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Grete Minde aus Tangermünde

Grete Minde aus Tangermünde

Der Apotheker, Schriftsteller, Journalist und Theaterkritiker Theodor Fontane hat uns mit seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg inspiriert, ebenfalls die Schuhe zu schnüren. Aber nicht nur das. Ich erinnere mich auch an eine Novelle von ihm, die in Tangermünde spielt. Neugierig geworden nehme ich mir das Büchlein zur Hand und beginne zu lesen.

Als am 13. September 1617 die Stadt fast vollständig abbrannte, verdächtigte man zu Unrecht eine gewisse Grete Minde, die angeblich aus Rache für das ihr vorenthaltene Erbe den Brand gelegt haben soll. Grete wurde Opfer einer ungerechten, voreingenommenen und von Hass gejagten Justiz. Gequält, geschunden und zum Tode verurteilt, endete sie 1619 auf dem Scheiterhaufen. In seiner Novelle „Grete Minde" hat Theodor Fontane das schaurige Ereignis literarisch verarbeitet.

Nach wenigen Seiten ist mir klar, dass ich diese interessante Stadt besuchen muss. Gesagt, getan. Eines schönen Tages im April stehe ich unter dem bronzenen Denkmal von Kaiser Karl IV.

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Im 14. Jahrhundert war Tangermünde der Zweitsitz von Kaiser Karl IV., der 1373 seinen 12-jährigen Sohn Wenzel zum brandenburgischen Kurfürsten ernannt hatte. Unter ihm sollte die Stadt zur Hauptstadt der mittleren Provinzen aufsteigen, wozu der Kaiser die Burg Tangermünde als Residenz ausbauen ließ. Diese Burg ist deutlich älter als Tangermünde (urkundliche Erwähnung 1275), sie wurde um 925 von einem askanischen Markgrafen erbaut.

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Wunderschön liegt Tangermünde am linken Ufer der Elbe direkt an der Mündung des Tanger. Ich schreite am Ufer entlang und bewundere die unglaublich massiv aussehende Burgmauer, deren Backsteinrot sich im Wasser der Elbe spiegelt. Mehr als zehn Meter hoch ragt sie vor mir in die Höhe. Und davor schmückt ein herrlich weißblühender Baum den Blick auf das barocke Amtshaus, was heutzutage als Hotel genutzt wird.

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Weiter am Wasser entlang komme ich zum Flüsschen Tanger, das dem Ort seinen Namen gab. Im Bereich der Uferpromenade ist er zum ziemlich großen Hafenbecken ausgebaut, wo neben einem Restaurantschiff auch einige Flusskreuzfahrtschiffe liegen. Geschlossen oder außer Betrieb gesetzt. Das sieht alles ziemlich trostlos aus. Aber an der eigentlichen, sehr schmalen und kleinen Einmündung der Tanger bildet der Fluss eine beschaulich daliegende Idylle.

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Der historische Stadtkern, die Stephanskirche und die Burg sind durch ihre Hochlagen vor Hochwasser sicher, das ist klar. Es geht deshalb auch bergauf in die historische Altstadt. Ich verweile am Neustädter Tor, das zusammen mit seinem rechteckigen Turm rund um das Jahr 1300 gebaut wurde. Der Rundturm und der Mittelbau entstanden um 1450 und flankieren einen spitzbogigen Durchfahrtsbau. Wie ich nachlesen kann, ein charakteristisches und unverwechselbares Bauwerk der norddeutschen Backsteingotik. Sehr hübsch.

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Im Bogen dem Rundgang hinter dem Tor folgend, stehe ich an der Zecherei St. Nikolai und habe Durst. Aber nichts da, alles zu, natürlich wegen Corona. Davor steht ein Pranger, in dem wohl zahlungsunfähige Zecher zur Schau gestellt wurden. Ob hier auch die bedauernswerte Grete Minde eingespannt wurde?

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Tangermünde gehört zu jenen Städten, die ihr mittelalterlich anmutendes Stadtbild bis in die heutige Zeit bewahrt haben. Theodor Fontane schwärmt in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" vom Schloss und der Kapelle, deren „Edelsteinpracht ans Märchenhafte streifte". Das Schloss habe ich schon hinter mir, also rein in die Kapelle. Die Kirche, die ich nun betrete, ist aber keine Kapelle und nicht klein, sondern sehr groß und heißt Sankt-Stephans-Kirche.

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Das erste nachweisbare Bauwerk an dieser Stelle ist eine romanische Backsteinbasilika noch vor dem Jahr 1188. Die drei Schiffe steigen nahezu gleichhoch auf und geben somit den Bautyp der Hallenkirche vor. Das Langhaus in der Mitte erstreckt sich über sechs Gewölbejoche. Das ist eine ziemlich große Kirche. Und sie ist leer, keine Menschen hier. Ehrfürchtig umrunde ich das Mittelschiff. An einer Nische bleibe ich stehen. Ein Jesuskreuz mit einer brennenden Kerze. Ich halte inne und muss wieder an Grete Minde denken. Was Menschen anderen Menschen doch antun können! Schrecklich.

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Ich gehe die Lange Straße noch einmal zurück. Mir war vorhin beim Vorbeischlendern ein Blumengeschäft aufgefallen. Es heißt „Ambiente Haus“ und macht seinem Namen alle Ehre. Blumengeschäfte dürfen ja offen haben; also trete ich ein. Es gibt auch Blumen. Aber vor allen Dingen gibt es hunderte Accessoires für den Garten oder die Wohnung. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. Fantastisch. Dörte Düsedau ist die Inhaberin. Freundlich und bestimmt auch hinter der OP-Maske lächelnd, zeigt sie mir ihr Geschäft. Soll ich etwas kaufen? Ich weiß nicht. Schließlich entscheide ich mich für einen steinernen Frauenkopf, der draußen vor dem Laden steht.

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Ich passiere noch einmal das Rathaus, vor dem seit 2009 die lebensgroße Bronzeplastik der Grete Minde steht. Theodor Fontane irrte in dem, was er in seinem Buch geschrieben hat. Grete war unschuldig, das geht eindeutig aus den Recherchen hervor, die vor allen Dingen auf den Gerichtsakten basieren. Ich muss immer wieder an sie denken. Die arme Frau. Womöglich wurde sie in Ketten, kraftlos durch monatelang unmenschliche Haftbedingungen, durch die Gassen getrieben und die Leute haben sie angespuckt. Auch ich gehe durch diese mittelalterlichen Straßen, ganz in Gedanken. Schließlich setze ich mich auf eine kleinen Bank vor einem schönen alten Haus und versuche wieder positiv zu denken. Am besten funktioniert das, wenn man die Augen aufmacht und sich die Welt um einen rum ganz bewusst anschaut. Also versuche ich, die Fassaden vor mir zu bewundern und nach und nach erhellt sich mein Geist wieder.

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Mein Fazit ist durchweg mit Pluszeichen versehen. Eine sympathische, gemütliche und sehr interessante Stadt, die von den Leser*innen des Travelbooks 2019 zur „Schönsten Kleinstadt Deutschlands“ gekürt wurde. Ich kenne leider viel zu wenige Kleinstädte in Deutschland, um hier ein seriöses Urteil fällen zu können. Aber auch für mich hat Tangermünde einen vorderen Platz verdient.

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