Geschichten aus einem flachen Land
Ich habe vor einigen Tagen einen Urlaub mit Freunden in Ostfriesland verbracht. Unsere Unterkunft war in Ditzum und von dort aus haben wir uns verschiedene Startpunkte ausgesucht, um überwiegend mit den Fahrrädern Touren zu unternehmen. Die Gruppe bestand aus einem befreundeten Pärchen, meiner Frau und meiner Wenigkeit. Die Geschichten erzähle ich hier in acht einzelnen Teilen und zwar ausschließlich aus meiner Sicht, denn ich möchte nur meine Eindrücke und nur meine Empfindungen reflektieren und nicht die von anderen.
Zu den Beiträgen könnt ihr jeweils durch Anklicken des Namens springen oder einfach alles von Anfang bis Ende lesen. Viel Spaß dabei!
Pilsum / Wattwanderung / Papenburg / Park der Gärten / Aurich / Mühlen / Kloster Ihlow / Ditzum - Dollart
Die Berichte wurden ohne Beeinflussung oder Bezahlung Dritter verfasst. Warum diese Information wichtig ist, erfahrt ihr auf unserer Seite “Transparenz”
_____
Leuchtturm Pilsum-Runde
De Froo Komoot bringt mich an den Ausgangspunkt der Tour, zum Parkplatz am Uplewarder Trockenstrand, den man von Emden aus (16,2 Kilometer) über diverse Orte, die alle überaus putzige Namen haben wie z.B. „Twixlum“ oder „Heiselhusen“, erreichen kann. Ich starte die Tour (30 Kilometer).
Nach neuneinhalb entspannten Kilometern bin ich am Leuchtturm vom Pilsum. Unter dem Turm stehend fällt mir spontan Otto ein, der in seinem Film „Otto – Der Außerfriesische“ hier gewohnt hat. Dieser Leuchtturm ist der kleinste Deutschlands, aber auch der berühmteste. Man kann sich hier standesamtlich trauen lassen und auch gleich die Hochzeit feiern. Habe ich beides schon vor langer Zeit in Berlin gemacht, brauche ich nicht. Also weiter. Ich fahre wieder landseitig, denn bis hierhin ist das Fahren auf beiden Seiten des Deichs möglich, also auch auf der Seeseite, da war ich gerade noch unterwegs.
Ich mache mich auf den Weg nach Greetsiel, immer am Deich entlang. Der Radweg ist bestens ausgebaut und für jedes Alter und Fitnesslevel gut zu bewältigen. Steigungen gibt es hier in Ostfriesland sowieso kaum; es sein denn, man will hoch auf den Deich, das sind dann durchschnittlich rund achteinhalb Meter. Das ist aber nur an wenigen Stellen erlaubt. Ich ergreife die Gelegenheit, steige hoch und blicke beeindruckt auf das UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer, das ruhig und gelassen unter einem hoch aufgetürmten Wolkenspektakel liegt.
Nach weiteren dreieinhalb Kilometern bin ich in Greetsiel. Was für ein schönes, perfekt restauriertes Städtchen. Ich habe bis hierhin insgesamt 14 Kilometer zurückgelegt und fühle mich frei und unbeschwert, mit zwei Wörtern: sehr gut. Ich fahre in den Ort und am Eingangsschild vorbei. Zuerst mache ich am malerischen Hafen Halt und schaue mir die Schiffe an. Die Kutter haben Namen wie „Odysseus“, „Nordlicht“ oder „Martje“ und liegen jetzt am späten Vormittag ruhig da, denn der Arbeitstag eines Fischers beginnt erst (oder schon) am Abend, wie ich mir sagen lasse. In der Dämmerung fahren die Fischer dann raus auf See, um ihren harten Job bei Wind und Wetter zu erledigen.
Ich setze mich auf die Mauer am Hafen und lasse den Blick in die Ferne schweifen. Weit kommt er nicht, mein Blick. Vor mir liegt die Leyhörn. Das ist ein Naturschutzgebiet, welches ab Mitte der 1980er Jahre durch Eindeichungsmaßnahmen zum Schutz der Küste entstanden ist. Im Schutzgebiet finden sich neben den Wasser- und Schlickflächen ausgedehnte Röhrichte, Hochstaudenfluren und Grünlandbereiche und natürlich der Deich. Die künstlich angelegte Halbinsel ist recht groß geraten. Die Schiffe, die vom Hafen auf’s offene Meer wollen, müssen das Leyhörner Sieltief, das Speicherbecken und die Schleuse passieren. Das ist etwas Strecke und nicht gleich nebenan, würde ich sagen.
Ich wandere von der Brücke westlich zur Sielstraße, wo das „Eiscafé am Hafen“ Gefrorenes in Tüten und Bechern verkauft. Nach der Länge der Schlange wahrscheinlich recht guter Stoff. Das Eis reizt mich, aber die Staulage am Eingang ist mir zu zeitraubend. Ich schlendere weiter. Am Wasser entdecke ich etwas Interessantes und Anrührendes: Alexander und Kyra haben am 5. Oktober 2013 den Bund für’s Leben geschlossen oder zumindest das Vorhängeschloss. So sagt es mir der Text auf eines derselbigen, das an einer Kette zusammen mit anderen Schlössern am Ufer des Neuen Greetsieler Außentief hängt.
Greetsiel ist sicherlich einer der schönsten Sielhafenorte Deutschlands, das wissen außer mir auch andere Touris. Es wird zusehends enger in den Gassen. Ich suche das Weite und genieße zum Schluss die Szene mit den beiden Greetsieler Zwillingsmühlen am Ortsausgang.
Ich verlasse Greetsiel und fahre Richtung Pilsum; zu diesem Ort gehört der berühmte Leuchtturm, an dem ich heute schon war. Die Gegend, in der ich unterwegs bin, heißt übrigens Krummhörn und ist eine Gemeinde im Landkreis Aurich. Umgangssprachlich wird die Gemeinde mit Artikel „Die Krummhörn“ genannt. Ich passiere Neu Etum, Manslagt und komme nach Groothusen. Ich bewundere die Fantasie der Menschen bei der Ortsnamensgebung, unglaublich. Auffällig sind die sehr gepflegten Häuser, Vorgärten und Eingänge. Und immer in Rot, klasse! Rechts und links des Weges kann ich gar nicht genug schauen und staunen.
Ich habe jetzt rund 25 Kilometer hinter mir und freue mich, mit dem Rad hier unterwegs zu sein, tolle Location. Die Tour „Der Pilsumer Leuchtturm – Greetsiel – Kutterhafen Runde von Heiselhusen“ führt mich nun zum Ausgangspunkt, dem Uplewarder Trockenstrand zurück. Das sind noch etwa fünf Kilometer. Die Dauer dieses Fahrradrundkurses beträgt ohne Pausen eine Stunde und 46 Minuten. Da ich ziemlich lange in Greetsiel verweilt habe, bin ich schon in der vierten Stunde meiner kleinen Reise. Man könnte von hier aus auch die Richtung Emden wählen. Das wären nochmals 15 Kilometer. Es ginge dann vorbei an Canum und Freepsum (die Ortsnamen hier sind echt der Hammer!); das sind auch nette Orte, wie ich gelesen habe. Aber nein, die kurze Tour reicht mir für heute, vielleicht ein anderes Mal.
Blue flower kommentiert auf Twitter:
Bin gerne "mitgefahren" 👍 " ......Fantasie der Menschen bei der Ortsnamensgebung" Manslagt = mānsliacht („Mondlicht“, siehe die Mondsicheln im Wappen) Freepsum = altniederdeutsch: Fres (Heim), braht (glänzend) oft gehen die Ortsbezeichnungen auf Stammesnamen der Friesen zurück
_____
Wattwanderung pur
„Watt wollt ihr eigentlich?“ Gute Frage, denke ich. Gestellt hat sie Eiltraut, die Kumpelin von Johann, dem Wattwander-Spezialisten von Neßmersiel. Mit ihr werden wir in wenigen Stunden über‘s Wasser laufen oder so! Die Antwort lautet folglich: „Wir wollen Wattwandern!“
Heute geht die Wanderung von der Insel Baltrum zurück zum Festland und nicht andersherum; die Laufrichtung richtet sich nach den Gezeiten. Die Überfahrt zur Insel Baltrum mit der Fähre vom Hafen Neßmersiel dauert rund 30 Minuten und führt kurz vor der Einfahrt an einer Sandbank mit jede Menge Seehunden vorbei, die gelangweilt oder entspannt, je nach Sichtweise der aufgeregten Touris, dem Schiff hinterherschauen.
Auf der Insel selbst geht es beschaulich zu, Baltrum wird auch „Dornröschen der Nordsee“ genannt. Autos sind nicht erlaubt und Fahrräder nur von den Einheimischen. Ganz Baltrum ist quasi eine riesige Fußgängerzone. Der komplette Transport und sogar die Müllabfuhr werden mit Pferdefuhrwerken gemanagt, deshalb stehen die kräftigen Rösser auch überall in der Gegend rum.
Nach einigen Kilometern des Flanierens entlang der Ferienhäuser finde ich einen netten Platz zum kurzen Ausruhen. Ein Strandkorb, der aber nicht am Ufer steht, sondern mitten im Weg, nimmt sich meiner an und bietet auch Schutz vor dem ewigen Wind.
Da bis zum Beginn der Wattwanderung immer noch etwas Zeit ist, bietet sich zum Abschluss der Inselerkundung noch der Besuch in einem netten Café an. Das „Café Kluntje“ ist so ein überaus niedliches, versteckt in den Dünen liegendes, sehr gut restauriertes, altes Inselhaus.
Die Geschichte dieses Hauses beginnt - wie die aller historischen Gebäude auf der Insel - im Jahre 1825 mit der fürchterlichen Sturmflut, die die drei damaligen Siedlungen auf Baltrum nahezu völlig zerstörte. Bedienung, hervorragender, leckerer Kuchen und ganz besondere Teesorten, wie zum Beispiel eine Sanddorn-Kräuter-Mischung, machen diese letzte Stärkung vor dem großen Wattereignis zu einem weiteren Highlight. Auch das bunt zusammengestellte Interieur, das zahlreiche Fotomotive bietet, gefällt mir sehr gut.
Ich starre auf’s Watt, gleich soll es los gehen. Wir werden sieben Kilometer weit unterwegs sein und ungefähr drei Stunden brauchen. In der Ferne sehe ich die Gruppe, die schon vor einer halben Stunde losgegangen ist. Der Wattführer scheint etwas auszubuddeln. Viele Kinder sind dabei. Gut so. Ich glaube, man kann gar nicht früh genug das Wattenmeer kennenlernen.
Eiltraut startet ein recht umfangreiches Briefing. Sie erklärt uns, was diesen speziellen, in Teilen auch extremen Lebensraum ausmacht. Viele Tiere und Pflanzen leben ausschließlich hier im Watt und haben sich den herrschenden Bedingungen angepasst. Dazu gehören Wattwürmer und viele Muschelarten.
Und immer wieder höre ich: „Nur keine Panik, wenn ihr steckenbleibt!“ Ich schaue auf meine Wasserschuhe, die aus Kroatien stammen. Eigentlich sollte man sogenannte Beaches-Socken benutzen oder Schuhe, die wenigstens bis zu den Knöcheln reichen. „Ach, Quatsch“, sage ich mir, „das wird schon gehen mit den Dingern!“
Eiltraut geht voran, wir folgen, ungefähr 30 Leute, allen Alters, wobei ich ganz offensichtlich das obere Ende der Skala bilde. Der Wind weht recht kräftig und warm ist es auch nicht gerade. Aber meine Oberbekleidung entspricht den Wetterbedingungen. Es kann losgehen.
Am Anfang gibt es noch etwas mehr Wasser, aber dann flachen, nahezu harten Boden, an einigen Stellen fast trocken. So stellen sich die ersten paar hundert Meter im Watt da. „Is ja easy“, denke ich laut und bin echt begeistert. Das Wetter wird auch besser, es klart auf, der blaue Himmel zeigt sich teilweise. Ich breite die Arme aus und will laut rufen: „Was für eine Freude!“ Aber ich bin mir sicher, dass die anderen Teilnehmer mich dann nicht nur für ziemlich alt, sondern auch für leicht senil halten würden. Ich lasse also das Rufen.
Nach zirka einer Stunde wird das Wetter wieder schlechter und das Geläuf schwieriger. Der tiefe Schlickanteil nimmt zu und wir durchqueren ein Priel. Das sind Wasserläufe im Watt, die auch bei Ebbe mehr oder weniger viel Wasser haben. Sie dienen als Fahrrinnen für die Schifffahrt und sind für Wattwanderer sehr gefährlich. Das Wattenmeer füllt sich bei Flut nicht gleichmäßig, sondern die Priele laufen zuerst voll. Und dann kann es um Leben und Tod gehen.
Auf die Frage einer Teilnehmerin, wie sich Eiltraut verhalten würde, wenn das Wasser jetzt stiege, antwortet diese trocken: „Laufen, so schnell ich könnte, und zwar nach Baltrum zurück.“ „Warum zurück?“, frage ich. „Weil die schwierige Strecke noch vor uns liegt, zurück ist es einfacher!“, sagt Eiltraut, dreht sich um und geht weiter in Richtung Festland. Die Gruppe folgt schweigend, alle sind beeindruckt, ich auch.
Unsere Führerin bleibt immer wieder mal stehen, erklärt dies und das und wartet auf die Nachzügler. Zum Beispiel auf mich. Der Schlick ist nunmehr tief, sehr tief. Und meine Schuhe sind der letzte Scheiß, wirklich. Ich rutsche ständig mit dem Hacken raus und muss mir dann helfen lassen. Die anderen gehen weiter und ich falle zurück.
Wieder muss Eiltraut warten. Ich bin zu langsam. Daran sind aber nicht meine Jahre auf dem Buckel, sondern meine Schuhe an den Füßen Schuld. Nach einem längeren Moment bin ich wieder dran an der Truppe. Als ich stehen bleiben will, komme ich ins Schwanken und rudere mit den Armen. Diesmal nicht aus Freude. Nein, ich kann die Beine nicht für einen Ausfallschritt benutzen, weil sie im Schlick festbetoniert sind, sondern muss mich irgendwo festhalten. An meinem Vordermann. Ich murmele so etwas wie „Entschuldigung“ und höre im selben Augenblick, wie jemand hinter mir ins Watt fällt. Petra, meine Ehefrau, wollte meinen rudernden Armen durch einen Schritt zur Seite ausweichen. Das konnte sie aber wegen des Schlicks genauso wenig wie ich. Sie fällt rückwärts in den Dreck. Nicht nur, dass die ehemals hellbeige Hose jetzt hübsch anthrazitfarben ist, sie hat sich auch noch das rechte Handgelenk verstaucht. Und wer ist dafür verantwortlich? Die falsche Schuhwahl, natürlich! Nicht ich, der leichtsinnig auf diese Schuhe bestanden hat.
Mir reichts, ich ziehe die Schuhe aus und lauf barfuß weiter. Die Tour ist ja fast vorbei. Nach einigen hundert Metern und weiteren zwanzig Minuten erreichen wir das rettende Ufer. Es ist geschafft. Ich bleibe stehen und schaue an mir hinunter. Ab Oberschenkel abwärts sehe ich ziemlich abenteuerlich aus. Macht aber nichts.
“Watt für’n Dreck!” rufe ich laut und freue mich trotzdem, diese Wattwanderung unternommen zu haben. Danke Eiltraut.
_____
Leer und Papenburg
Leer, was vom germanischen Wort „hleri“ abstammt und „umzäunte Weide“ bedeutet, liegt an der Ems, hat einen kleinen Hafen und viel Atmosphäre. Die reizende Stadt ist heute mein Ausgangspunkt einer Tour nach Papenburg und zurück. Ohne Pausen und streng durchgeradelt könnte sie zwei Stunden und 27 Minuten dauernd. In dieser Zeit sollte man die geforderten 41,7 Kilometer bewältigen. Na hallo, nicht schlecht! Ich werde mir deutlich mehr Zeit lassen, wie schon bei der ersten Tour. Ich bin ja schließlich im Urlaub und nicht auf Arbeit! Wobei, … das letztere geht bei mir nicht mehr, hihi!
Am Hafen hängt malerisch ein Fischernetz in Blickrichtung zum Rathaus, das 1894 im Stil der deutschniederländischen Renaissance erbaut worden ist. Zwei gemütliche Stühle laden zum Verweilen ein. Ich bin etwas unschlüssig. Soll ich mich dem Flair hingeben und mich niederlassen? Aber nein, liebe Freunde, das geht jetzt nicht, eventuell nach der Rückkehr. Ich will los.
Mit einem kleinen Schwenk führt mich De Froo Komoot noch durch die Altstadt. Vorbei an vielen lütten Geschäften und Cafés komme ich zu einer Maid, einer Deem, die mir eine Tasse mit zwei Centstücken anbietet. Nett von ihr, damit komme ich ja gut über die Runden.
Die Doktor-vom-Bruch-Brücke führt mich nun über die Leda, zwar ohne Schwan respektive Zeus, aber doch mit nett gemachtem Ambiente. Der Museumshafen liegt jetzt hinter mir und nach einem wilden links-rechts-links Gekurve geleitet mich die App eine Strecke entlang der Bahngleise, wo nach insgesamt dreieinhalb Kilometern die Eisenbahnbrücke kommt. Direkt neben den Gleisen gibt es den Ostfrieslandwanderweg, sehr eng und selbst für Fußgänger nur schwer im Gegenverkehr passierbar. Auf der anderen Seite der Leda an der Brücke wartet rund ein Dutzend Radfahrer/innen, die zu mir auf meine Seite wollen. Schön langsam, immer eine nach dem anderen oder umgekehrt schieben sie ihre Räder über die Brücke. Das ist reine Nervensache, kein Problem, ich bin ja entspannt. Aha, jetzt ist frei, denke ich und will los. Da kommt gegenüber eine pinkfarbene Wahnsinnige aus einem Gebüsch gestürzt, schwingt sich auf ihren Drahtesel und gibt Stoff. Spinnt die? Ja, offensichtlich, jedenfalls scheint sie nicht gewillt umzukehren. Und sie ist schnell, da sie fährt und nicht schiebt. Also muss ich, bestimmt der Klügere, nachgeben und wieder ein (kleines) Stück zurück. Als sie auf meiner Höhe ist, will ich laut werden, da murmelt sie: „Lo siento!“ Ach, wie schön! „De nada“, antworte ich. Wie sollte ich einer Spanierin böse sein, geht doch nicht.
Der Radweg geht entlang der Leda, die dann in die Ems mündet und schwenkt nach Süden, nunmehr parallel zum größeren Fluss. Links sind die Felder, ab und zu mal durchbrochen von Polder, Gräben und kleinen Kanälen. Es ist offensichtlich, dass die modernen Wassersysteme die erfolgreiche Bestellung des Bodens ermöglichen. Im Falle eines trockenen Sommers kann Wasser aus der Ems in die Gräben und Kanäle umgeleitet werden.
Aber die Bauern verdienen wohl nicht nur mit der Landwirtschaft ihr Geld, sondern auch mit der Pacht für die allgegenwärtigen Windräder. Neben einem dieser Riesenteile mache ich Halt und versuche die Dimensionen zu erfassen. Gelingt mir nicht.
Bevor ich zur Meyer Werft fahre, wähle ich einen Abzweig in Richtung Papenburg. Die Gegend nennt man auch das Rheiderland. Es heißt, das Land hier sei flacher als flach und weiter als weit. Noch weniger Bäume als im übrigen Ostfriesland und überall freien Blick bis zum Horizont. Stimmt irgendwie.
In Papenburg am Hauptkanal komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Wie hübsch die Leute hier die beiden kleinen Straßen rechts und links des Wassers gestaltet haben, wunderschön. Ich steige ab und flaniere mal hierhin und mal dahin. Hier könnte man richtig gut Urlaub machen, bestimmt!
Motive für tolle Fotos gibt es ohne Ende; ich muss mich zurückhalten. Eines noch, geschossen zwischen Trauerweide und Metallketten.
Zurück auf der Tour, komme ich zur Meyer Werft. Hier werden riesige Schiffe gebaut, auch für die AIDA Cruises. Und für die Saga Cruises. Die Spirit of Adventure scheint fast fertig zu sein. Wie ich nachlesen kann, ist das Debüt für den 5. November 2020 geplant.
Ich fahre jetzt am anderen Ufer der Ems wieder zurück in Richtung Leer. Der Kilometer 31 wird gerade passiert. Ziemlich gerade Strecke, links das flache Land und rechts der Deich. Die Grünpflege wird sehr gründlich von den dick eingemummelten Angestellten der örtlichen Schafszunft übernommen. Da guckt auch kein Schaf hoch, nur nicht ablenken lassen, der Job muss erledigt werden. Morgen ist der nächste Abschnitt dran.
Vorbei an dem verträumten Weener, dem Städtchen mit der tausendjährigen Geschichte, komme ich zum Aussichtsturm Coldam, der leider geschlossen ist. Aber etwas weiter finde ich einen anderen Platz zum Ausruhen. Ich schaue mich um und genieße die Ruhe und die Weite. Schön ist’s!
Knapp 42 Kilometer plus einige hundert Meter in Papenburg liegen hinter mir, ich bin wieder in Leer am Rathaus. Die Zeit ist mit rund sechs Stunden seit dem Start auch schon weit fortgeschritten. Ich fühle mich etwas ausgepumpt, aber zufrieden. Die Tour mit dem Namen „Meyer Werft Papenburg – Altstadt Leer Runde von Papenburg“, die ich um den Abstecher in eben diese Stadt erweitert habe, ist durchaus empfehlenswert.
Baue Blume schreibt auf Twitter:
Leer - meine Geburtsstadt und in Papenburg habe ich einige Jahre gelebt. Danke für den Erlebnisbericht mit den tollen Fotos.
Grad60.com:
Vielen Dank für das Lob und ja, es war wirklich eine tolle Reise!
_____
Park der Gärten
„Der Park der Gärten ist eine Dauergartenschau und Deutschlands größte Mustergartenanlage im Ortsteil Rostrup der Gemeinde Bad Zwischenahn im niedersächsischen Landkreis Ammerland“, so berichtet Wikipedia von meinem heutigen Ausflugsziel. Und dieser ein wenig nach Jim Knopf klingende Landkreis liegt noch in Ostfriesland. Also los, da will ich hin; gesagt, getan.
Am Eingang empfängt mich ein drohend dunkler Himmel und die Prognose, in einem wunderschönen Parkgelände herrlich nass zu werden. Sei’s drum, vielleicht habe ich ja Glück. Gleich am Eingang steht der 20 Meter hohe Aussichtsturm. Er ist eine interessante Konstruktion aus Stahl und Lärchenholz mit zwei gegenläufigen Wendeltreppen. Von oben hätte ich einen guten Überblick über das ca. 14 Hektar große Gelände. Der Info-Broschüre kann ich entnehmen, dass der Park sich aus 44 Mustergärten, 37 Pflanzensortimenten und 15 weiteren Beiträgen zusammensetzt. Ich erspare mir aber den Weg nach oben, ich will die noch regenfreie Zeit für den rund drei Kilometer langen Rundgang nutzen.
Nachdem ich einige Pfade rechts und links hinter mir gelassen habe und staunend durch die Gegend gelaufen bin, bleibe ich vor einem riesigen Blumenbeet mit sagenhaften, grell bunten Blütenkompositionen stehen. Wenn ich den Standort auf meinem Plan richtig identifiziere, bin ich bei der Staudensammlung „Indian Sunset“ gelandet. Wie bekommen die das hin, die Gärtner und Gärtnerinnen? So dermaßen perfekt aussehende und auch im Detail fehlerlose, geradezu wie künstlich wirkende Pflanzen wachsen zu lassen? Ich weiß es nicht! Was ich aber weiß, ist, dass dieser Anblick bei meiner Frau wieder ungeahnte Ideen sprießen lässt, die letztendlich unendlich viel Arbeit bedeuten.
Ich schlendere weiter. Ich bemerke, dass es auch viele aufwändig gestaltete Wasserflächen zu bewundern gibt. Wirklich toll und pfiffig gemacht. Mal kombiniert mit exotischen Wasserpflanzen oder mit einem Solitärgewächs mittendrin oder orchestriert mit einem Gegenstand, der da eigentlich nicht hingehört. Das gibt schöne Motive.
Auch die Seerosen freuen sich über eine Spiegelkugel.
Ich biege um die Ecke und gehe eine kleine Anhöhe hinauf. Oben empfangen mich schwarze Silhouetten von Hupfdohlen, die mit bunten Tüchern und anderem Schnickschnack eine Partyszene symbolisieren sollen. Aha, interessant. Nicht so mein Ding, aber auffällig.
Ganz in der Nähe liegt ein Skulpturengarten, in dem auch eine korpulente Wassernixe mit Pünktchenbadekappe vom Startblock hopsen will. Ich kann nicht anders, ich muss mich daneben stellen.
Rund 20 Minuten später, das Wetter ist besser geworden, es wird wohl nicht mehr regnen, verweile ich an einer Wiese, auf der in der Mitte ein Blumenbeetdampfer auf mich zuzukommen scheint. Mit seinem spitzen Bug durchschneidet er das Grün. An Bord sind Pflanzen aller Art, die geschickt von außen nach innen höher wachsend das Profil des Beetes bilden. Auch hier kniet mein innerer Gärtner ehrfürchtig nieder und flüstert mir zu: „Das kannst du nicht, niemals, vergiss es!“
In Ostfriesland und offensichtlich nicht nur an der Küste, ändert sich das Wetter wie es will und zwar dauernd. Statt Regen brennt der Stern jetzt vom blauen Himmel. Es wird wärmer. Aber doch nicht so richtig. Ein leichtes, in Nuancen auch mal kälteres Lüftchen umwebt nach wie vor meinen Körper. Die Jacke bleibt also besser an. Nach rund 90 Minuten Herumlaufen gönne ich mir eine Pause an einem schattigen Platz. Auch davon gibt es viele, liebevoll gestaltete, kleine Oasen.
Kurz vor dem Ende der Tour komme ich am Koi-Zen-Garten vorbei. Und selbstverständlich gibt es hier, wie der Name schon sagt, auch Kois und nicht zu wenige. Sie scheinen hungrig zu sein. „Ich habe nichts“, sage ich laut und denke mir aber, dass Gefangenschaft auch für Fische nichts Angenehmes ist.
Auf dem Weg Richtung Ausgang mache ich noch einen Abstecher zum Rosengarten. Der Königin unter den Blumen ist hier ebenfalls ein eigener Garten gewidmet. Über 2.500 Rosen in 50 Sorten gibt es. In symmetrische Beete gegliedert kreuzen sich die Hauptwege in der Mitte und treffen sich an einem vertieften Sitzplatz. Ich schreite durch einen Rosenbogen und freue mich zum wiederholten Mal, diesen Ausflug gemacht zu haben. Was für ein schön angelegtes Gartenensemble.
Ich drehe mich um, gehe zum Hauptweg zurück und entdecke auf einer Wiese eine Pflanze mit unglaublich großen Blättern, die zudem an der Oberfläche sehr weich und zart aussehen. Am liebsten würde ich mich drauflegen. Geht natürlich nicht, dazu bin ich zu groß. Aber ich kann mir vorstellen, den Kopf abzulegen. Nur mal so, aus Spaß.
Der Rundgang hat mich gefordert. Eine gewisse körperliche und, wegen der vielen Eindrücke, auch geistige Erschöpfung macht sich bei mir breit. Grundsätzlich akzeptabel, denke ich. Aber auf den letzten Metern zum Ausgang steht nun wieder, dieser Turm, herausfordernd und mich irgendwie verspottend vor mir. „Na, du Schlaffi, wie wäre es jetzt mit uns beiden?“, scheint er mich zu fragen.
Ich schaue an ihm hoch, denke mir, dass ich nicht will und auch nicht muss und sage laut: „Nee, nee, mein Lieber, heute nicht, ich bin einfach zu hohl, beim nächsten Mal vielleicht!“
_____
Von Aurich bis zur Pünte
Die Kommot-Tour „Selbstfahrer Fähre – Pünte Runde von Südbrookmerland“ erweitere ich um den Start und Zielpunkt Aurich, da ich mir die Schönheiten dieses Ortes nicht entgehen lassen will. Damit wird die Strecke auf 42,2 Kilometer erweitert, was bei pausenloser Fahrt zwei Stunden und 40 Minuten dauern könnte.
In Auerk, Aurich auf Platt, am Startpunkt also, schaue ich mir die Gegend an und stelle fest, dass hier im Schlossareal nach der wechselhaften Geschichte mit Häuptlingssitz der Cirksena sowie Residenz der ostfriesischen Grafen und Fürsten nunmehr die Richter am Landgericht und am Amtsgericht im fürstlichen Ambiente urteilen dürfen. Schick, wirklich nett. Ob hier die Täter etwas milder bestraft werden?
Ich lese nach, dass die Stadt Aurich um 1200 mit dem Bau der Lambertikirche zu Ehren des Heiligen Lambert, den um 703 getöteten Bischof von Maastricht, durch Graf Moritz von Oldenburg gegründet worden sein soll. Jedenfalls wird Aurich 1276 erstmals im Brokmerbrief, einer friesischen Rechtsaufzeichnung, erwähnt. Ganz schön lange her, finde ich. Ungefähr genauso lange wird’s wohl schon die Kneipe „Zur ewigen Lampe“ geben, an der ich in der Altstadt lande. Auf jeden Fall ist es die älteste Aurichs. Eigentlich wäre eine kleine Stärkung nicht falsch, aber das Raucherschild hält mich ab.
Es gibt einiges Schönes zu sehen hier, ich lasse mich durch die Stadt treiben, einfach so. Bin im Park, am Kriegerdenkmal, bei den Enten; auch einen Ehrfurcht gebietenden Gottesacker schaue ich mir an. Bei der Von-Jhering-Straße liegt der Friedhof Aurich. Besonders prächtig finde ich die ins Unendliche gehende Mittelachse, die auf das Mausoleum zuführt, in dem sich seit 1880 die Ruhestätte der bedeutenden Grafen- und Fürstenfamilie Cirksena befindet.
Ich drehe mich um und stoße fast an die Motorhaube eines Autos, das hinter mir steht und das ich nicht gehört habe, weil der Motor aus ist. Für mein Foto habe ich einige Zeit gebraucht und die Autofahrerin hat nicht gehupt, sondern einfach gewartet. Das nenne ich ostfriesische Gelassenheit und Höflichkeit. Ich bedanke mich und starte mit der Tour in Richtung Moordorf.
Die Strecke zieht sich ziemlich ereignislos dahin; wenigstens ist der asphaltierte Radweg in Ordnung. Im Moordorf nach insgesamt fünfeinhalb Kilometern kommt von links die Rundtour zurück, bis hierhin liegen beide Strecken zusammen. Ich düse geradeaus weiter und kann nach weiteren drei Kilometern nach links in die Felder abbiegen, runter von der Hauptstraße. Jetzt wird es hübsch. Durch Wiesen und vorbei an neugierigen Kühen geht die wilde Fahrt. Bei einer besonders aufdringlich glotzenden Kuhgruppe mache ich dann mal Halt und sage: „Guten Tach!“ Das macht Spaß.
Zwischen Kilometer 11,8 und 12,4 liegen Hin- und Rückweg wieder zusammen, dann trennen sie sich endgültig. Ich fahre links herum, entgegen dem Uhrzeigersinn und erreiche den weltbekannten Urlaubsort Bedekaspel am Großen Meer. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die aktuelle Einwohnerzahl von rund 400 in der Hauptsaison bei annähernder Vollbelegung der Wochenendhäuser, Ferienhäuser, Wohnwagen- und Campingplätze mindestens auf das Zehnfache erhöht. Und so ähnlich sieht es hier auch schon aus, alles voller Menschen. Ich schlängele mich durch die Badegäste am Strand und fahre anschließend auf der Wiegboldsburer Riede bis zur Handfähre Pünte. Das ist ein Schiff ohne Motorantrieb und damit ein spezieller Prahm, lese ich nach. Soso, was man nicht alles lernt hier in Ostfriesland. Jede Pünte hat zwei Kurbelscheiben bzw. Handräder zum Antrieb der Fähre. Auf der Bedienungsanleitung steht auch noch, dass man immer nur die Kurbel, die sich an der in Fahrtrichtung liegenden Seite der Pünte befindet, benutzen soll. Logisch, oder? Na, dann werde ich mal.
Nach Erfolgreicher Anlandung und Ausschiffung passiere ich bei Kilometer 16,9 das Bootshaus Bedekaspel. Wie gern würde ich einkehren. Aber es ist schon später Nachmittag, ich habe ganz schön getrödelt und es liegen noch rund 25 Kilometer vor mir. Daher nur ein Blick von der Brücke auf die malerisch daliegende Gaststätte.
Kilometer 21 und die nächste Pünte will bedient werden. Bei dieser Tour gibt es zwei dieser Selbstfahrerfähren. Auch beim zweiten Mal ein Highlight. Die Tour führt nun bei Kilometer 23,8 am Aussichtsturm am Großen Meer vorbei. Wegen der Zeitnot radle ich ohne ihn zu besteigen vorbei und trete in die Pedale. Das passende Foto zwecks Dokumentation borge ich mir von JR56, der hoffentlich nichts dagegen hat.
Bis zur Zieleinfahrt in Aurich sind es noch reichlich Kilometer und es ist nicht mehr lang hin, bis die Sonne ihre allabendliche Liaison mit dem Horizont beginnt. Daher ist Stoff geben angesagt. Das funktioniert auch auf der Auricher Straße sehr gut. Asphaltiert und im guten Zustand macht sie mir keine Probleme. Es ist tatsächlich schon fast dunkel, als ich eintreffe. Diese Tour hat unterwegs einige langweilige Phasen, ist aber dennoch zu empfehlen und man sollte nicht zu spät starten, auch wenn 42,2 Kilometer nicht viel sind. Gerade in Aurich gibt es eine Menge zu sehen und unterwegs locken einige Locations mit lohnenden Zwischenstopps.
_____
Kleinbahnwanderweg mit Mühlen
Bürgermeister Arno Schilling wäre stolz auf mich, wenn er wüsste, dass ich seinen schönen Ort Bad Zwischenahn schon wieder besuche. Vor zwei Tagen war ich hier im Park der Gärten und heute will ich eine kleine Rundtour von hier aus starten. Sie wird etwas über 30 Kilometer lang sein und ohne Pausen knapp zwei Stunden dauern.
Der Startpunkt liegt direkt am Bahnhof und die Strecke führt mich in Richtung Norden ein wenig kreuz und quer entgegen dem Uhrzeigersinn im Bogen bis zur Mühlenstraße. Hier überquere ich die Gleise und verlasse langsam und gemächlich dieses Örtchen. Abgesehen vom Ende des Rundkurses in Bad Zwischenahn, muss ich mindestens noch ein drittes Mal hierher zurückkommen, um mir das Zwischenahner Meer anzuschauen, das ich nördlich hinter mir lasse, denn das soll ja auch eine Reise wert sein.
Nach etwas mehr als zweieinhalb Kilometern geht es nach rechts von der Edewechter Straße in die Botanik ab. Vorbei an gepflegten Villen und duftenden Feldern radle ich vergnügt durch die Landschaft. Steigung gleich Null, denn das Land ist flach, sehr flach. Auf dieser Tour sind genau zehn (!) Höhenmeter zu überwinden. Ob ich das schaffe? Mal sehen. Ich strample, was das Zeug hält.
Nach insgesamt siebeneinhalb Kilometern liegt nach rechts quer ab die Querensteder Mühle. Ich bin ja immer noch im Ammerland und laut Website dieser Mühle kann ich hier dasselbige Flair genießen. Und das schon seit 1802, berichtet der historische Blog auf der Internetseite. Ich mache Stopp und steige ab. Interessant nachzulesen ist auch, dass ich wie beim Leuchtturm Pilsum schon wieder vor einer Filmkulisse stehe. 1934 wurde hier „Krach um Jolanthe“ gedreht. Wobei Jolanthe eine Sau ist, die wegen Steuerschulden gepfändet wird, aber dann unerklärlicherweise aus der Zelle verschwindet. Ich schaue zu den Windrädern hoch, versuche die Atmosphäre und die Ausstrahlung wirken zu lassen und denke mir: „Ein schönes Stück handwerklicher Arbeit, nett anzusehen und saumäßig gut, sozusagen!“ Ich kehre um, denn dies war nur ein kurzer Abstecher von der Route, schaue zurück und brenne die Mühle auf die Chipkarte.
Es geht weiter, meistens auf asphaltierten Fahrradwegen, rund zwei Drittel der Tour sind sehr komfortabel. Nach 16 Kilometern führt der Weg nach links in westlicher Richtung entlang des Küstenkanals für ein paar hundert Meter, um dann zurück in nördlicher Richtung zu führen. Vorher riskiere ich aber noch ein Blick von der Kleinbahnbrücke.
Eisenbahnstrecken wurden ja immer ohne Kurven und Gefälle gebaut. So auch hier. Ich folge nun dem Kleinbahnwanderweg, neben der stillgelegten Bahn. Schnurgerade und flach, kaum Gegenverkehr. Sollte es doch mal zu einer mit „Moin, moin“ quittierten Begegnung kommen, kann es allerdings auch mal eng werden. Aber sonst ist alles sehr entspannt, auf den Weg muss ich mich nicht besonders konzentrieren, so radle ich dahin und freue mich des Lebens. Zweimal muss ich zwar wegen Baustellen kleine Umwege fahren, der Weg führt aber immer wieder zur Kleinbahn zurück. Unter dem Helm juckt jetzt der Schweiß, denn die Sonne ist inzwischen stark am Brennen und so ich genieße den durch dichtes Laub geschützten Asphaltradweg an den Gleisen.
Nach insgesamt 27,6 Kilometern bin ich an der Ekerner Mühle. Wieder ein stolzes Zeichen handwerklicher Mühlenbaukunst. Was ich hier sehe, ist allerdings die Restauration einer ursprünglich im Jahre 1865 erbauten und 1910 völlig abgebrannte Mühle. Sie wurde zwar im gleichen Jahr neu errichtet, aber in den Kriegen wieder stark beschädigt. Am 23. November 2000 fand die Schlussabnahme nach Wiederherstellung durch das Bauamt des Landkreises Ammerland statt. Verantwortlich für diesen sehr aufwändigen und teuren Kraftakt ist der am 2. Oktober 1992 gegründete Mühlenverein Ekern.
Die alten Mühlsteine stehen angelehnt an der Hauswand. Darüber hängt ein Schild mit den Erklärungen zur Finanzierung. Toll, was die Europäische Union also so fördert. Das finde ich gut. Kultur muss erhalten bleiben oder wiederhergestellt werden.
Nach einem ausgiebigen Rundgang und zahlreichen Fotoshots, spreche ich ein Ehepaar in ihrem Vorgarten an. Sehr freundliche Leute, wie überhaupt hier im flachen Land alle sehr nett sind. Wir kommen in‘s Plaudern und finden uns sympathisch. Ich berichte von unserem Blog und händige eine Visitenkarte aus. Die Zeit fliegt dahin und ich habe mich ganz schön verquatscht. Ich mache noch ein Bild mit der Dame des Hauses, verabschiede ich mich dann hurtig und vergesse leider nach den Namen zu fragen. Verdammt! Ich hätte sie zu gern hier erwähnt. Vielleicht liest das Ehepaar ja meinen Bericht und schreibt uns: mailto:info@grad60.com
Bei meiner Einfahrt zurück im Bad Zwischenahn sind statt der rund zwei Stunden fast fünf vergangen. Ich habe mir aber auch viel Zeit gelassen und reichlich Stopps eingelegt. Und es hat Spaß gemacht. Eine wirklich sehr nette, leichte, abwechslungsreiche Fahrradtour durch das Ammerland mit dem Namen: „Querensteder Mühle - Kleinbahnwanderweg Runde von Bad Zwischenahn“
Empfehlenswert, auf jeden Fall.
_____
Klosterstätte Ihlow
Das Kloster Ihlow gibt es schon seit dem Jahr 1529 nicht mehr. In Folge der Reformation wurde es aufgelöst und anschließend abgerissen. Aber an dem einstigen Standort wurde von 2005 bis 2009 durch die Gemeinde Ihlow die frühere Klosterkirche im Maßstab 1:1 als „Archäologischer Park Klosterstätte Ihlow“ neu errichtet. Die ehemalige Zisterzienserabtei liegt etwa acht Kilometer südlich von Aurich. Das interessiert mich, da will ich heute hin.
Durch den Ihlower Wald schreitend komme ich an einer Installation der Künstlerin Monika Kühling aus Funnix vorbei, die leider gerade verstorben ist. Mit Hilfe von Bändern, Fahnen, Bannern und Tüchern in den Farben der Ostfriesischen Flagge stellt dieses Projekt das Grundgesetz der Friesischen Freiheit dar.
Ich gehe weiter und immer mehr in mich. Der Wald nimmt mich gefangen und löst in mir eine seltsame Stimmung aus. Ich kann sie nur schwer in Worte fassen. Ich schaue mich um und lasse den Blick weit werden. Der Evolution gewaltige Sprache wird hier vor meinen Augen und meinem Herz wieder einmal überdeutlich: mal brausend, mal flüsternd, mal tiefstill. Ich bewundere dieses Werk, das Werden und Vergehen des Waldes, die Bäume, die Pflanzen überhaupt. Aber das Wunder der Natur wissen viel zu wenige Menschen zu schätzen.
Nach der nächsten Wegkreuzung, der ich nach links folge, komme ich zur eigentlichen Klosterstätte Ihlow. Was die Gemeinde Ihlow hier errichtet hat, ist absolut bemerkenswert. Kernstück der Anlage ist die von dem dänischen Architekten Finn Larsen entwickelte bundesweit einzige Nachbildung einer Kirche in Originalgröße. Stahl und Holz bilden Pfeiler, Gewölbe sowie Dachreiter im Bereich der Apsis und des linken Querhauses nach. Insgesamt erreicht dieses Monument eine Höhe von nahezu 45 Metern.
Die Dimensionen des einstigen Sakralbaus: fast 68 Meter Länge und im Querhaus rund 35 Meter Breite. Am Eingang informiere ich mich die Details.
Im Inneren des ehemaligen Kirchenraumes sind die Pfeiler rudimentär nachgebaut. Umrahmt wird das Gelände von immergrünen, begehbaren Mauern, die aus mit Efeu bewachsenen Stahlgitter-Matten bestehen. Sie stellen die Wände der ehemaligen Backsteinkirche nach.
Ich gehe durch die hintere imaginäre Wand der Kirche, steige über einen kleinen Zaun, um einen schönen Blickwinkel auf die Konstruktion zu haben. So richtig will mir das nicht gelingen. Sie ist einfach zu groß.
Das Kloster "Schola Dei" hatte natürlich auch einen Garten, der neu angelegt bewundert werden kann. Neben vielen Kräutern, Stauden und bekannten Nutzpflanzen gibt es auch tolle Blumen mit sehr schönen Blüten.
Wer über die acht verschiedenen Kräuterpfade wandelt, kann viel über die Wirkung und Bedeutung der Pflanzen im Mittelalter erfahren. Ich verweile einige Zeit in dem nett und informativ angelegten Klostergarten. Bevor ich ihn verlasse, komme ich zu einem Themenbeet mit Gruselfaktor. Hier gibt es nur giftigen Gewächse, zum Beispiel den Eisenhut. Nach der griechischen Mythologie entstand diese Giftpflanze, als der Zeussohn Herakles den Wächter des Totenreiches, den dreiköpfigen Hund Zerberus, aus der Unterwelt auf die Erde hinaufbrachte. Vom Tageslicht geblendet, geiferte das Ungeheuer giftigen Speichel. Er fiel zur Erde und aus ihm wuchs der Eisenhut, dessen Gift alles Lebende ins Reich der Toten befördern kann.
Zum Schluss noch einen Blick über die Anlage, die mir als Rekonstruktion eines ehemaligen Klosters mit gewaltiger Kirche außerordentlich gut gefallen hat. Das ist doch mal eine ganz neue Idee, archäologische Funde dem Betrachter näher zu bringen. Am Ausgang schüttle ich trotz Corona-Krise dem Kuttenmönch die Hand. Ich glaube aber ziemlich sicher, dass dies ungefährlich ist.
_____
Ditzum und Dollart
Heute ist der letzte Tag mit der letzten Tour. Sie wird direkt vor der Tür des Ferienhauses in Ditzum starten. Sie heißt deshalb auch so: Windmühle Ditzum – am Dollart Runde von Ditzum. Nach de Froo Komoot soll sie 44,6 Kilometer lang sein und mindestens zwei Stunden und 42 Minuten dauern. Wie gehabt, ich werde mir Zeit lassen.
Aus der Eschenstraße biege ich nach rechts ab und bleibe namenstechnisch in ebendieser Straße, die hier so ein wenig durch die Gegend mäandert. Ich hätte auch nach links abbiegen können und das Ditzum-Bunder-Sieltief mittels Nutzung der Lüttje Brügg überqueren können, die so herzallerliebst in der Morgensonne daliegt. Aber de Froo im Smartphone will das nicht.
Mühlen gibt es ja hier im flachen Land wie Sand am Meer. Bevor ich Ditzum nunmehr verlassen soll, passiere ich nach wenigen hundert Metern noch ein besonders schönes Exemplar eener Möhlen, wie der Plattdeutsche seggt.
Nach dem Verlassen unseres temporären Heimatortes und weiteren vier Kilometern überquere ich schon wieder dieses Sieltief und fahre an einem Café vorbei, das mich vom Namen her an ein heutiges Etappenziel erinnert, nämlich die niederländische Grenzregion.
Bei Kilometer 22,9 komme ich gerade rechtzeitig zur Trauung. In der mittelalterlichen Häuptlingsburg im Steinhaus Bunderhee im Ort Bunde bietet das Turmzimmer des Wehrturmes aus dem 14. Jahrhundert einen würdigen Rahmen für eine Eheschließung in besonderer historischer Umgebung.
Der Standesbeamte Krause erwartet das Brautpaar, das eine Ecke weiter im Auto die letzten Minuten zählt. Hier zu stören verbietet sich von selbst, ich verschwinde.
Die heutige Tour scheint mir voller besonderer Ereignisse und Motive zu sein. Auf einem Feld wirbt irgendwer mit einem aufgeschlagenen Frühstücksei und einer aufgespießten Kartoffel für was auch immer. Seltsam.
Die Strecke führt nunmehr direkt ins europäische Ausland, in die Niederlande. Auf der Neuschanzer Straße, bei Kilometer 20 ist es soweit. Ich überschreite die Grenze und fahre weiter bis nach Bad Nieuweschanz, um dort im Café Reiderland einen Stopp einzulegen. Ein sehr urig daher kommendes Ambiente empfängt mich. Nicht unangenehm, aber etwas strange. Nach einem Grieks Salade, von einer sehr freundlichen Bedienung serviert, entspanne ich noch etwas auf dem üppigen Sofa, bevor es wieder auf die Straße geht.
Die Westerwolder Aa, ein Grenzfluss, wird von mir überquert und linksseitig begleitet. Nach einigen Kilometern erfreuen mich wunderschöne Sonnenblumen auf einem Feld, die genauso wie ich unter der heißen Sonne leiden. Es sind so um die 32 Grad im Schatten, den ich nicht habe.
Der Weg führt mich direkt zur Nordsee, zum Dollart, der etwa 90 km² großen Bucht im Einmündungsbereich der Ems. Die ist aber weit weg. Hier, wo ich jetzt bin, fließt die Westerwolder Aa ins große Meer und gibt ihre Existenz auf, ein für alle Mal. Damit dies geregelt passiert, gibt es eine Schleuse. Wie das so ist mit Schleusen, werden große und kleine Schiffe abgefertigt. Manchmal auch ganz kleine.
In der Ferne, Richtung Küste, sehe ich den Aussichtspunkt Kiekkaaste, von dem ich schon mal gehört und gelesen habe. Es handelt sich hierbei um ein Beobachtungshäuschen auf Stelzen. Aber für einen Besuch habe ich heute weder Ruhe noch Muße. Ich steige wieder auf und weiter geht’s.
Und ich verlasse das berühmte Gouda-Nachbarland und schaue auf meine Streckenanzeige. Ich habe 32 Kilometer hinter mich gebracht, rund 12 fehlen noch. Ich glaube, was jetzt folgt, wird ziemlich langweilig. Links der Deich, rechts das Wymeerer Sieltief und nichts als Strecke, immer geradeaus und abgesehen vom Schutzwall gegen die Fluten flach wie alles hier.
Während die Gedanken im Kopf abschweifen und die Beine von allein arbeiten, springt plötzlich runter vom Deich kommend ein voll dick bewolltes Riesenschaf auf den Radweg. Glücklicherweise bin ich noch weit genug weg und nicht besonders schnell. Es kümmert sich auch gar nicht um mich, sonders marschiert weiter zur Wiese.
Es zieht sich, wie befürchtet. Der gnadenlose Stern über meinem behelmten Schädel gibt alles. Vielen Dank dafür auch noch mal. Aber lieber Sonne als Regen. Nach schier endlosen Kilometern am Deich entlang, deren gut ausgebaute Fahrbahn leider alle paar hundert Meter durch Schafschutzzäune mit Gittertore unterbrochen ist, geht’s östlich zurück nach Ditzum, dem Startpunkt. Nur noch wenige Minuten, dann bin ich am Hafen und voll zufrieden. Eine zu Dreivierteln abwechslungsreiche Tour, nur der Rest war etwas öde.
Ditzum hat ja nur etwa 650 Einwohnern, ist aber mit einer Fläche von 20,4 km² das zweitgrößte Dorf der elf Jemgumer Ortsteile. Wegen seiner abseitigen Lage in der nordwestlichsten Ecke des Rheiderlands ist es auch als „Endje van de Welt“ bekannt. Wenn das Ende der Welt so hübsch ist wie Ditzum, dann ist mir nicht bange. Ein rundherum nettes Dörfchen mit viel Atmosphäre, die mir zum Abschied noch einmal so richtig deutlich wird. Das liegt aber bestimmt auch an dem schwindenden Tageslicht, denn es ist schon spät geworden.
Liebe Leserinnen und Leser unseres Blogs, dies war der Bericht über eine Fahrradreise durch einen kleinen Teil von Ostfriesland. Wir sind immer an Reiseberichten aller Art interessiert. Deshalb schreibt uns, wir lesen alles: info@grad60.com