Die Wiege der Mark Brandenburg
Heute begeben wir uns mit Klaus auf einen Stadtspaziergang durch die Stadt Brandenburg an der Havel. Diese Stadt hat dem Land nicht nur ihren Namen geschenkt, sie kann auch auf eine tausendjährige Geschichte zurückblicken, deren Zeugnisse von Wasser umspült noch heute in den drei historischen Stadtkernen Altstadt, Neustadt und Dominsel erkennbar sind. Überall wandelt man auf historischen Spuren und mittendrin steht der mächtige Dom, das ehrwürdige Wahrzeichen der Stadt. Er gehört mit seinen 850 Jahren zu den frühesten Monumentalbauten der norddeutschen Backsteingotik.
Brandenburg an der Havel war seit dem Mittelalter wirtschaftlich erfolgreich und zeitweise Mitglied der Hanse. Mehrere Seitenarme der Havel und Kanäle durchziehen das Stadtgebiet und machen Brandenburg zu einem Wassersportparadies. Brandenburg ist aber auch bekannt für seine Waldmöpse, die überall in der Stadt zu finden sind. Der „Vater“ der kleinen bronzenen Skulpturen ist Vicco von Bülow alias Loriot, der in Brandenburg geboren wurde.
Ein weiteres Brandenburger Original ist Fritze Bollmann, dem mit einem Brunnen ein Denkmal an der Hauptstraße gesetzt wurde.
Der Legende nach fiel Fritze Bollmann beim Angeln aus seinem Boot und ertrank in einem See. Doch die Legende erzählt nicht die ganze Geschichte. Johann Friedrich Andreas Bollmann, genannt Fritze Bollmann wurde 1852 in der Nähe von Magdeburg geboren, wohnte aber seit 1875 in der Brandenburger Altstadt. Bollmann verdiente seinen Unterhalt mehr schlecht als recht als Barbier und wurde unfreiwillig von seiner Umgebung zum Original gemacht. Bollmann geriet trotz flinker und fleißiger Arbeit in eine wirtschaftliche Notlage, die ihn zum Alkoholiker werden ließ. Der häufig betrunkene Barbier wurde von Kindern verspottet und geärgert. Bollmann verstand den Kinderspaß aber nicht und bespritzte die Kinder immer wieder mit Rasierschaum. So nahm ihn schließlich niemand mehr ernst und er wurde Ulkfigur von Brandenburg. Seinen Kunden erzählte er, dass er beim Angeln in der Nähe der Dominsel ins Wasser gefallen sei. Die Kinder dichteten darauf ein Spottlied. Der Text ist am Brunnenrand eingraviert.
Fritz Bollmann starb aber verarmt im Städtischen Krankenhaus an Zungenkrebs. Sein Grab befindet sich auf dem Altstädter Friedhof. Seine Geschichte wurde 1943 sogar verfilmt.
Der Steintorturm am Rande der Neustadt bietet sich für einen Tourstart an, um an den bekanntesten Sehenswürdigkeiten, wie den Dom, das alte Rathaus, den Mühlentorturm, oder die St. Katharinenkirche vorbeizukommen. Der knapp 30 Meter hohe Steintorturm gilt mit seinem kegelförmigen Helm sowie dem aufgesetzten Zinnenkranz als der größte und mächtigste der einst acht Brandenburger Tortürme, von denen es noch vier im Stadtbild gibt. Die erste Erwähnung des Turmes lässt sich bis ins Jahr 1433 zurückverfolgen.
Der Turm war Teil der mittelalterlichen Wehranlage der Stadt. Das Steintor beschützte die Ausfallstraße nach Südwesten, denn hier begann im Mittelalter die Fernhandelsstraße über Ziesar nach Magdeburg. Weitere bedeutende Handelswege führten über Belzig nach Wittenberg und nach Zerbst. Hier versteckt sich auch der erste gehörnte Waldmops mit Ringelschwanz, der in der Folge sitzend, stehend, schlafend, schnüffelnd und das Bein hebend dargestellt wird.
Die etwa 50 Zentimeter großen Bronzefiguren wurden 1972 von Loriot erstmals in seiner Fernseh-Tierstunde vorgestellt. In dem Beitrag „Tierstunde - Der wilde Waldmops“ schlüpfte Loriot in die Rolle des Tierfilmers Horst Stern, der erstmals einer bewegten Öffentlichkeit das Tier zugänglich gemacht hatte: „Als Herr des Waldes durchstreifte der Mops einst Europa zwischen Ural und Fichtelgebirge. Heute weiden nur noch wenige wilde Möpse in unbewohnten Waldungen Nordschwedens.“ In dem Sketch geht es um die fabulierte Zucht des Mopses von einem großen elchartigen und gehörnten Wildtier zum Rasse- und Schoßhund. In deutschen Wäldern habe als Übergangsform nur der „scheue Waldmops“ (mit einem kurzen, kräftigen Gehörn) überlebt. Seitdem die ersten acht Exemplare dieser weithin unbekannten Spezies in der Stadt Brandenburg ausgewildert wurden, haben sie sich deutlich auf über 20 vermehrt, obwohl sie alle das gleiche Geschlecht haben. Wie das möglich ist, ist mir unerklärlich ...🤔
Vicco von Bülow wurde natürlich auch ein Denkmal gesetzt. Allerding typisch für Loriot: Ein Denkmal ohne Statue.
Als der bekannteste deutsche Humorist 2011 im Alter von 87 Jahren verstorben war, erinnerte man sich an seine Aussagen und stellte am Johanniskirchplatz in Würdigung seiner Verdienste einen schlichten Betonklotz mit dem Abdruck von zwei Schuhen hin. Die Begründung war: „Es ist schwer, einem Künstler ein Denkmal zu setzen, der schon zu Lebzeiten eine Legende war, aber eine Glorifizierung strikt ablehnte.“
Ein Meisterwerk norddeutschen Backsteinbaukunst ist die Katharinenkirche, die man unbedingt besuchen sollte, wenn es die Öffnungszeiten erlauben. Sie ist die größte Kirche der Stadt und die Fassade ist reich mit Türmen, Spitzbögen und mehreren Skulpturen verziert, zu denen auch zwei monumentale mittelalterliche Terrakotta-Skulpturen gehören. Im Innenbereich ist sie reich mit Kunstwerken, wie dem achteckigen Bronze-Taufkessel von 1440 und wunderschönem Figurenschmuck, ausgestattet.
Es gibt auch noch eine tragische Geschichte zu erzählen, die sich in der Katharinenkirche abgespielt haben soll: Der Kirchturm hatte während eines Orkans im Jahre 1580 Risse bekommen, die bereits einen Abstand von drei Zoll zum Giebel aufwiesen. Als am 30. März 1582 ein weiterer schwerer Sturm über Brandenburg brauste, kam es zur Katastrophe, der Turm fiel morgens um drei Uhr in sich zusammen. Glück im Unglück hatten drei Kunstpfeifergesellen, die in den oberen Geschossen des Turmes in der Wohnung des Kunstpfeifers Martin Nehring übernachteten, als der Turm einstürzte. Einer der Gesellen erlitt zwar eine Ritzwunde am linken Ohr, einem anderen bohrte sich "nur" ein „derbes Stück Holz“ in die Hüfte und der Dritte wurde lediglich am Bein verletzt, aber alle überlebten das Unglück.
Über den Neustädtischen Markt und einem weiteren Waldmops am Pfaffufer ist es nicht mehr weit zum Mühlenturm und dem alten Havelpegel am Mühlendamm. Ein besonderes Zeugnis der Mühlentradition in Brandenburg ist das 1907 errichtete Pegelhaus.
Bis zu seinem Bau mussten die Müller jeden Tag aufwändig die sich veränderten Wasserstände von Ober- und Unterwasser ablesen, um die Mühlräder optimal einstellen zu können.
Über Mühlendamm und die Straße St. Petri geht es geradeaus zum Wahrzeichen der Stadt, dem schon anfangs erwähnten, mächtigen Dom St. Peter und Paul. Die Domkirche wird aufgrund ihrer kulturhistorischen Bedeutung als „Wiege der Mark Brandenburg“ bezeichnet. Der Bau auf der Dominsel begann 1165 als einschiffige, kreuzförmige, romanische Saalkirche in Backstein, mit späteren Erweiterungen zu einer dreischiffigen Kreuzbasilika im Stil der Backsteingotik.
Der Brandenburger Dom gehört zu den geschichtsträchtigsten Stätten des Landes Brandenburg. Die slawische Inselburg Brandenburg, Hauptort und strategischer Mittelpunkt des Havellandes, wurde 928/29 vom ostfränkischen König Heinrich I. eingenommen. In Folge wurde 948 das neue Bistum Brandenburg eingerichtet. Nach slawischer Rückeroberung blieb das Bistum bestehen, der Bischof residierte fortan im Exil. Burg und Herrschaft fielen 1150/57 durch Erbgang an den Markgrafen Albrecht den Bären, der den Ort zum Zentrum seiner Politik machte und sich von nun Markgraf von Brandenburg nannte.
Geschichtsträchtig ist auch das alte Rathaus am Altstädtischen Marktplatz.
Was fällt uns auf dem Platz besonders auf? Natürlich die Rolandstatue, der Marktbrunnen mit einem Waldmops und eine Bank mit dem Knollennasenmännchen. Das Altstädtische Rathaus mit seinen wunderschönen Ziergiebeln in spätgotischem Baustil wurde 1430 errichtet. Doch schon im Jahr 1263, also vor über 750 Jahren, wurden Ratsherren erwähnt, sodass man annimmt, dass hier ein Vorgängerbau gestanden haben muss. An diesen Bau hat man um die Mitte des 15. Jahrhundert die Ratsstube, einen in zwei Geschossen gewölbten Anbau, angefügt. Er enthält heute das Rolandzimmer. Zum Markt hin erhebt sich der Rathausturm, der im Keller einen Gefängnisraum hatte. Das Portal im Erdgeschoss ist gleichzeitig die gewölbte Gerichtslaube, darüber liegt der Archivraum, in dem die Urkunden verwahrt wurden, die die Rechte der Stadt bestätigten, ganz oben hängt eine Glocke im Turm und die Uhr zeigt noch heute, wem die Stunde geschlagen hat. Die 5,35 Meter hohe Sandsteinfigur hat schon einige Jahre „auf dem Buckel“. Seit 1474 symbolisiert der Roland die städtischen Freiheiten und ist ein Symbol der mittelalterlichen Rechtsordnung.
In einer Mulde auf dem Kopf trägt Roland ein Büschel Donnerkraut (auch Hauswurz genannt), die ihn vor Blitzschlag schützen sollen. So jedenfalls beschreibt es die Legende. Gleich neben der Roland-Statue steht eine Bank, auf dem ein Knollennasenmännchen sitzt. Die lustige Figur ist eine Hommage an Loriot, der hier im Rathaus 1993 die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt erhielt.
In seinem letzten Gruß in das Gästebuch der Havelstadt schrieb er 2009 einen seiner bekannten Sketchsätze von zwei Herren. „Die Ente bleibt draußen! Herr Müller-Lüdenscheidt.” Von Bülow hatte sich den Künstlernamen "Loriot" zugelegt (das französische Wort für Pirol), weil der Vogel das Wappentier der Familie von Bülow ist. Von Bülow ist ein altes preußisch-mecklenburgisches Adelsgeschlecht. Nach dem Studienabschluss arbeitete er als Werbegrafiker und erfand das Knollennasenmännchen. Später folgten Cartoon-Serien für das Hamburger Magazin Die Straße, für den Stern sowie für Weltbild und Quick. Andere berühmte Werke von Loriot sind Wum und Wendelin, Loriots dramatische Werke, Möpse und Menschen, Szenen einer Ehe, Herren im Bad oder das Frühstücksei. Neben dem Fernsehen war Loriot auch auf der Bühne als Schauspieler und Regisseur sehr erfolgreich. Alle seine Werke beschäftigen sich hauptsächlich mit zwischenmenschlichen Kommunikationsstörungen. Er selbst sagte darüber: „Kommunikationsgestörte interessieren mich am allermeisten. Alles, was ich als komisch empfinde, entsteht aus der zerbröselten Kommunikation, aus dem Aneinander-vorbei-reden.” Das Knollennasenmännchen wird sicher seinen Lebensabend auf der Bank am Rathaus verbringen, Vicco von Bülows Ehrengrab befindet sich dagegen auf dem Friedhof Heerstraße in Berlin-Charlottenburg. (Darüber gibt es einen Beitrag von Martin und Thomas: Friedhof Heerstraße)
Wer mehr über Brandenburg und Loriot erfahren möchte, dem sei die lialo-Tour: Brandenburg/Havel Stadtführung empfohlen, in der weitere Informationen die Tour bereichern und versteckte Details am Wegesrand aufgespürt werden. Das Praktische an einer lialo-Tour: Man kann in der eigenen Planung flexibel bleiben, weil man die Möglichkeit hat, die Tour jederzeit zu unterbrechen, um sie später fortzusetzen. Voraussetzung für den Spaziergang durch die Havelstadt ist ein Smartphone mit einem vollen Akku und diesem Link direkt zur Tour: Brandenburg/Havel Stadtführung.
In diesem Sinne: „Ein Leben ohne Möpse ist denkbar, aber sinnlos.“