Keramikfiguren zum Schmunzeln
Coro und Na(na) sind zwei Frauen, denen man ein gewisses Gewerbe unterstellen könnte, mache ich aber nicht. Sie sind offensichtlich gelangweilt wegen einer verordneten Corona-Quarantäne und schlagen die Zeit tot, indem sie aus dem Fenster schauen.
Christiane hat diese beiden Keramikfiguren ziemlich zum Anfang der ersten Pandemiewelle erschaffen und sie sind aktueller denn je, leider. Wir beide halten einen noch gerade erlaubten Minimalabstand und unterhalten uns ohne Maske, denn wir sind beide negativ getestet worden. „Was hat Sie eigentlich aus dem schönen Wernigerode im Harz nach Schönwalde in Brandenburg verschlagen?“, beginne ich mein Interview mit Christiane Schulze, deren Keramikfiguren Insidern in Falkensee und Umgebung schon länger bekannt sind. Ich möchte von ihr wissen, was sie antreibt, was sie fühlt, wo sie ihre Ideen herhat und wie das Procedere ist.
„Eigentlich wollten mein Mann und ich bis ans Meer, an die Ostsee. Aber auf dem Weg dorthin hat es uns hier sehr gut gefallen und wir dachten, warum eigentlich nicht Schönwalde. Und so sind wir jetzt schon acht Jahre hier.“ Wir schlendern durch den Garten und zwischen zwei Sträuchern entdecke ich einen frei hängenden Mann mit nacktem Oberkörper, der irgendwas Sportliches zu machen scheint. „Sie haben mir erzählt, dass Sie eigentlich mal Sportlehrerin waren, jetzt aber als Motopädin arbeiten. Könnte das ein Patient von Ihnen sein?“
„Nein, nicht wirklich“, lacht Christiane. „Ich arbeite mit körperlich eingeschränkten Menschen. Da geht es um psycho- und soziomotorische Verhaltensauffälligkeiten und nicht um Sport, auch wenn diese Behandlungsmethode Mitte der 1950er-Jahre mal von Sportpädagogen entwickelt wurde.“ Frau Schulze strahlt mich an, sie ist geradezu überwältigend freundlich. Ich wage daher, nachzuhaken: „Ich könnte mir vorstellen, dass Sie beim Umgang mit Behinderten das Arbeiten mit Ton gelernt haben? Weil es vielleicht gut geeignet ist, Wechselwirkungen zwischen Körper und der Psyche zu beeinflussen?“ Ich komme mir richtig schlau vor mit meiner Frage, aber auch etwas aufdringlich.
Christiane bleibt gelassen: „Das ist schon richtig, so ähnlich war es damals. Und ich habe gemerkt, dass es mir unendlich viel Spaß macht, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Und ich bin dabeigeblieben.“ Wir verweilen an einem Ensemble, bei dem sie verschiedene Materialien verwendet hat. Die beiden Köpfe, die Pflanzen, Holz und Metall passen perfekt zueinander. Es ist überaus dekorativ und ich verstehe, was Frau Schulze meint.
Die Gesichter, die in ihrer Werkstatt entstehen, sind sehr detailgetreu. So wie das Antlitz einer älteren Frau, bei der sich das ganze Leben tief ins Gesicht eingebrannt hat. Sie scheint auf etwas zu schauen, was sie sonderbar findet, was sie nicht so richtig einordnen kann. Aber ihr Blick sagt auch, ich kann damit umgehen, ich bin selbstbewusst. Und sie schaut in die lachende Sonne und denkt vielleicht, dass das Leben trotz des sich nähernden Lebensabends immer noch viele schöne Seiten hat.
„Ich habe einige Interessenten und Interessentinnen, die Keramikfiguren von sich selbst anfertigen lassen. Das ist natürlich eine besondere Herausforderung. Und manchmal geht es bei Auftragsarbeiten auch um eine bestimmte Situation, ein Ereignis, eine Stimmung, die ich darstellen soll.“ Christiane zeigt mir eine Frauengruppe, die leidenschaftlich und voller Inbrunst ihr Lied in die Welt hinaus singt. Diese Lebendigkeit, diese Anmut, einfach klasse!
Je mehr ich von den Keramikfiguren zu sehen bekomme, desto mehr ist mir klar, dass hier eine Künstlerin vor mir steht, die längst die Schwelle zur Professionalität überschritten hat. „Die kann was, die ist vom Fach, da kannste was lernen!“, so hätte mein künstlerisch auch recht begabter Herr Vater die Keramikfiguren von Christiane Schulze beurteilt.
Wir wandeln durch den Garten und sie erzählt mir von ihren Kursen an der VHS Falkensee, die aktuell Corona bedingt leider nicht stattfinden. Ich frage sie, ob da auch mal Männer teilnehmen. „Nein, nie, die Kerle brauchen wohl eher etwas Handfestes, etwas Großes, so’ne Tonfigur ist denen wohl zu kümmerlich, zu klein.“ Na ja, denke ich und überlege, ob ich selbst Ton in die Hand nehmen würde? Ja, eigentlich schon, warum nicht? Vielleicht würde ich auch so einen Ziegenbock machen wollen. Keramikfiguren sind doch etwas sehr Schönes.
„Der könnte Zippo heißen. Ich habe im August diesen Jahres eine Ausstellung auf einem Bauernhof im Harz ausgerichtet. Und da gab es nicht nur einen Ziegenbock. Ich habe dafür einige Tiere hergestellt, so unter anderem eine Kuh, die aus einer Milchkanne schaut, Schafe, Hühner und sogar Schweinchen.“ Wir gehen weiter, schauen mal hier und mal dort und kommen schließlich zur kleinen Werkstatt in der Gartenlaube, wo die Keramikfiguren offensichtlich hergestellt werden.
Sie ist winzig, die Werkstatt, aber urgemütlich. Ein kleiner Ofen spendet etwas Wärme, etwas Licht scheint von außen herein, alles ist voller Dinge des Werdens, des Entstehens, ein Ort zum Wohlfühlen. „Das ist total wichtig für mich, ich muss mich rund um gut fühlen, wenn aus meinen Gedanken Figuren werden sollen.“ Recht hat sie, das kenne ich vom Schreiben, auch da muss alles stimmen. Das Drumherum, die Situation, die Stimmung, sie muss einem entgegenkommen, sonst wird das nichts.
In der Werkstatt gibt es auch manch skurrile Skulptur zu bewundern. So zum Beispiel diese Keramikfiguren mit goldenen Eiern, die in den Kronen von zwei Männern stecken. Vielleicht verwöhnte Prinzen einer Herrscherfamilie, die außer Blödsinn nichts im Kopf haben. „Was stellen die Beiden dar?“, möchte ich von Christiane wissen. „Ich habe keine Ahnung. Das sind einfach lustige Eierbecher. Es waren gerade die Tage des Offenen Ateliers in Falkensee kurz nach Ostern. Und es war einfach Spaß an der Freude, mal etwas nicht so Sinnvolles zu kreieren, weiter nichts!“
Frau Schulze nimmt jetzt einen Klumpen Ton in die Hand und zeigt mir, wie daraus eine Figur entsteht. Die Tonmasse kauft sie schon fertig in zehn Kilogramm Batzen. Sie drückt mit ihren Fingern mal leichter, mal stärker in die Masse, gibt ihr eine Form, arbeitet an etwas, was mal eine Kreatur, eine Gestalt werden soll. Interessant, wie sie das macht, ich schaue fasziniert zu. „Woran denken Sie beim Arbeiten mit dem Ton?“, frage ich sie. „An nichts, es ist wie Meditation, ich lasse meinen Geist fliegen. Die Finger müssen die Form finden, nicht meine Augen.“
Nach fast zwei Stunden ist es Zeit für mich, Frau Schultze und ihre Keramikfiguren wieder zu verlassen. Wir treten aus ihrer Werkstatt ins Freie und kommen am Brennofen vorbei. Christiane öffnet die Klappe und erklärt mir, dass nach dem Lufttrocknen des Tons der erste Brand mit Temperaturen zwischen 800 und 850 Grad Celsius erfolgt. Das nennt man Rohbrand oder auch Schrühbrand. Danach wird das Werkstück als Schrühware bezeichnet, weil man es jetzt glasieren oder mit Engobe (eine dünnflüssige Tonmineralmasse) bemalen kann. Nach Auftragen folgt der Glasurbrand, der etwas mehr Temperatur verlangt, so ungefähr 1.000 bis 1.250 Grad Celsius. Nach dem Auskühlen ist die Keramikfigur fertig.
Beim Verlassen des Grundstücks fällt mir noch eine Mülltonne auf, die einen seltenen Gast beherbergt. „Vielleicht ein unliebsamer Nachbar oder soll das die Warnung vor zu viel Müll sein?“, will ich wissen. „Ich wollte die Metalltonne, die wir nicht mehr brauchten, sinnvoll nutzen. Das soll ein Schwimmer sein, der Hilfe braucht. Deshalb auch die Badekappe!“ Ach ja, jetzt sehe ich die schwarzweiße Kappe auch. Lustig und zum Schmunzeln, diese Keramikfigur.
Wir verabschieden uns. Ich, um Etliches klüger als zuvor und voller Bewunderung für diese Künstlerin, und Christiane Schulze freundlich lächelnd, wie bei der Begrüßung. Eine tolle Frau und bemerkenswerte Keramikfiguren, die den Menschen ein Lächeln in’s Gesicht zaubern.
Zum Schluss gibt es noch ein fantastisches Video über die Metamorphose eines Klumpen Tons in einen Menschenkopf in gut einer Minute, viel Spaß beim Zuschauen und ein großes Dankeschön an Christiane Schulze aus Schönwalde in Brandenburg bei Berlin.
Wer mit Christiane Schulze in Verbindung treten will, kann ihr ein E-Mail schicken: christianeschu@gmx.de
Zu guter Letzt noch einen Hinweis an alle Künstlerinnen und Künstler, die gerne mal etwas bei uns veröffentlichen wollen: Eine E-Mail genügt und wir melden uns garantiert, versprochen: info@grad60.com
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