Road to Kairos - Ein neuer Roman von Frank Müller - Ein Gastbeitrag
Ob ich mich verschrieben hätte, werde ich immer wieder gefragt, wenn mich Leute auf den Titel des Romans Road to Kairos ansprechen. Um es klar zu beantworten: Nein, habe ich nicht. Denn Kairos ist kein Ort, sondern ein griechischer Gott, genaugenommen der Bruder von Chronos, dem Gott der Zeit. Kairos ist der Gott des günstigsten Augenblicks. Mein Lieblingsgott im Olymp.
Ein toller Gott, wie ich finde. Wir kennen ihn alle und leider auch deshalb, weil wir eben diesen Augenblick schon das eine oder andere Mal verpasst haben. Hätte ich doch bloß von zehn oder fünfzehn Jahren eine Wohnung gekauft. Jetzt sind sie viel zu teuer. Hätte ich doch bloß den Job damals angenommen. Jetzt verdient jemand anderes viel Geld auf dem Sessel. Oder noch schlimmer: Hätte ich den Job doch bloß nicht angenommen. Jetzt schlage ich mich jeden Tag mit den Widrigkeiten herum und stehe kurz vor dem Herzinfarkt. Ja, das kennen wir.
Aber was hat das mit einem Roman zu tun? Zum einen geht es in der Geschichte genau darum, dass zwei Freunde auf ihrem ersten USA-Trip in den Siebzigern lernen, was es bedeutet, einen Kairos-Moment zu nutzen und aus dieser Erfahrung ihr weiteres Leben zu gestalten. Jeder für sich und beide in völlig unterschiedlicher Weise.
Zum anderen bezieht sich der Titel auf einen Song von Julie Driscoll, einer englischen Soulsängerin aus den Siebzigern: Road to Cairo.
Cairo ist in diesem Fall nicht die Hauptstadt Ägyptens, sondern ein Ort in den USA, einer von vielen kleinen Cairos. Das Lied erzählt die Geschichte von einem, der seine Familie im Stich gelassen hat und nun zurückkehren will. Er sitzt als Tramper in einem Auto und bekommt es kurz vor der kleinen Stadt mit der Angst zu tun, springt wieder heraus und läuft weg. Offensichtlich ist er seinem Kairos-Moment nicht gewachsen. Die beiden Jungs landen nach einer schlimmen Erfahrung während der Reise in ihrem Cairo und lernen, dass sie sich den Realitäten stellen müssen.
Dieser Trip durch die Staaten bezieht sich auf meine eigene, erste Reise in die USA, ist jedoch kein Urlaubsaufsatz, wie wir ihn früher nach den Ferien schreiben mussten. Kleine Anekdoten und Erfahrungen fließen in die Geschichte ein, das Meiste ist jedoch frei erfunden. Franz und Christian, die beiden Freunde, sind ebenfalls Roman-Charaktere, die es nicht wirklich gibt, aber irgendwie sind sie uns sicher trotzdem vertraut. Nicht erfunden ist allerdings, dass wir tatsächlich am 16. August 1977 mit dem Auto nach Memphis fuhren und uns wunderten, dass alle Geschäfte geschlossen waren. The King war am Morgen gestorben. Und genau an dem Tag, als Elvis starb, kam ich in seiner Heimatstadt an!!!
Damals, als uns die Welt noch mit allem und jedem offenstand, werden wir vielleicht beim Lesen denken, da waren wir auch so. Und wie gern würden wir unsere Abgeklärtheit noch einmal gegen den kühnen Wagemut und die Unbekümmertheit dieser Jahre eintauschen.
Wenn mir am Ende meines Lebens ein Engel anbieten würde, eine Sache in meinem Leben nochmal zu erleben, es wäre mit Sicherheit diese Reise, um die ich bitten würde.
Aber wir erleben die beiden Protagonisten auch als alte Männer, die mit ihrem Latein am Ende sind. Ihre Lebenskonzepte haben ausgedient. Lange hat alles funktioniert, doch nun hält nur noch die Routine den Alltag zusammen. Da treffen sie sich zufällig wieder. Vierzig Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen und müssen sich bei Rotwein und gutem Brandy eingestehen, dass sie einen neuen Kick gebrauchen könnten.
Und so beschließen sie, die Reise ihres Lebens noch einmal zu machen. Diese Tour, das sei gleich vorweggesagt, ist von vorne bis hinten ausgedacht, auch wenn ich sie eigentlich gerne machen würde. Die beiden Männer, in der Zwischenzeit in Rente, fahren wieder durch den Kontinent und verbringen ihre Abende auf Motel-Veranden bei Wein und Joints und erzählen sich ihr Leben. Tagsüber unternehmen sie Wanderungen und natürlich enden sie wieder in einem Cairo, einem der vielen, und wieder gelangen sie an einen Kairos-Moment, der sie zu Entscheidungen auffordert. Aber lassen wir es dabei, ich will ja nicht spoilern. Ein Roman wie ein Road-Movie und im Hintergrund meinen wir immer den Song von Julie Driscoll zu hören, die weiße Europäerin mit der schwarzen amerikanischen Soulstimme.
Bei den Recherchen zu dem Roman schreibt einem das Leben manchmal Dinge ins Drehbuch, die hätte man sich nicht besser ausdenken können. Es passierte etwas, was wir dank Internet auch alle kennen. Ich versuchte mich anhand der alten Urlaubs-Dias an Einzelheiten meiner Reise zu erinnern und stieß auf ein Foto, das ich gerne als Coverbild benutzen wollte. Ein tolles Bild von mir und dem Freund, mit dem ich die Reise zusammen machte. Wir sitzen auf dem Dach eines Ford Pinto, im Hintergrund der Pazifische Ozean. Es war der erste Tag, an dem wir an diesem Meer ankamen, der Augenblick, von dem ich mein ganzes Leben davor geträumt hatte, und das Foto entstand in der Dämmerung.
Es hat leider nicht die Qualität, die es für ein Cover bräuchte, leicht unscharf, sodass es verpixelt, wenn man es vergrößert. Aber einfach zu schön, um es wieder wegzulegen. Mühevoll versuchte ich also, das Beste aus dem Bild herauszuholen. Da alle Versuche nichts halfen, das Bild zu verbessern, verwendete ich zuletzt den Trick, es so zu bearbeiten, dass es aussieht wie ein Aquarell. Ein guter Freund half mir dabei mit seinen Photoshop-Kenntnissen und ich finde, es ist fast noch besser als das Original und ein tolles Cover!
Nebenbei musste ich mich aber auch darum kümmern, von dem Freund, den ich – genau wie die beiden im Roman – vierzig Jahre nicht mehr gesehen hatte, die nötigen Rechte zur Veröffentlichung zu bekommen. Also googelte ich den Namen und erhielt sofort aktuelle Fotos von mehreren Personen mit demselben Namen. Ich suchte nach Übereinstimmungen in den Gesichtern, aber vier Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Es ist wie mit meinem alten grauen Führerschein. Auf dem Foto wäre ich auch als Frau durchgegangen: Haare bis auf die Schultern, achtzehn Lenze und kein Bartwuchs.
Schließlich schaltete ich einen anderen Freund ein, der den Mitreisenden auch kannte und zuletzt tippten wir beide auf ein Foto. Das stammte von linkedin, der Karriere-Plattform, bei der ich nicht angemeldet bin. Diesmal musste eine Freundin den Kontakt herstellen, die dort ein Profil hat und den Auserwählten mit den Worten anschrieb: „Wir suchen einen, der 1977 mit Frank Müller durch die Staaten gezogen ist, der auf Country-Music steht und in Nashville die Grand Ole Opry backstage besuchte.“ Die Antwort: „Bingo, ich bin’s, gefunden.“ Wie sich herausstellte, hatte der Freund eine Amerikanerin geheiratet und lebt bis heute in Los Angeles.
Und beim Anblick dieses Fotos ging mir durch den Kopf, was für ein verrücktes Auto dieser Ford Pinto war. Im Grand Canyon hatten wir einen Engländer kennengelernt, der ihn fuhr. Das Auto existierte zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht. Aber der Vater des Engländers arbeitete in der Detroiter Zentrale von Ford in der obersten Etage und hatte den Prototyp seinem Sohn gegeben, damit er ihn austestete! Und das taten wir. Als wir ihn zurückgaben, war so gut wie alles abgebrochen, was an einem Auto abbrechen kann. Und zwei Jahre später ging der Pinto mit Negativschlagzeilen durch die Presse, denn das Auto hatte einen fatalen Konstruktionsfehler: Der Tank saß zu dicht an der hinteren Stoßstange und neigte dazu, schon bei kleinsten Auffahrunfällen zu explodieren! Glück gehabt.
Das zweite Problem vor der Veröffentlichung war der Songtext von Julie Driscoll. Ich hatte Teile davon in den Text eingearbeitet und benötigte einige Zeit, um herauszufinden, was ich machen musste, um keine Urheberrechte zu verletzen. Am Ende stellte sich heraus, dass schon die Nutzung einer einzigen Zeile so teuer war, dass ich den Roman an den Stellen lieber umgeschrieben habe. Und genau in dieser Zeit, als ich auf der Suche nach den Rechteinhabern des Liedes war, kam der Roman Kairos von Jenny Erpenbeck heraus. Ein Roman, der schon für den Nobelpreis für Literatur gehandelt wird. Wer will es damit aufnehmen? Ich begann nach Alternativ-Titeln zu suchen, aber letzten Endes hing ich an meinem Wortspiel und dachte mir: Was soll’s? Bleib dabei, einen besseren Titel findest du nicht.
Ganz nebenbei, beim Schreiben, dachte ich häufig an die Kairos-Momente, die mein eigenes Leben beeinflusst haben. Ob ich auf dem Foto in Hollywood auf dem Walk of Fame und in den Fußstapfen von Marilyn Monroe, daran schon Gedanken verschwendet habe? Ich weiß es nicht mehr. Ich kann aber nur jedem wünschen, das hin und wieder zu tun, denn man wird dabei dankbar für das Glück, das man in seinem Leben erfahren hat.
Übrigens wird der Gott Kairos oft mit einer Haartolle dargestellt, denn von ihm stammt die Redewendung, dass man die Gelegenheit beim Schopfe packen solle. Also Leute, greift zu. Keiner konnte es treffender formulieren als Friedrich Schiller:
Was du dem Augenblicke ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück.
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