RAWeihnachtsmarkt - sehr historisch
Der gelb leuchtende Weihnachtsstern über dem Eingang könnte auch eine mittelalterliche Morgensternwaffe sein und als standesgemäße Begrüßung sollte uns mindestens ein „Gott zum Gruße, edle Herren“ entgegenschallen. Denn wir wollen heute eine Reise in die Vergangenheit unternehmen und tauchen ein ins weihnachtliche Mittelalter auf dem RAW-Gelände in Berlin-Friedrichshain. Zunächst umschauen, das ist unser Vorsatz. Doch kaum haben wir das Areal betreten, landen (trotz aller guten Vorsätze, dass wir uns erst einmal umsehen wollen) wie von Feenhand zwei wohlig warme Glühweinbecher in unseren Pfoten.
Statt kitschiger Weihnachtsmänner und asiatischem Schrottklimbim gibt es hier offensichtlich ganz viel Handwerk von Töpfer, Schmied, Schneider, Flechter, Bäcker, Tischler und auch Holzschnitzer. Die niedlichen Kinderhocker sind ein absoluter Hingucker und als Geschenk für unsere Enkelkinder bestimmt keine schlechte Wahl. Da nehme ich nachher einen mit.
Noch ein sehr ansprechendes Detail begeistert uns sofort: Statt durch schmatzenden Schlamm zu stampfen, laufen wir elegant tänzelnd auf Holzschnitzeln. Das ist gar nicht mittelalterlich, sondern sehr komfortabel.
Was ist weihnachtlicher, als den Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein zu riechen und diese leckeren Sachen verköstigen zu dürfen! Bevor wir aber ein weiteres Mal unser Blut mit Alkohol verdünnen, schauen wir uns einige Stände genauer an. Es gibt wirklich sehr viel Interessantes zu entdecken. Auch eine Menge verschiedener, leckerer Sachen zum Essen. So begeistert uns dieser Pizzabäcker, der zünftig gekleidet offensichtlich eine Menge Spaß an seinem Job hat.
Die Wege sind mit funkelnden Lichtern geschmückt und eine überschaubare Menschenmenge strömt zwischen den festlich dekorierten Ständen hindurch. Es ist gut besucht, aber es herrscht kein Gedränge, es ist angenehm. Neben den typischen Weihnachtsdüften liegt über allem der Geruch von Holzfeuern, denn alle paar Meter stehen Feuerkörbe, die nicht nur toll aussehen, sondern auch wärmen.
Überall um uns herum hören wir fröhliche Weihnachtsmusik und das Lachen von Kindern, die sich begeistert auf den kleinen Karussells vergnügen. Ich hatte gehofft, „Wham“ dieses Jahr entfliehen zu können, aber dann erwischt es mich doch: „Last Christmas I gave you my heart, but the very next day you gave it away ...“ Das Herz sollte man auch da lassen, wo es ist, das könnte sonst tödlich enden. Ich versuche, dem Song reitend zu entkommen.
Die Stände sind wahrhaftig liebevoll dekoriert und die Auswahl variantenreicher Dinge ist schier endlos. Und es ist schwer, sich zu entscheiden, wo man zuerst hinschauen soll. Im Zelt von in.Zen.meditativ bleiben wir etwas länger. Hier heißt es: „Finde dein Zen. Bringe Ruhe und Entspannung in dein Leben.“ Freundlich lächelnd erklärt uns die Meisterin, was sie so anbieten. Es ist schwer zu widerstehen, nicht gleich mehrere dieser einzigartigen Stücke mit nach Hause zu nehmen.
Wir ziehen weiter. „Eine Feuerzangenbowle ist keine Bowle, sie ist ein Mittelding zwischen Gesöff und Hexerei“, zitiert Thomas aus dem Heinz Rühmann Film. „Und du meinst, das sollten wir mal überprüfen?“, frage ich nach. „Aber nur einen weenzigen Schlock“, antwortet Thomas. Okay, wir sind uns schnell einig. Flugs wird der mittelalten Maid hinterm Tresen die entsprechende Order erteilt.
Im Jahr 2002 schlossen sich Gerald Schroff und Professor Dr. Ulf Stahl zusammen, um die alte Likörfabrik in der Seestraße 13 in Berlin-Wedding wieder zum Leben zu erwecken. Thomas hat sie vor Jahren schon mal besichtigt und befunden: „Was für ein Fusel”. Warum das nicht negativ gemeint ist, erfahrt ihr in diesem Artikel. Sie heißt jetzt MXPSM und wir stehen vor ihrer Bude hier auf dem Weihnachtsmarkt. Schön haben sie ihren Stand aufgebaut und das Angebot an Hochprozentigem ist unglaublich. Am liebsten würde ich etwas kaufen; aber mein Schnapsschrank zu Hause ist schon so voll...
Wir schlendern weiter. Es ist jetzt richtig dunkel und es wird voller. Glühwein und Bowle und zwischendurch noch ein heißer Kakao mit Schuss wirken. Ich schwebe nur noch durch die Reihen. Alles um mich herum ist plötzlich viel unmittelbarer, viel intensiver, geradezu unheimlich. An einem Stand mit Kunstwerken aus Metall bleiben meine Augen an einem Medusenhaupt hängen. Wie die mich anstarrt! Ich fühle mich hypnotisiert.
Der Besuch auf einem Weihnachtsmarkt ist nicht nur eine hervorragende Gelegenheit, einzigartige Geschenke zu finden, sondern ist auch immer eine Reise durch eine festliche Welt voller Traditionen und Gemeinschaften. Und dieser hier auf dem RAW-Gelände ist halt nicht der übliche kitschige Konsummarkt. Er ist anders. Und er ist mit vielen liebevoll gestalteten Details versehen, wie diese kleine Laterne auf dem Holztisch.
Wir sind schon fast so weit, die Schritte Richtung Ausgang zu lenken, als uns wilde Schreie und Feuerschein der besonderen Art fesseln. Zwei Burschen mit stark ausgebildeten pyromanischen Neigungen präsentieren ihre Künste.
Unwahrscheinlich gut, was die da veranstalten. Das passt natürlich hervorragend zum übrigen Mittelalterspektakel. Um den Schreck zu lindern, genehmigen wir uns noch einen heißen Met. Auf dem Weg zurück stolpert Thomas beinahe und hält sich an einem Geweih fest. Einem Geweih? Ja, auch das gibt es hier. Ist ja nicht so mein Ding als Tierfreund und Vegetarier. Aber wen es kleidet, warum nicht!
Jetzt ist aber Schluss. Das nahezu weltweit bekannte und äußerst beliebte RAW-Gelände hat uns seinen Weihnachtsmarkt im historischen Gewand präsentiert. Wir durften für schmale drei Euro, auch ohne gebügelten Kettenhemden, auf den Campus. Mittelalterflair samt Kulinarik, offenes Feuer in Körben, ganz viel Handwerk und kein Schund, Akrobatik und nettes Volk, das alles hat uns begeistert. Wir haben uns prächtig amüsiert. Tolle Atmosphäre, tolles Ambiente, sehr gut gemacht. Nächstes Jahr gerne wieder.