Canal du Midi
Canal du Midi - Ein Erlebnisbericht
Leinen los und Kurs setzen sowie immer einen Fuß Flusswasser unter dem Kiel …
Das mit den Leinen und dem Flusswasser stimmt schon, aber einen Kurs müssen wir nicht wirklich setzen. Entweder man fährt den Canal du Midi Richtung Mittelmeer (talfahrend) oder Richtung Toulouse (bergfahrend), andere Möglichkeiten für einen Kurs gibt es nicht. Zu den einzelnen Abschnitten könnt ihr durch anklicken des Namens springen:
Streckenverlauf / Es geht los / Unsere erste Schleuse / Hinein in den Tag / Vier Tage wie im Flug / Unsere Bilanz
Streckenverlauf
Wir haben uns für die Strecke Narbonne – Carcassonne (Richtung Toulouse) entschieden. Der aufmerksame Leser wird bemerken, dass Narbonne nicht direkt am Canal du Midi liegt; richtig, wir müssen zunächst zwei weitere Kanäle befahren, aber der Reihe nach.
Der Canal du Midi ist 240 km lang, wurde 1681 fertiggestellt und verläuft über den Bergsattel zwischen den Pyrenäen und dem französischen Zentralmassiv. Von Toulouse aus führt er in südöstlicher Richtung zunächst aufwärts bis zur Scheitelhaltung von Naurouze im Lauragais, dann abwärts in Richtung Mittelmeer nach Carcassonne. Hier ändert er seinen Verlauf auf Nordost bis Ost, erreicht Béziers, den Heimatort seines Erbauers Pierre-Paul Riquet, danach die Stadt Agde und mündet schließlich in den Étang de Thau. Nach Überquerung der Lagune erreichen die Schiffe, die den Kanal benutzen, die Stadt Sète am Mittelmeer. Gut 100 Jahre später (1787) entstand eine direktere Verbindung zum Mittelmeer. Diese zweigt bei etwa zwei Drittel des Weges zwischen Carcassonne und Béziers in den Canal de Jonction ab und führt weiter durch den Canal de la Robine, an dem Narbonne liegt; von dort gelangt man über Port-la-Nouvelle ebenfalls zum Mittelmeer.
Um mit einem führerscheinfreien Hausboot den Kanal befahren zu können, haben wir uns für die Firma „Le Boat“ entschieden. Warum? Die Typen von „Le Boat“ haben viel Erfahrung, sehr viele Boote aller Klassen und sollen nicht nur nett, sondern auch kompetent sein.
Unser kleines Schiff ist eine „Caprice“. Sie hat eine Länge von 12,00 m und eine Breite von 3,81 m, zwei Kabinen mit je zwei Einzelbetten und einem Badezimmer. Außerdem gibt es im Salon eine Sitzecke, die zu einem Doppelbett umgebaut werden kann. Zur Ausstattung gehören eine funktionale Küche, eine Außensitzmöglichkeit am Heck (das ist hinten) und ein oberes Außencockpit ebenfalls mit Sitzmöglichkeiten.
Die (nette und kompetente) Einweisung sowohl in die Besonderheiten des Kanalschipperns als auch in die technischen Details des Bootes überfordern uns deutlich. Aber es gibt zwei große Ordner mit umfangreichem Material zum Nachlesen. Eine kurze Probefahrt an der Anlegestelle in Narbonne schließt den Abend ab.
Es geht los
Am nächsten Morgen geht’s los. Motor starten, einmal hochfahren auf 1.000 Umdrehungen, damit der Leerlauf fixiert wird sowie die Batterien geladen werden und Leinen los machen von den Pollern an der Kaimauer. Wir, die elenden Landratten mit null Erfahrung und überwiegend dem Status der Grad60-Menschen angehörend, legen mit einem 12 m langen Schiff ab und setzen Kurs auf den nächsten Ort, Sallèles-d’Aude.
Die erste Brücke in Narbonne ist aber auch schon die erste Hürde, die Durchfahrt scheint sooo schmal zu sein. Aber das wird schon, denken wir. Also langsamer werden, die Mitte anvisieren und … wir schaffen es, die Verbindung zwischen den beiden Quai’s d’Alsace und Lorraine bleibt unbeschadet hinter uns zurück.
Weiter geht’s.
Unsere erste Schleuse
Wir wissen, die erste Schleuse (französisch: L’Écluse) ist nicht mehr weit, dann wird’s wirklich ernst. Und richtig, nach wenigen Minuten liegt sie vor uns, direkt an der Brasserie du Moulin. Von der Terrasse des Restaurants schauen die Gäste interessiert zu, wie mal wieder blutige Anfänger ihr Hausboot versenken. Mario ist der Rudergänger (als Ruder bezeichnet man das Lenkrad eines Schiffes), Petra und Suse sind bei einem kurzen Stopp direkt vor Einfahrt in die Schleuse an Land gegangen, um in der Schleuse die Automatik zum Öffnen zu bedienen (es handelt sich hier um eine personalfreie Selbstbedienungsschleuse) und die Leinen zu übernehmen, die ich ihnen zuwerfen werde. In der Schleuse wird es nach oben gehen und das nicht gerade wenig.
Mario gelingt es, mit der Backbordseite (das ist links) nur zart die Schleusenwand zu touchieren, die Fender (luftgefüllte Abstandshalter aus Gummi, die an der Schiffsaußenseite hängen) verhindern Schlimmeres. Unser Boot ist zum Glück nicht mehr nagelneu, es hat schon ein paar Blessuren, da werden die von uns sicherlich nicht auffallen.
Der erste Versuch, am Bug (das ist vorn) die Leinen nach oben zu werfen, gelingt erstaunlicherweise, Suse fängt; am Heck (das ist hinten) scheitere ich kläglich, die Leine fällt ins Wasser, ins Kloakenwasser. Kloake deshalb, weil es an den Kanälen keinerlei Fäkaliensammelstellen gibt, alles fließt direkt aus den Toiletten der Boote ungefiltert ins Wasser, das Baden ist deshalb auch strengstens verboten. Meine Leine ist nass und kontaminiert, bestimmt! Egal, zimperlich können wir später noch sein …
Zweiter Versuch, es klappt, die Leine surrt nach oben und trifft Petra beinahe am Kopf, aber sie hat sie. Petra und Suse belegen nun die Poller mit den Festmachern (den Tauen) mit nur einem halben Schlag (kein Knoten), damit sie jederzeit dichtholen (festziehen) können. Petra drückt auf den grünen Knopf, achteraus (hinter uns) schließen sich die Tore und wir warten auf das Steigen des Wassers.
Direkt vor dem Bug schießt mit unglaublichem Druck die Brühe aus den Schleusentoren; erst durch kleinere Öffnungen weiter unten, dann durch größere darüber. Wir erreichen nach und nach das gleiche Niveau des Wasserstandes des Kanalbereiches hinter der Schleuse, die Schleusentore öffnen sich vollständig und wir können rausfahren. Die Mädels sind inzwischen zurück an Bord gekommen, die Leinen sind eingeholt; ich stoße das Boot am Bug leicht von der Schleusenmauer ab, damit wir gleich mittig zur Ausfahrt liegen. Mario gibt vorsichtig Stoff auf die Schraube, wenig, ganz wenig. Langsam gleiten wir aus der Schleuse und schrammen mit dem Heck steuerbordseitig leicht an der Ausfahrt entlang, aber das macht nichts, das soll angeblich vielen passieren, wir haben die erste Schleuse geschafft!
Hinein in den Tag
Nun fahren wir hinein in den Tag, lassen uns die Sonne aufs Haupt scheinen und freuen uns, die ersten schwierigen Prüfungen gemeistert zu haben.
Wer übrigens denkt, geradeaus fahren kann ja wohl nicht so schwer sein, sollte es ausprobieren. Je nach Geschwindigkeit, reagiert das Boot auf Bewegungen des Steuerruders schneller oder langsamer. Wer hektisch von steuerbord nach backbord dreht, fährt Schlangenlinie; ruhiges Handling ist angesagt, insbesondere, wenn ein Schiff entgegenkommt.
In der nächsten Schleuse, die „L‘Ècluse de Raonel“ heißt, sind wir nicht mehr allein. Wir legen wieder mit der Backbordseite an der Schleusenmauer an und müssen steuerbordseitig aufpassen, dass wir nicht das Nachbarboot versenken. Aber wir meistern das schon recht routiniert; hinter uns fährt noch ein drittes Boot in die Kammer. Ich stehe am Heck, um per Hand oder Fuß Abstand zu halten. Aber der Rudergänger versteht sein Handwerk: kein unnötiger Kontakt, weder mit der Kaimauer noch mit unserem Boot.
Nach dieser Schleuse wartet eine besondere Herausforderung auf uns: wir müssen vom Canal de la Robine an der Kreuzung mit dem Fluss Aude zwei Sandbänken ausweichen und anschließend in den Canal de Jonction einfahren. Wir studieren die Karte und prägen uns den Verlauf ein. Vorher fahren wir noch durch die offenstehende Schleuse Moussoulens, die nur bei Hochwasser in Betrieb ist. Höchste Konzentration ist gefragt. Das Ruder hart nach Backbord gedreht und wieder zurück, um dicht am linken Ufer zu bleiben, die erste Sandbank liegt steuerbordseitig. Mit wenigen Motorumdrehungen tuckern wir Richtung des quer hoch über dem Wasser gespannten Kabels. Dieses Kabel dient zur Orientierung zur 180 Grad-Wende, um anschließend der Sandbank in der Mitte ausweichend am rechten, dann in Fahrtrichtung linken Flussufer der Aude ein kleines Stück zur Einfahrt zum Canal de Jonction zurück zu fahren. Wir haben ein wenig Glück und können ein Boot beobachten, das vor uns fährt und das Gleiche vorhat. Mario, unser Rudergänger, macht seinen Job sehr gut. Es fällt uns allen auf, dass jeder dem Mann oder der Frau am Ruder Tipps geben will; das funktioniert nicht, als Rudergänger wird man schier wahnsinnig. Wir einigen uns, dass immer der die Tipps gibt, der am Bug Ausschau hält. Nach 30 Minuten sind wir im neuen Kanal und haben die Sandbänke hinter uns.
Zufrieden mit unserer Arbeit streben wir das Tagesziel an, das Städtchen Le Somail. Sieben Schleusen später und nach einer Mittagspause (die Schleusen schließen zwischen 12:00 und 13:00 Uhr) sind wir endlich im Canal du Midi gelandet und schließlich auch in Le Somail. Beim Bau des Kanals befand sich hier eine der Abschnittsbauleitungen, später etablierte sich der Ort als Umschlagplatz für Postschiffe. Besonders schön sind die alte Steinbrücke und eine Kapelle. Nach dem Festmachen nutzen wir unsere Fahrräder, um im Ort einzukaufen.
An den folgenden Tagen genießen wir einerseits die Ruhe auf dem Kanal und andererseits die Action in den Schleusen, die auch mal als Doppel- oder Dreifach-L’Écluse daherkommen. Wir funktionieren wie ein alt eingespieltes Team, als hätten wir nie etwas Anderes gemacht. Als Rudergänger dürfen sich natürlich alle mal versuchen. Es ist einfach Klasse!
Vier Tage wie im Flug
Zwischenzeitlich passieren und besuchen wir die Orte Ventenac-en-Minervois, wo wir uns eine Weinkellerei ansehen, Paraza sowie Roubia, Argens-Minervois und Homps, die ebenfalls stark durch den Weinanbau geprägt sind.
Vier Tage sind seit dem Start wie im Fluge vergangen.
Wir wollen jetzt nach Trèbes, nachdem La Redorte sowie Marseilette von uns kurz besucht worden sind. Alle diese Orte sind klein und beschaulich; es gibt nette Restaurationen, in denen gutes Essen und ansprechender Wein angeboten wird, alles zu moderaten Preisen. Der Verkehr auf dem Kanal ist nicht übermäßig stark und man sieht sich irgendwie immer wieder; es erinnert mich an Wanderreisen, man entkommt den anderen irgendwie nicht. Aber das ist nicht schlimm, im Gegenteil. Der Schotte mit seiner Eigneryacht „Hells Bells“ oder die diversen Südafrikaner, die auch Schiffe von „Le Boat“ haben, sind einfach nette Burschen und Mädels. Alle haben gute Laune und keine Ahnung vom Schippern (mit Ausnahme des Schotten, der kann wohl als ehemaliger Soldat alles).
Auf den letzten Kilometern vor unserem Ziel, Petra sitzt am Ruder, der Rest der Crew entspannt auf den bequemen Sitzkissen, lassen wir die herrliche Kanallandschaft an uns vorbeiziehen und denken, was für ein schöner Spätnachmittag, den wir abends in Trèbes abschließen können. Wir biegen um eine kleine Kurve und stellen fest, dass wir zu spät dran sind. Die letzte Schleuse vor unserem Ziel, die L’Écluse du Moulin, ist bereits geschlossen; wir haben die Schließzeit 19:00 Uhr irgendwie nicht auf dem Schirm gehabt. Egal, macht nichts, dann übernachten wir halt nicht in einem Hafen, sondern in der freien Natur. Das wollten wir sowieso noch in unseren Reiseplan einbauen. Da es hier keine Poller gibt, müssen wir selbst welche in den Ufergrund schlagen. Mario ist wieder an Ruder, steuert die Caprice mit dem Bug ans Ufer, so dass ich abspringen kann. An Land treibe ich mit kräftigen Schlägen die großen Eisennägel in den Boden. Petra und Suse werfen die Leinen rüber, die ich jeweils nur einmal um die Eisenstangen lege, damit sie an Bord auf den Klampen (Vorrichtung zum Befestigen von Fasertauwerk) mit zwei Kreuzschlägen und einem Kopfschlag (Knoten) belegt werden können. Das hat den Vorteil, dass die Festmacher (Taue) von Bord aus gelöst werden können und kein Crewmitglied nach dem Ablegen traurig winkend an Land zurückgelassen werden muss. Wir meistern auch dieses Manöver ohne Schwierigkeiten und liegen nun am linken Kanalufer in Sichtweite der Schleuse. Das Abendbrot bereiten wir diesmal selbst zu, genießen den guten Rosé aus dem Weingut in Ventenac-en-Minervois und erfreuen uns nicht nur am wunderschönen Sonnenuntergang.
Am nächsten Morgen, nach einem kurzen Stopp in Trèbes, geht’s zur letzten Etappe nach Carcassonne. Auch auf dieser Strecke fallen uns die vielen gefällten Platanen auf. Wir müssen erfahren, dass die ehemals 42.000 Platanen am Canal du Midi akut vom Aussterben bedroht sind. Grund dafür ist der sogenannte Platanenkrebs (chancre coloré), ein Mikro-Pilz, der sich im Inneren des Baumes einnistet und seine Saftzirkulation blockiert. Die Krankheit verbreitet sich über die Wurzeln der Bäume, die sich in der Erde ineinander verflechten. Auch Boote, die beim An- und Ablegen außerhalb der ausgewiesenen Anlegestellen die Bäume oder das Wurzelgeflecht der Platanen verletzen, tragen zur Ausbreitung bei. Wenn eine Platane einmal befallen ist, gibt es kein Heilmittel mehr – innerhalb von zwei bis fünf Jahren stirbt der Baum. Das stimmt uns traurig und macht uns nachdenklich.
Carcassonne ist eine mittelgroße Stadt mit rund 50.000 Einwohnern, in der es nur so wimmelt von Touristen. Ihr Wahrzeichen ist die mittelalterliche, auf einem Hügel der Altstadt gelegene als „Cité von Carcassonne“ bezeichnete Festung. Auch sonst ist die Stadt hübsch anzusehen; wir bummeln durch die Gassen und fühlen uns wohl.
Unsere Bilanz
Wir sind am letzten Tag unserer Reise angekommen und müssen zurück nach Trèbes, da dort unser Boot in der Station von „Le Boat“ abgegeben werden muss. Einschließlich dieser Rückfahrt haben wir 34 Schleusen gemeistert, sehr viel gesehen und erlebt und sind auf alle Manöver, die guten und die schlechten, mächtig stolz. Diese Tour lohnt sich für jeden, egal ob schon Grad60 oder jünger, sportlich oder eher nicht. Diese Fahrt auf dem Canal du Midi ist auch für blutige Laien absolut machbar, learning by doing. Wir waren als Anfänger nicht allein, es ging vielen so, man bildet schnell mit anderen Crews eine Schicksalsgemeinschaft und hilft sich gegenseitig. Ich kann es nur noch einmal unterstreichen: einfach machen und genießen!
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