An der Berliner Mauer vom Checkpoint Charlie zur Oberbaumbrücke – Ein Gastbeitrag
Klaus Tolkmitt nimmt uns mit auf seiner ganz persönlichen Mauer-Tour durch Berlin:
Auf meinen Erkundungen in Berlin stoße ich immer wieder auf alte Teile der Berliner Mauer oder finde Details, die an die ehemalige Trennung erinnern. Ja, es gibt einen ausgeschilderten Mauerradweg, ja es gibt Pflastersteine, die sich längs oder quer der Straßen hinziehen und den früheren Verlauf des Betonbollwerks verdeutlichen.
Dennoch, es ist nicht immer leicht, die Demarkationslinie zwischen dem ehemaligen Ost- und Westteil der Stadt zu erkennen. Also habe ich mich auf den Weg gemacht, um meinen persönlichen Grenzverlauf zu erkunden und meine „Grenz-Geschichten“ aufleben zu lassen, die sich damals „im Kalten Krieg“ zugetragen haben.
Auf dem Weg zwischen Checkpoint Charlie und der East Side Gallery im Ortsteil Friedrichshain/Kreuzberg habe ich zahlreiche Hinweise zur Mauer gefunden und bin an vielen Gedenkstelen vorbeikommen, die an schicksalhafte Begebenheiten erinnern.
Neben dem Brandenburger Tor ist der Checkpoint Charlie der Ort, an dem wohl am häufigsten in Berlin fotografiert wird. Das Grenzhäuschen an der Ecke Friedrichstraße/Rudi Dutschke Straße am ehemaligen Übergang war Schauplatz von unzähligen Spionagethrillern, denn hier wurden oft Agenten ausgetauscht, sowohl im echten Leben als auch in vielen Hollywood Filmen.
Der Checkpoint Charlie war während der Teilung Berlins ein alliierter Kontrollposten.
Hier war von 1961 bis 1990 die einzige Übergangsstelle zwischen Ost und West, die nur Alliierten, Ausländern und Mitarbeitern der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, sowie DDR-Funktionären vorbehalten war. Wenn man von Alliierten spricht, meint man meistens verbündete Staaten. Berlin wurde nach dem 2. Weltkrieg unter den Siegermächten aufgeteilt, den sogenannten Alliierten. Doch wer waren diese Alliierten?
Auf der Konferenz von Jalta 1945 wurde Berlin in vier Sektoren aufgeteilt. Frankreich kontrollierte den nordwestlichen, Großbritannien den westlichen und die USA den süd-westlichen Teil der Stadt. Der gesamte Ostteil Berlins verblieb unter der Aufsicht der Sowjetunion.
Der Name Checkpoint Charlie leitet sich vom Internationalen Buchstabieralphabet ab (Alpha, Bravo, Charlie). Der Autobahn-Grenzübergang Helmstedt-Marienborn war Übergang Alpha, der Übergang an der Autobahn in Dreilinden-Drewitz war Bravo und der dritte von den Alliierten genutzte Kontrollpunkt war Charlie.
Die Atmosphäre des Kalten Krieges war, nach dem Mauerbau ab August 1961, hier an der Friedrichstraße besonders spürbar.
Am 27. Oktober 1961 standen sich hier amerikanische und sowjetische Panzer bedrohlich direkt gegenüber, nachdem DDR-Grenzposten Angehörige einer US-Mission aufgefordert hatten, sich beim Passieren auszuweisen. Die Alliierten hatten aber zu allen Sektoren freien Zugang, so auch in den Ostsektor.
Im Mauer Museum und in der 360° Panorama-Installation von Künstler, Architekt und Hochschullehrer Yadegar Asisi lässt sich die Geschichte der Berliner Mauer am Checkpoint Charlie noch auf eine ganz andere, neue Art erfahren. Auf einem Rundum-Bild zeigt Asisi das geteilte Berlin an einem fiktiven November-Tag in den 1980er Jahren von der Sebastianstraße in Kreuzberg im damaligen West-Berlin, nach Mitte im damaligen Ost-Berlin. Auf dem rund 60 Meter langen und 15 Meter hohen Bild sind graue, unsanierte Häuserfassaden zu sehen, spielende Kinder, Graffiti-Maler und DDR-Grenzsoldaten, die von den Wachtürmen das Leben im Westteil der Stadt beobachten.
Alle Berliner und Berlinerinnen aus den 1960er Jahren haben ihre eigenen Geschichten.
Hier und heute möchte ich meine Geschichte erzählen.
Wenige Meter in die Zimmerstraße hinein, steht links (Haus Nummer 79-80) das Alfandary-Haus. Hier war zu DDR-Zeiten die Zeitung Neue Zeit untergebracht.
Ein paar Meter weiter an der Ecke Charlottenstraße steht eine Gedenktafel für Peter Fechter, der hier bei einem Fluchtversuch erschossen wurde. Knapp 50 Meter weiter steht dann eine Säule, die an diese unmenschliche Tat erinnern soll.
Über Jahre hinweg versuchten immer wieder Menschen unter Lebensgefahr, aus Ost-Berlin in den Westteil zu flüchten. So auch der 18-jährige Bauarbeiter Peter Fechter, der nur in Freiheit leben wollte und gemeinsam mit einem Freund am 17. August 1962 die Flucht wagte. Doch sie wurden entdeckt und die DDR-Grenzsoldaten fingen an zu schießen.
Während sein Freund es noch schaffte, wurde Fechter getroffen. Fast eine Stunde lag der Schwerverletzte schreiend im Todesstreifen. Auf beiden Seiten der Mauer wurden zahlreiche Menschen Zeugen seines qualvollen Verblutens.
Doch angesichts der angespannten internationalen Lage wagte keiner einzugreifen, auch nicht die amerikanische Militärpolizei. Als die Grenztruppen der DDR den angeschossenen Fechter endlich in ein Krankenhaus brachten, war es zu spät. Peter Fechter war nicht der erste, aber sicher einer der bekanntesten Toten an der Mauer.
Sein dokumentierter Tod löste international Entsetzen über den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze aus und wurde zum Symbol für die Unmenschlichkeit des SED-Regimes.
Es geht in Laufrichtung weiter, immer an der ehemaligen Mauer entlang (zu sehen an den eingelassenen Pflastersteinen im Boden). Nach Überqueren der Markgrafenstraße stehe ich nach weiteren 70 Metern links vor der Botschaft Portugals.
Hier in der Nähe führte zu dem früheren Haus Nr. 56 ein Fluchttunnel, der im Juli 1962 von der Westseite (wo heute der Axel Springer Verlag ist) von Rudolf Müller gegraben wurde, um seine Familie nach West-Berlin zu holen. Rudolf Müller, der vor dem Mauerbau mit seiner Familie in Ost-Berlin wohnte, aber im Westen arbeitete, hatte nach der Grenzschließung noch in den freien Teil der Stadt fliehen können, während seine Familie in Ost-Berlin bleiben musste.
Um seine Familie ebenfalls nach West-Berlin zu holen, entschloss er sich, vom Gelände des noch im Bau befindlichen Gebäudes des Springer-Konzerns bis zu einem Keller im Haus Zimmerstraße 56 einen Tunnel zu graben. Über Wochen grub er mit seinem Bruder und weiteren Freunden den 22 Meter langen Tunnel, durch den er am 18. Juni 1962 seine Familie retten konnte.
Allerdings kam es im Sperrgebiet zu einem tödlichen Zwischenfall, als die Familie vom DDR-Grenzbrigadier Reinhold Huhn aufgehalten und kontrolliert werden sollte. Müller erschoss den Brigadier, nachdem dieser seine Waffe entsichert hatte, worauf weitere DDR-Grenzpolizisten ihrerseits das Feuer eröffneten, ohne jedoch jemanden zu treffen. Der Familie gelang unversehrt die Flucht durch den Tunnel.
Der tote Grenzsoldat Reinhold Huhn wurde in der DDR propagandistisch zum Opfer westlicher Kriegstreiber erklärt. Rudolf Müller musste sich nach der deutschen Wiedervereinigung als Fluchthelfer vor Gericht verantworten.
Ich bleibe weiter auf der Zimmerstraße und komme wenige Meter weiter links am neuen futuristischen Gebäude des Springer Verlages vorbei.
Rechts das Hochhaus ist der Springer-Hauptsitz, seitdem Axel Springer 1966 sein neues Verlagshaus von Hamburg nach Berlin verlegt hatte.
Springer hat sich zu Lebzeiten immer politisch engagiert und sich stark für die Wiedervereinigung Deutschlands eingesetzt. Dennoch gehörte er zu einer der umstrittensten Personen Nachkriegsdeutschlands.
1967 begannen für Springer einige unbequeme Jahre, denn in Deutschland begannen die Studentenunruhen und die Kritik an dem Verleger und seinen Medien. Parolen wie: „Enteignet Springer!“ waren noch harmlose Sprüche...
Hier nun möchte ich von meinem ersten Berlin-Erlebnis berichten: Die Mauer stand bereits vier Jahre, als ich 1965 das erste Mal nach Berlin kam, mit dem Flugzeug von Hannover.
Als damaliger Fan von Hannover 96 reiste ich mit einem Freund zum Bundesliga-Spiel gegen Tasmania Berlin im Olympiastadion, das übrigens noch immer aussah wie zur Olympiade 1936.
Nur harte Holzbänke im großen Oval und auf den "billigen" Plätzen pfiff uns der Wind um die Ohren. Flug und Eintrittskarte gab es für einen Sonderpreis von 65 Deutsche Mark. Mein erster Flug überhaupt und ein einmaliges Erlebnis, als beim Anflug auf den Flughafen Tempelhof die Dächer zum Greifen nah waren.
Bei unserer Besichtigungstour durch die Stadt verwehrten uns weitläufige Absperrungen den Blick auf das Brandenburger Tor und auch die graue Mauer mit dem Stacheldraht ließ uns sprachlos werden. So deprimierend hatten wir uns das nicht vorgestellt. Doch dann, kurz vor dem Rückflug noch am selben Abend, ein kurzer Spaziergang über den Kurfürstendamm und wir spürten: "Berlin lebt".
Das Spiel endete übrigens 5:1 für Hannover und wir waren happy.
Von der Axel-Springer-Straße biege ich rechts in die Kommandantenstraße ein und nach 350 Metern links in die Alte Jakobstraße. An der Stallschreiberstraße halte ich mich rechts und suche am Haus Nummer 42 eine Gedenktafel.
Hier ereignete sich ein weiterer Fluchtversuch von Ost nach West, obwohl die DDR ihren Bürgern immer erzählte, man müsse sich vor den Aggressoren aus dem Westen schützen und habe deshalb die Mauer gebaut.
Es ist aber kein Fluchtversuch von Westberlin in den Osten der Stadt bekannt.
Die Reaktion der schießenden Grenzsoldaten auf diesen Fluchtversuch wurde noch am selben Tag von Friedensnobelpreisträger Martin Luther King verurteilt, der gerade in Berlin zu Besuch weilte und von dem Vorfall hörte.
Michael Meyer wollte am 13. September 1964 die DDR verlassen und an dieser Stelle hier die Grenzanlagen überwinden. Vorher war er vergeblich durch die Spree geschwommen. Bei dem Versuch wurde er von Grenzsoldaten der DDR über 300-mal beschossen und wurde dabei schwer verletzt. Ein Sergeant der US-Militärpolizei kletterte auf die Mauer und zog ihn mit einem Seil in die Freiheit.
Martin Luther KIng, der bekannte Baptistenprediger aus den USA, eilte zum Fluchtort und verurteilte die "trennende Mauer" und fügte hinzu: "Keine durch Menschenhand errichtete Mauer kann Gottes Kinder trennen". King besucht den Verletzten anschließend noch im Krankenhaus.
Ein Stück Wegstrecke links auf der Alexandrinenstraße komme ich zur Ecke Sebastianstraße, in die ich rechts einbiege.
Die Straße wurde durch die Mauer in zwei Hälften geteilt.
Nach meinem ersten Berlin-Abenteuer zum Fußballspiel folgten bis zur Wende weitere zahlreiche berufliche und private Reisen nach West- und auch nach Ost-Berlin. Die Fahrten wurden ausnahmslos auf der Transitstrecke zwischen dem Kontrollpunkt Helmstedt-Marienborn und Drewitz mit dem Auto absolviert.
Dabei kam es immer wieder zu kuriosen "Zwischenfällen".
So erinnere ich mich daran, einen LKW überholen zu wollen und bin dafür auf die linke Spur gewechselt. Der Überholvorgang dauerte auf der DDR-Autobahn länger, musste doch die vorgegebene Geschwindigkeit eingehalten werden, wollte man nicht "geblitzt" werden.
Noch nicht ganz am LKW vorbei, sprang plötzlich ein Volkspolizist vom Mittelstreifen auf die Fahrbahn und hielt mich an. Warum ich links fahre, wollte er wissen. Meine Antwort: "Ich wollte den LKW überholen". "Welchen LKW, ich sehe keinen", gab er mir unmissverständlich zu verstehen. Der LKW hatte natürlich keinen Grund anzuhalten und war weitergefahren. Kein Witz: Ich musste Bußgeld zahlen, weil in der DDR Rechtsverkehr Pflicht war und ich auf der linken Spur fuhr. Diese und ähnliche Maßnahmen brachten dem Regime wichtige Devisen ein. Der Westen war damals zwar der kapitalistische Aggressor, die Deutsche Mark wurde aber gern genommen.
Knapp 250 Meter sind es bis zur Ecke Prinzenstraße/Heinrich-Heine-Straße. Hier war während der Teilung Berlins ein Grenzübergang, der überwiegend von Bundesbürgern genutzt wurde, die in die DDR einreisen durften.
Hier versuchten Klaus Brüske und zwei weitere Männer am 18. April 1962 mit einem Lastwagen die Schlagbäume des Kontrollpunkts zu durchbrechen. Die Grenzposten versuchten mit gezielten Schüssen das Vorhaben zu vereiteln. Tödlich getroffen, gelang es dem Fahrer Brüske noch, den Wagen auf West-Berliner Gebiet zu steuern. Er erlag seinen Verletzungen noch vor Ort, seine beiden Mitfahrer erlitten zum Teil schwere Verletzungen.
Der Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße hatte eine Besonderheit aufzuweisen. Unter dem Grenzverlauf fuhren vor dem Bau der Mauer die U-Bahn Linien C und D. Nach dem Bau der Mauer hielten die U-Bahn-Züge nicht mehr in Ost-Berlin und die Station Heinrich-Heine-Straße wurde ein "Geisterbahnhof". Die DDR-Führung hatte im August 1961 das Gesamt-Berliner Nahverkehrsnetz unterbrochen. Gleich mehrere S- und U-Bahnhöfe waren bis 1990 außer Betrieb. Die Züge, die durch die Bahnhöfe fuhren, hielten nicht an. So waren auch an der Heinrich-Heine-Straße die Zugänge versperrt und "unsichtbar" gemacht worden. Die Nutzung wurde erst wieder aufgenommen, fast 30 Jahre später, am 1. Juli 1990.
Ich folge weiter der Sebastianstraße und gehe bis zum Haus 82. Hier spielte sich ein weiteres dramatisches Ereignis ab. Gleich im ersten Jahr nach dem Bau der Mauer begannen zahlreiche Familienangehörige, Freunde, Bekannte und Fluchthelfer, Menschen aus der DDR durch einen Tunnel unter der Mauer in den Westen zu schleusen.
Ein weiterer von ungefähr 70 Tunneln in der Stadt war hier in der Sebastianstraße.
Am 28. Juni 1962 wollten Siegfried Noffke und Dieter Hötger ihre Frauen und elf Freunde aus Ost-Berlin in den Westen holen. Eine legale Ausreise war zuvor verweigert worden. Vier Wochen hatten beide von der Westseite gebuddelt. Alles schien perfekt vorbereitet. Doch ein Bekannter von Hötgers Frau hatte den Tunnelbau an die Stasi verraten...
An der Ecke Luckauer Straße ist der Alfred-Döblin-Platz und dort ist ja vielleicht auf einer Bank für eine kleine Pause ein Plätzchen frei. Während ich hier nun unter blühenden Linden gesessen und mir meine Notizen gemacht habe, sind mir die sogenannten "Mauerspechte" eingefallen.
Ich war selbst einer, denn als sich die Grenzanlagen am Abend des 9. November 1989 öffneten und die Menschen aus Ost-Berlin zu Besuch auf den Kurfürstendamm strömten, begannen die ersten "Spechte" mit Hammer und Meißel die Mauer einzureißen.
Ich wohnte damals noch nicht in Berlin, doch als ich wenige Wochen nach der Grenzöffnung die Verwandten in Berlin besuchte, gab es schon riesige Löcher überall in den Mauersegmenten. Die Mauer steht nicht mehr, weil auch ich ein Teil des Bollwerks mitgenommen habe. Das Handteller große Stück original Berliner Mauer soll immer die Erinnerung an die damalige Zeit wachhalten.
Ich verlasse den schattigen Platz und informiere mich an der Schautafel noch über den Namensgeber, bevor ich der Luckauer Straße ca. 60 Meter Richtung Norden folge und kurz hinter der Kirche St. Michael stehenbleibe. Links geht die Dresdener Straße ab, die bereits zum Ostsektor gehörte. Hier stand eine Aussichtsplattform, die den Blick über die Mauer in die Dresdener Straße freigab.
Heute kann ich ungehindert den Weg rechts in die Waldemarstraße einschlagen und nach ca. 170 Metern von der Brückenmitte den Blick über das Engelbecken schweifen lassen. Ich stehe über dem ehemaligen Luisenstädtischen Kanal, der die Spree mit dem Landwehrkanal verband.
Erhalten geblieben ist nur noch eine Grünanlage mit dem Indischen Brunnen zwischen dem Oranienplatz und dem Engelbecken. Die Grenze verlief links am Leuschnerdamm weiter bis zum Wasser. Wasser? Ja, wo sich heute im leichten Wind das Wasser kräuselt, war zu DDR-Zeiten nichts. Nach dem Mauerbau 1961 wurden das Becken komplett verfüllt und planiert.
Der Luisenstädtische Kanal wurde allerdings schon 1926, als die U-Bahn in der Nähe gebaut wurde, zugeschüttet und bis auf das Engelbecken in eine Gartenanlage umgestaltet.
Nach der Wende begann man 1991 mit der Rekonstruktion der Wasser- und Gartenanlage, die heute wieder ein beliebter Freizeittreff für die Anwohner geworden ist. Am Ufer kann man gern nach Schildkröten Ausschau halten, denn die soll es dort neben Enten, Krebsen und Schwänen auch geben.
Außerdem ist dort ein Kormoran zu Hause, der sich sichtlich wohlfühlt.
Ich lasse das Engelbecken links liegen und stoße auf den Bethaniendamm, der rechts weiter verläuft bis zur Ecke Köpenicker Straße. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Abschnitt der Köpenicker Straße nordwestlich des Bethaniendamms auf dem Gebiet des sowjetischen Sektors, gehörte also zu Ost-Berlin, während der auf Kreuzberger Territorium liegende Teil südöstlich des Bethaniendamms auf dem Gebiet des amerikanischen Sektors lag und damit zu West-Berlin gehörte. Hier starb Willy Grubenstein, der einer Familie aus Thüringen bei einem Fluchtversuch helfen wollte, und bei dem Vorhaben erschossen wurde.
Ich folge weiter dem Bethaniendamm, um dann auf der Schillingbrücke zu stehen, mit Blick auf den Fernsehturm. Vorbei am Yaam-Club erreiche ich an der Holzmarktstraße, in die ich rechts abbiege, den Stralauer Platz, der dann in die Mühlenstraße übergeht. Hier wird mit der East Side Gallery ein weiteres Stück Berliner Geschichte (Mauergeschichte) geschrieben. Ich behaupte mal, kein Berlin-Tourist verlässt Berlin, ohne an der East Side Gallery gewesen zu sein.
Als sich 1989 die Mauer öffnete, kamen auch Künstler aus aller Welt, um das außerordentliche Ereignis, das die Welt so dramatisch veränderte, in Bildern und Kommentaren festzuhalten. Es gab zwar schon Jahre vorher überall Mauermalereien, die aber nur auf der Westseite zu sehen waren. Die über 1 Kilometer lange Mauer ist inzwischen zur längsten Open-Air-Galerie der Welt geworden. Das Relikt aus Zeiten der Trennung ist ein buntes Mahnmal geworden und soll es auch bleiben. Die East Side Gallery steht unter Denkmalschutz und wird seit November 2018 von der Stiftung Berliner Mauer verwaltet. Einige der bekanntesten Malereien wie "Der Bruderkuss" von Dimitrji Vrubel oder Birgit Kinders durch die Mauer brechender Trabant sind bis heute populäre Postkarten-Motive.
Das Ende der Gallery gibt den Blick frei für Berlins schönste Brücke, die Oberbaumbrücke, die während der Teilung Berlins auch eine besondere Rolle gespielt hat.
Bereits im 18. Jahrhundert war hier eine hölzerne Spreequerung. Aus dieser Zeit stammt auch ihr Name. Im Krieg stark zerstört, bekam sie ihr heutiges prächtiges Aussehen erst nach der Wende wieder. Eine erste hölzerne Brücke befand sich auf Höhe der früheren Stadtmauer, einige Kilometer weiter stromabwärts von der heutigen Brücke nahe der Spreeinsel. Die Spree wurde dort zu beiden Seiten bis auf einen schmalen Durchlass in der Mitte mit begehbaren Holzstegen versperrt, um Zölle eintreiben zu können. Nachts wurde der Durchlass mit einem dicken, mit Eisennägeln bewehrten Stamm verschlossen, dem sogenannten Baum. Davon gab es einen „Oberbaum“ und einen „Unterbaum“ Mit dem Bau der Berliner Mauer wurde die Oberbaumbrücke für den gesamten Verkehr einschließlich der U-Bahn gesperrt. In Einzelfällen diente sie der Ausreise freigekaufter politischer Gefangener aus der DDR. Erst 1972 gab es durch ein Abkommen einen ständigen Durchlass für Fußgänger, mit entsprechenden Genehmigungen.
Bevor ich die Brücke nutze, die Spree nach Kreuzberg zu überqueren, lese ich noch an der Info-Stele die tragische Geschichte von Anton Walzer, der hier am 8. Oktober 1962 erschossen wurde.
Hier am Ufer der Spree habe ich meine persönliche Mauertour beendet und die Aussicht und das Treiben auf dem Wasser genossen. Hier wurde mir auch noch einmal bewusst, wie wichtig es ist, Freiheit und Frieden zu bewahren und zu erhalten.
Hier ist mir dann auch der Gedanke gekommen, die Tour für andere Interessierte anzubieten. Wer die Tour selbst machen möchte, der braucht nur sein Smartphone und die App von lialo.com. Mit diesem Link: https://www.lialo.com/de/tour/23zj kommt man direkt zur Tour und erfährt alles zur weiteren Vorgehensweise.
Die Tour ist ca. 6 Kilometer lang und hält weitere Informationen bereit. Die Nutzer werden gebeten, wie bei einer Schnitzeljagd, kleine Aufgaben zu lösen und Rätsel zu knacken. So lässt sich ein gemeinsamer Spaziergang mit der Familie, den Freunden oder Arbeitskollegen zu einer abwechslungsreichen Gemeinschaftsaktion gestalten.
Text und Fotos: Klaus Tolkmitt