. Die Auswahl an unterschiedlichen Unterkünften ist groß. Und wie ich mich in Schmilka so umschaue, entdecke ich noch einige Häuser, die auf Herrn Hitzer warten. Übrigens, wie alle unsere Berichte schreibe ich den Artikel ohne Bezahlung, irgendwelche Vorteile oder Beeinflussung. Mehr dazu unter Transparenz.
Auch wenn ich hier so viel über Schmilka berichte, das Highlight der Sächsischen Schweiz bleiben die Karstfelsen mit ihren bizarren Formen. Daher soll mein Sprung über eine kleine Spalte an der Idagrotte den Abschluss für diesen Artikel bilden.