Alle Jahre wieder…
„Ich möchte zum Weihnachtsmarkt!“, bekomme ich zu hören. War ja klar. Wenn im Status von WhatsApp die erste Adventskerze brennt, ist es soweit. Sabine, Erika und Kerstin lassen uns teilhaben an ihrer roten, weißen und goldenen Wachsbeleuchtung. Die Lichter scheinen ein Frauending zu sein; bei Micha, Peter und Stefan dampft allenfalls ein Glühweinbecher im Bild.
„Ich möchte zum Dresdner Striezelmarkt!“, wird der Wunsch präzisiert. „Da gibt es so schöne Sachen!“ Unhörbar stöhne ich auf und denke: „Kalt, voll und kitschig; aber nun gut, vielleicht schmeckt der Glühwein“. „Aber nicht nur Glühweintrinken!“, kommt die Ansage. Manchmal bin ich überzeugt, Frauen können Gedanken lesen. Um diese Fähigkeit nicht weiter auszureizen, stimme ich dem Ausflug zu. Wenige Tage später bringt uns die Bahn in die Hauptstadt Sachsens. Wer einen Overflow dieses vorweihnachtlichen Rituals benötigt, ist in Dresden genau richtig: Neumarkt, Altmarkt, Historischer Markt…
Ein kalter Wind fegt uns entgegen und tatsächlich stoppen wir gleich zu Beginn beim Winzer-Glühwein. Soll ich ruhiggestellt werden? Das rote Gesöff ist heiß, süß und teuer und bringt mich beim Ansetzen zum Husten. Zehn Minuten später, ich habe das Pfandgeld für die leeren klebrigen Becher noch nicht richtig verstaut, höre ich: „Ich liebe Bürsten!“ Eine Besenbinderin stellt Schuh-, Küchen- und Klobürsten aus. Riesige Bürstenschlangen sollen jeden Heizkörper-Staub bändigen und langstielige Feder-Büschel auch die letzten Spinnenweben von der Decke holen. Ein Kehrbesen rühmt sich seiner Ziegenhaare und steht für 65 Euro zum Verkauf. Oha, tut bestimmt den Kuchenkrümeln gut, mit etwas Niveau weggekehrt zu werden. Anerkennend streichelt ihre Hand über die Borsten, der Spontankauf bleibt zum Glück aus.
Am Nebenstand qualmt es brandig vor sich hin. Räuchermännchen aus dem Erzgebirge glubschen mit Pfeife im Mund vom Regalbrett herunter. Ich frage mich, wer holt sich diesen Gestank ins Haus? „Aber schön sehen die schon aus…“ Ich sage lieber nichts und bleib stoisch in der zweiten Reihe stehen.
Eine Knoblauchwolke vom Knobi-Brotstand treibt uns weiter und wird abgelöst von einem Käsegeruch, der spitzenmäßig durch die Plauener Spitze zieht. Ein ganzer Stand mit Häkeldeckchen, -anhängern und -läufern, durchdrungen vom Duft des schmelzenden Raclette von nebenan. Ein duftend schönes Weihnachtsgeschenk für die grantelige Tante. Haben wir nicht und so bleibt uns nur die Frage: „Wer kauft so was?“
„Wir müssen spiralförmig die Gänge ablaufen, damit wir nichts verpassen“. Mein granteliges „Aber das ist doch immer das Gleiche“ wird mit einem Bio-Glühwein beschwichtigt. Mmhh, nicht so süß, dafür fruchtig und würzig, wärmt das Getränk den Bauch und die Blutbahn.
Wenige Schritte weiter glitzern Schneeflocken in Christbaumkugeln und gläserne Weihnachtsbäumchen kämpfen mit blitzenden LEDs. Glashirsch oder lieber Rentier? Die Augen schmerzen in dem gleißenden Kitschinferno.
Das hält auch die größte Weihnachtsmarkt-Begeisterte nicht aus und ist bereit für einen weiteren Stopp. Der „Weiße“ will schließlich auch probiert sein. Fruchtig, sssaftig, juuuut. Der kalte Wind ist weggeblasen. Ich entdecke einen grünen Weihnachtswichtel zwischen seinen Schwipp-Bögen. Er preist gerade ein kugeliges Räuchermännchen an. Wie nett.
Fast hätten wir einen Gang übersehen. Zum Glück bemerke ich das noch rechtzeitig beim Bewundern der Budendekorationen. Hier leuchten Sterne, glühen Weihnachtskerzen oder die bekannte 7-er Truppe lächelt vom Holzgiebel.
„White Christmas“ schallt von der Bühne herüber und summend stehe ich vor den Nussknackern. Lächeln die mich an? Ich bin mir nicht sicher, die kleinen Schneemänner tun‘s auf jeden Fall.
Ach, wie glitzernd warm die Lichter glänzen. Die Menschen strahlen, plaudern und sind glücklich. Schön, dass wir hier sind. Hatte ich das eigentlich vorgeschlagen? Im Mundwinkel glitzern noch ein paar Puderzuckerreste vom Baumstriezel, als ich meine Liebste zur Feuerzangenbowle ziehe. Heiß dampfend umströmen uns die Aromen von Zimt, Nelke und Kardamom. Unserer Einkaufsbeute, ein echter Dresdner Stollen, klemmt unter dem Arm und wir summen altbekannte Weihnachtlieder. In meinem Körper glüht der Wein, in meinem Kopf tanzt Santa Claus und oben dreht sich mit mir die Weihnachssszzz-Pyramide. „Auf zum Weihnachtsmarkt, da müssen wir bald wieder hin!“, da gibt es so schöne Sachen.