Tschüss Tegel

Wind Nord/Ost Startbahn null drei… Im gleichen Jahr wie die Eröffnung des Abfertigungsgebäudes vom Flughafen Tegel erschien 1974 der Titel des Berliner Barden. Und wir sind heute hier, um im Jahr 2020 Abschied von dem sechseckigen Terminal zu nehmen, das diesen 70er Jahre Charme besitzt. Abgerundete Ecke, weinrot, gelb und grün beleuchtete Tafeln schicken die Reisenden in dieses Jahrzehnt zurück.

In unserem grad60-Blog wollen wir immer wieder mit euch die Welt entdecken und mit offenen Augen interessante Dinge zeigen. Bei den Filmaufnahmen für unseren Beitrag für das Magazin zibb hörten wir auch Fragen zum Thema Altersarmut und was Menschen ohne gute Rente oder Pension machen könnten. Wir sagen: sehr viel! Ein paar Beispiele: Ohne einen Cent erlebt ihr die Tipps unserer Serie Kleinode, könnt die Ausstellung Futurium oder Fotogalerie besuchen, mit dem autonomen Bus fahren, die Lichter des Festival of Lights bestaunen oder den Flughafen BER testen. Und kostenlos ist es auch heute. Zum Abschied vom Flughafen TXL ist die Besucherterrasse geöffnet. Das einzige was es kostet, ist die Zeit beim Anstehen.

Das Angebot nutzen offensichtlich viele. Vom Rentner bis zum aufgeregten Schulkind stehen die Neugierigen in der Reihe und warten auf den Einlass, der sich durch eine Sicherheitskontrolle wie beim Abflug etwas hinzieht. Macht nichts, wir haben ja Zeit und können auch schon hier einen nostalgischen Blick schweifen lassen. Eine zum Imbiss umgebaute S-Bahn bietet Berliner Currywurst als erstes zur Ankunft oder als letztes vor dem Abflug an.

Ich bin zum ersten Mal auf dem Aussichtsdeck. Er zieht sich nahezu über das gesamte Terminal-Sechseck und bietet den Blick sowohl auf die Innenvorfahrt, wie auch auf das Rollfeld. Das Besondere von Tegel ist ja die Idee der kurzen Wege. 1974 war der Bau radikal modern mit der Idee einer autogerechten Stadt, in der man bis zum Abfluggate vorfahren kann, ein Drive-In-Flughafen.

Mir scheint es so, als ob mehr Besucher auf der Terrasse als Abfluggäste im Flughafen sind. 2019 drängelten sich 24 Millionen Passagiere auf dem Airport, um in eines der 193.000 Flugzeuge ein- oder auszusteigen. Was war hier los! Heute stehen nur wenige Maschinen an den 14 Fluggastbrücken, die im nostalgischen Orange die Alternative Tomatensaft oder Pfeffer offerieren.

Air France, British Airways, Lufthansa sind noch immer Linien am bald schließenden Flughafen. Andere sind schon lange Geschichte: Ich denke natürlich an airberlin, mit ihrem kleinen Drehkreuzversuch am TXL, aber auch PanAm, Danair, Laker Airways, dba und Modern Air landeten hier mit ihren Boeing 707, der „Super One Eleven“ BAC 1-11, DC 9 oder De Havilland DH.106 Comet. Heute ist der meist gesehene Gast ein Airbus A320 von easyJet.

So richtig viele Maschinen sind heute nicht unterwegs. Neben den orangenen easyJet-Fliegern starten Eurowings und Lufthansa in den grauen Berliner Himmel. Es ist zugig auf dem Deck und Martin müht sich mit kalten Fingern und seinem Super-Tele die wenigen Landeanflüge und Starts abzulichten.

Ich friere und drängele zum Wechsel in das Terminal für einen letzten nostalgischen Blick zurück in die Berliner Fluggeschichte. Wie oft bin ich hier voller Vorfreude in ferne Welten aufgebrochen und voller Erlebnisse wieder gelandet. Irgendwie war es immer ein wenig ungemütlich und drängelig, aber er gehörte zu Ibiza, Fuerteventura, Milano oder zu den Fernreisen mit der luxuriösen Qatar-Airways und ihrem Oryxantilopen-Emblem über Doha in die ferne Welt.

Martin und ich schlendern schweigend im endlosen Kreis des Terminals und versinken in unseren Reisegedanken. Von hier wird es nicht mehr losgehen, auch wenn Corona überstanden ist. Es schmerzt schon etwas, jetzt die hochgestellten Stühle zu sehen.

Wir finden noch ein geöffnetes Café und bestellen bei der netten Dame aus dem vorigen Jahrhundert Cappuccino und Kuchen. Und in unseren Köpfen summt es: Dann ist alles still, ich geh', Regen durchdringt meine Jacke, Irgendjemand kocht Kaffee, In der Luftaufsichtsbaracke…

Wir kommen wieder ins Plaudern über unsere Flugreisen aus früheren Zeiten. Ab Reihe 10 durfte geraucht werden und 100 Fluggäste steckten sich gleichzeitig den Glimmstängel an, wenn das Lichtzeichen nach dem Start erloschen war. In der blaugeschwängerten Luft gab es kostenlosen Tomatensaft und ich glaube, er wurde extra für Flugzeuge erfunden. Stewardessen, so nannte man die Damen im adretten Kostüm, servierten dazu ein labberiges Aufreißmenü, das herrlich nach Urlaubsstart schmeckte. Und irgendwie ist für uns das alles mit Tegel verbunden. Unser Stück Reisegeschichte endet mit diesen letzten Eindrücken: In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen, Wolken spiegeln sich darin, ich wär' gern mitgeflogen.

Ach ja, noch eine große Bitte. Wir suchen dringend nach alten Fotos vom Flughafen Tegel. Habt ihr vielleicht Aufnahmen, die wir hier veröffentlichen können? Es wäre so schön, diese Geschichte damit zu vervollständigen. Oder vielleicht könnt ihr über euer persönliches Erlebnis berichten. Schreibt doch bitte an info@grad60.com Gerne rufen wir auch zurück, wenn ihr uns eure Telefonnummer schickt.

Oh wie schön. Wir haben ein erstes Foto vom Flughafen Tegel TXL bekommen. Stephan hat die Dash 8 von airberlin fotografiert. Vielen Dank!

Ansonsten ist alles wie immer: Der Artikel wurde ohne Bezahlung, Vergünstigung oder Beeinflussung geschrieben. Weitere Informationen zu diesem Thema findet ihr auf unserer Seite Transparenz.

Kommentare

Petra

Wieder so ein gelungener Bericht! Tja, leider geht die Tegel-Ära zu Ende!
Die Anwohner werden wohl die einzigen sein, die sich freuen...

Viele Grüße von Petra

Thomas Neuendorf ·

Vielen Dank Petra! Ja, mal sehen wie es dann so auf dem BER wird.